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Feiern in Berlin nach der Wende
Oliver Marquardt, aka DJ Jauche, ist seit mehr als drei Jahrzehnten in der Berliner Clubzene unterwegs. Im Gespräch erzählt der Techno-Musiker über Ost-West-Beziehungen auf der Tanzfläche und warum er sich im heutigen Nachtleben eingeengt fühlt.
rbb|24: Oliver Marquardt, Sie sind im Ostberliner Stadtteil Pankow aufgewachsen. Wie war es, in der DDR auszugehen?
Oliver Marquardt:
Wo ich gelebt habe, gab es einmal im Monat im Kino eine Disco. Und da konnte ich mich dann schon mit zwölf oder 13 reinschummeln, denn die war auch um 22 Uhr vorbei. Auf der Bühne stand ein Discjockey und vor der Bühne wurde getanzt. Später waren es dann Nacht-Boutiquen, die Nachtclubs. Man hat oft immer wieder die gleichen Leute in verschiedenen Clubs getroffen, weil das Ausgehen in der DDR wichtig war. Damals gab es noch ein anderes soziales Konzept als heute. Man musste sich treffen und hat sich nicht auf Twitter kennengelernt.
War das Ausgehen für Sie auch ein Ausbrechen aus der Enge der DDR?
Als Kind und Teenager habe ich die Enge der DDR nur in der Schule zu spüren bekommen. Wir hatten West-Verwandtschaft. Das hat dazu geführt, dass ich in der Schule in den Gruppenrat musste, ich glaube so hieß das. Für jede Klasse gab es fünf, sechs Leute, die verschiedene Aufgaben zu erfüllen hatten. Und ich war der Agitator und musste die politische Wandzeitung machen, damit ich nicht zu weit vom Weg abkomme, vom sozialistischen Prinzip.
Im Nachtleben ist mir das nicht begegnet. Deswegen kann es schon sein, dass man dahin geflüchtet ist. Für mich war auch ein wichtiger Fluchtpunkt, Breakdance zu machen. Weil es so weit weg war von der Realität, in der wir gelebt haben. Da eine Identifikation zu finden, das war ganz eindeutig die Flucht und ein Gegenargument zu den Jugendkulturen, die der Staat sich gewünscht hätte.
Wie erinnern Sie den Mauerfall?
Lustigerweise war ich in der Disko, als das passiert ist, im Café Nord auf der Schönhauser Allee. Ich stand gerade auf der Tanzfläche und hatte ein Getränk in der Hand. Und dann hat der DJ durchgesagt, dass die Mauer offen sei. Mich hat das zuerst gar nicht so tangiert. Aber mein Freund, mit dem ich da war, hat gesagt: 'Wir müssen gucken gehen!' Wir sind vom Café Nord zur Bornholmer Straße gelaufen. Und da waren dann extrem viele Menschen, die schnellen Schrittes Richtung Grenze unterwegs waren. Das war alles wie im Rausch. Es war so surreal. Wir sind dann nach Westberlin gelaufen und haben einen U-Bahnhof gefunden und sind zum Kudamm. Und als wir da ankamen, war der Kudamm leer. Ich muss einer der ersten Menschen gewesen sein, der da rübergegangen ist.
Wie hat sich die Clubszene nach der Wende verändert?
Es hat vielleicht ein halbes Jahr gedauert, dann gab es die ersten illegalen Veranstaltungen in irgendwelchen Locations – Kulturhäusern oder leerstehenden, unbenutzten Hallen. Es war dann halt Brachland. Es war wie ein Eldorado. Du konntest neben einem Polizisten stehen und kiffen. Habe ich damals zwar nicht. Aber es war für zwei, drei Jahre eine sehr intensive Zeit mit wenig Regeln in Berlin. Und ich selbst habe 1990 dann angefangen Partys in einem Jugendclub zu veranstalten – nachdem ich dann einen Plattenspieler und Platten kaufen konnte. Und so ist das dann gewachsen.
Hat es eine Rolle auf der Tanzfläche gespielt, ob man aus dem Westen oder Osten kam?
Das war im Nachtleben ohne Bedeutung. Es war natürlich interessant, wenn man sich vermischt hat. Aber es waren eigentlich nicht so die Themen, über die man gesprochen hat. Es ging um die Musik, um das Ausgehen, um das gemeinsame Erleben. Um das Feiern dieser neu angebrochenen Zeit. Wir sind auf der Tanzfläche schnell eine gemeinsame Masse geworden. Es war auch nicht wichtig, ob du jung oder alt warst oder schwul.
Vermissen Sie diese Zeit?
Ich vermisse die Leichtigkeit, die damals stattgefunden hat. Die ist heute seltener zu spüren. Das hat aber, glaube ich, auch mit den Themen zu tun, mit denen wir uns generell heute in der Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Es gibt viele Dinge, die früher besser waren, aber am Ende waren sie nur anders und nicht wirklich besser.
Wie unterscheidet sich in Ihren Augen die heutige Feierszene von früher?
Damals war die ganze Angelegenheit neu. Heute ist es eher wie ein ausgelatschter Turnschuh. Mir fällt immer wieder auf, dass wir eine auf Musik basierte Jugendkultur hatten. Man merkt manchmal, dass die jungen Leute heute der Musik nicht so viel beimessen, sondern eher dem Drumherum. Manchmal denke ich, wir waren die letzte Jugend, die nochmal einen guten Soundtrack bekommen hat. Seitdem wiederholt sich alles immer nur noch aus meiner Sicht.
Das Nachtleben unterscheidet sich heute zu früher auch durch deutlich mehr Regeln. Ich fühle mich heutzutage dann oftmals doch eingeengt durch so viele Regeln. Oftmals finden Veranstaltungen statt, bei denen darauf hingewiesen wird, dieses oder jenes nicht zu tun. Das war anders damals: Alles und alle waren frei, ob allein oder miteinander und ohne Regeln. Die Menschen in den Clubs - trotz aller Unterschiedlichkeiten – hatten einen ähnlichen Blick auf viele Dinge oder haben diesen zumindest durch das nächtliche Miteinander gelernt. Respekt und Akzeptanz waren immer ein wichtiger Bestandteil bei allem und man musste niemandem sagen: 'Benimm Dich!' Das hat sich durch den "Mainstream Faktor" verändert. Mehr Menschen erfordern auf einmal mehr Regulierungen in allen möglichen Bereichen.
Fühlen Sie sich trotz dieser Veränderungen im Nachtleben noch zuhause?
Ich fühle mich in der Musik zuhause. Im Nachtleben fühle ich mich in Teilen zuhause – überwiegend, wenn ich arbeite. Weil ich dann die Möglichkeit habe, den Menschen was mitzugeben. Ich erlebe es heute noch, dass Leute mit Anfang 20 zu mir kommen, wenn ich vier, fünf Stunden aufgelegt habe und sagen: Das war das Tollste, was sie bisher im Nachtleben erlebt haben. Das heißt jetzt nicht, dass ich außergewöhnlich super bin. Aber ich habe einen gewissen Anspruch. Ich möchte den Leuten eine schöne Zeit mit der Musik geben. Und zwar mit Musik, die dir nicht direkt ins Gesicht springt, sondern die hintenrum kommt und die Emotionen auslöst, es soll ein Gesamtkonzept sein. Solange ich Menschen so erreiche und so ein Feedback bekomme, fühle ich mich auch zuhause.
Vielen Dank für das Interview
Mit DJ Jauche sprach Marie Röder für rbb|24.
Sendung: Exzess Berlin - Hauptstadt der Clubs (2), ARD Mediathek
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