Konzertkritik | Husten im Cassiopeia
Die Band Husten schafft, was gute Netz-Serien und Kaschmir-Decken an düsteren Herbsttagen schaffen: Weltschmerz mit guter Unterhaltung und Wohligkeit zu verquicken. Trotz aller Melancholie wurde bei Husten im Cassiopeia auch getanzt. Von Magdalena Bienert
Die Band startet mit ihrem Opener "Bis morgen dann" vom zweiten und nagelneuen Album "Aus einem nachtlangen Jahr" (VÖ 29. September). Der Song zeichnet kein gutes Bild von der Menschheit und ausgelassene Partystimmung ist im Cassiopeia wohl erstmal nicht zu erwarten. Aber: Das ist eigentlich wunderbar für einen Dienstagabend Mitte Oktober.
Husten werden gerne als Supergroup oder Promi-Trio betitelt. Die Band besteht nämlich aus Songwriter und Frontmann Gisbert zu Knyphausen, dem Produzenten Moses Schneider (der sonst Annenmaykantereit, Tocotronic oder Olli Schulz produziert) und aus Musiker und Schriftsteller ("Der Flussregenpfeifer") Tobias "Tobi" Friedrich alias "Der dünne Mann".
Auf der Bühne sind sie aber zu sechst. Eingehüllt in bunte warme Farben, die von der Decke strahlen und der Traurigkeit, der Sehnsucht und der Zustandsbeschreibung den perfekten Rahmen geben. Der Sänger schließt die Augen und wiegt sich zur Musik, sie hätten von "tieftraurig bis zu Herzen gehend" alles eingepackt, was sie finden konnten "im Flohmarkt unseres Herzen", sagt Knyphausen pathetisch aber mit Augenzwinkern. Immerhin hat die Band etliche EPs veröffentlicht und zwei Studioalben – da wird zum Glück nicht alles schwarzgemalt, live kracht und groovt es auch mal ordentlich.
Dennoch: Spricht man über Husten, bleiben Worte wie "Melancholie" und "Weltschmerz" nicht aus. Aber in welche Zeit, außer die aktuelle, könnte das besser passen? "Wir schöpfen unsere Zuversicht aus der Dunkelheit. Zunächst einmal muss der ganze Mist auf den Tisch und dann schauen wir, wie es weitergeht" sagt Knyphausen in einem Interview. Therapiestunde mit Husten.
Die Texte stammen von Tobias Friedrichs Gisbert zu Knyphausen, Moses Schneider ist für die Arrangements zuständig. Husten sei ihr "Freiraum", sagen sie, ohne Druck einer großen Plattenfirma im Rücken können sie hier alles genauso machen, wie sie es wollen. Husten bringen ihren EPs und Longplayer physisch nur als Schallplatten heraus, bei Kapitän Platte, einem kleinen Bielefelder Vinyl-Label.
Nach dem dritten oder vierten Song sagt der Frontmann so etwas wie: "Schön, dass ihr aus dem Columbiatheater hier rübergekommen seid." Ach richtig, eigentlich hätten die sechs am Columbiadamm spielen sollen, aber Husten, seit 2017 ein heller Stern am Indierockhimmel, wurden sozusagen "runterverlegt".
Statt 800 Menschen passen jetzt in den kleinen Friedrichshainer Club nur 270. Zu wenig verkaufte Tickets also. Das ist bitter, aber immer noch symptomatisch für viele Veranstaltungen, die seit der Pandemie wieder stattfinden. Das Publikum ist unberechenbar geworden. Zumindest, solange bis es tatsächlich vor Ort erscheint! Im Cassiopeia tanzen und singen die vorderen Reihen zuverlässig, ab der Hälfte des kleinen Raumes wird noch anerkennend mit dem Kopf genickt. Die teils sehr intimen, leisen Texte verschwinden leider im Gemurmel und ein großer Mann tätigt inmitten eines ruhigen Klavier-Parts einen FaceTime-Anruf!
"Auf´s Herz gefallen, Liebe kaputt, Asche zu Asche, Schutt zu Schutt" heißt es auf der allerersten EP von Husten. Dystopie können sie, aber trösten zum Glück auch! Soll der nächste Winter doch kommen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.10.2023, 9:54 Uhr
Beitrag von Magdalena Bienert
Artikel im mobilen Angebot lesen