Berliner Klassikszene plant keine Solidaritätskonzerte mit Israel
Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine haben viele Orchester Solidaritätskonzerte gegeben. Ganz anders ist das nach den Hamas-Massakern in Israel. Maria Ossowski über das Schweigen in der klassischen Musik.
rbb-Kulturkorrespondentin Maria Ossowski hat sich in der Klassik-Szene in der Region umgehört und gefragt, ob - wie nach dem Überfall auf die Ukraine - auch für Israel Solidaritätskonzerte geplant sind. Die Ergebnisse ihrer Umfrage hat sie hier zusammengefasst - und ein persönliches Fazit gezogen.
Die großen öffentlich geförderten Berliner Orchester und Opernhäuser haben seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, keine Solidaritätskonzerte geplant. Es gab Schweigeminuten vor Veranstaltungen zum Beispiel bei den Berliner Philharmonikern. Orchestervorstand Philipp Bohnen hat dazu einen kurzen Text verlesen. Die Musiker:innen der Philharmoniker fühlten mit ihrem Solobratscher Amihai Grosz, sagten sie dem rbb. Sein Neffe ist Geisel in Gaza, dessen Schicksal beschäftigt das Orchester.
Der Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Kirill Petrenko, probt demnächst für die Asien-Tournee. Vorher findet sicher kein Solidaritätskonzert statt, ob es anschließend eine Veranstaltung in welchem Rahmen geben könnte, sei ungewiss.
Im Konzerthausorchester gab es ebenfalls Schweigeminuten vor einem Konzert mit Christoph Eschenbach. Ob ein Solidaritätskonzert mit Israel oder ein Gedenkkonzert stattfinden könnte, möchte Intendant Sebastian Nordmann nur im Austausch mit anderen Berliner Klangkörpern entscheiden. Einen Alleingang des Konzerthausorchesters lehnt er ab.
Gerne sehen sich Berliner Theater als Orte der Debatte - nach den Terroranschlägen der Hamas aber haben sie auffällig zurückhaltend reagiert. Woran liegt das? Eine Analyse von Barbara Behrendt
Die Deutsche Oper Berlin hat ein deutliches Solidaritätsstatement für Israel und gegen den Terror der Hamas auf ihrer Website veröffentlicht. Das Team hat viele Kontakte zur New Israeli Opera. Ein Solidaritätskonzert sehen die Verantwortlichen nicht.
Das Intendantenduo der Komischen Oper, Philip Bröking und Susanne Moser betonen, das Thema Nahost sei zu komplex, daher bieten sie kein Sonder-Konzert an. Ex-Intendant Barrie Kosky hat bei Interviewanfragen erklären lassen, er hätte viel zu sagen, aber nicht im Moment.
Die Staatsoper Berlin hat im März 2022 ein Solidaritätskonzert für die Ukraine mit einer Ansprache von Daniel Barenboim und hoher Prominenz im Publikum ausgerichtet. Bislang ist auch am Haus Unter den Linden kein Konzert für Israel geplant.
Anders in Cottbus. Dieses Vierspartenhaus präsentiert am 31. Oktober ein Konzert mit einem Kaddisch, einem hebräischen Totengebet, mit dem Mozartreqiuem, mit Werken jüdischer Komponisten und mit jüdischen Künstlern wie Jascha Nemtzov oder Tehila Nini Goldstein.
Intendant Stephan Märki betont, noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg seien Jüdinnen und Juden so gefährdet gewesen wie jetzt seit dem 7. Oktober. Er will mit seinem Team ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen. Innerhalb eines Tages waren 400 Karten verkauft. Laut Märki zeige sich im Kulturbetrieb in puncto Israel viel Unsicherheit und Angst, die falschen Worte zu benutzen oder zur Zielscheibe zu werden.
Die öffentlich geförderten Berliner Institutionen weisen Angst als Ursache für fehlende Solidaritätskonzerte entschieden zurück.
Den Skandal an der Deutschen Oper 2006 sehen sie in keinem Zusammenhang mit der heutigen Situation. Die damalige Intendantin Kirsten Harms hatte aus Furcht vor militanten Islamisten Hans Neuenfels' Inszenierung von Mozarts Idomeneo abgesetzt. Im Schlussbild waren die abgeschlagenen Köpfe von Mohammed, Jesus, Buddha und Poseidon zu erkennen.
"Angst oder "Ja, aber"-Relativierungen sind kein guter Ratgeber für Entscheidungen"
Fazit: Keine Solidaritäts- oder Gedenkkonzerte für Israel und/oder gegen Judenhass in Berlin. Ist das verständlich? Nein.
Berlin hat bis zur Machtergreifung Hitlers eine unvergleichliche kulturelle Blüte erlebt. Dank jüdischer Künstler. In Berlin haben die Nationalsozialisten die Vernichtung des europäischen Judentums beschlossen und geplant. Heute ist Berlin die Stadt mit den meisten Jüdinnen und Juden Deutschlands.
Angst oder "Ja, aber"-Relativierungen sind kein guter Ratgeber für Entscheidungen. Je mehr Bilder aus Gaza die Medien fluten, desto unwahrscheinlicher wird es, ein Konzert zu veranstalten, das der Opfer in Israel gedenkt. Für unsere jüdischen Bürger in Berlin jedoch stünde es jedem Orchester gut an, Solidarität zu zeigen. Nie war jüdisches Leben auch bei uns so gefährdet wie jetzt. Ich finde die Untätigkeit beschämend und kann nur Martin Luther King zitieren: "Am Ende erinnern wir nicht die Worte unserer Feinde, sondern das Schweigen unserer Freunde".