Bloß nichts Falsches sagen?
Gerne sehen sich Berliner Theater als Orte der Debatte - nach den Terroranschlägen der Hamas aber haben sie auffällig zurückhaltend reagiert. Woran liegt das? Eine Analyse von Barbara Behrendt
Inwischen gibt es sie, die die Solidaritätsbekundungen der Theater mit den Opfern des Hamas-Terrors in Israel. Auf der Homepage des Berliner Ensembles liest man unter anderem den Satz:
"Die brutalen Terroranschläge der Hamas erschüttern uns zutiefst. Das Berliner Ensemble verurteilt die menschenverachtenden Gräueltaten und trauert um die Opfer dieser terroristischen Organisation, die mit allen Mitteln versucht, Israel und seine Bevölkerung auszulöschen, und die Bevölkerung des Gaza-Streifens in Geiselhaft für ihre Zwecke nimmt."
Verdruckster ist das Hebbel Theater am Ufer, wo man irgendwo unterm Online-Spielplan ebenfalls den Terror der Hamas verdammt, um dann mit dem lapidaren Satz zu enden:
"Wir sind in Gedanken bei allen Menschen in aktuellen Krisen- und Kriegsgebieten, die sich vor Bomben und Gewalt fürchten müssen."
Man will, das ist in vielen Statements zu spüren, bloß nichts Falsches sagen. Das Deutsche Theater hat seine Solidarität lediglich in den sozialen Medien bekundet. Von der Volksbühne heißt es auf Nachfrage, man habe sich bewusst gegen ein öffentliches Statement entschieden. Die Reaktionen auf Interviewanfragen sind generell zurückhaltend, vom Hebbel Theater heißt es, man könne dem Thema in wenigen Rundfunk-Sätzen nicht gerecht werden. Dann also lieber gar nichts sagen?
Man kann das als Armutszeugnis bewerten, wenn gerade den Theatern, die sich sonst als Orte der Debatte feiern, die Worte fehlen, während in Berlin wieder eine Synagoge brennt und das Holocaust-Mahnmal bewacht werden muss. Olaf Zimmermann, der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, sagte auf rbbkultur: "Wenn man das mal in den Vergleich setzt mit der Solidarität, die es im Kulturbereich nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine gegeben hat, ist das jetzt, finde ich, beschämend, sehr beschämend wenig."
Man kann aber auch konstatieren: Die Ohnmacht der Theater spiegelt die Unfähigkeit der gesamten Gesellschaft wider, sich zum Nahostkonflikt zu verhalten. Wenn es schon im Freundeskreis Bedenken gibt, zu einer Kundgebung "gegen Terror und Antisemitismus" zu gehen, weil das als Affront gegen Palästinenser:innen gewertet werden könnte, läuft etwas gewaltig schief. Stehst du solidarisch mit Israel gegen die Hamas, musst du gegen die Menschen im Gazastreifen sein, so der falsche Kurzschluss.
Die Verständigung jüdischer und palästinensischer Berliner:innen scheint momentan auch in der Kultur unmöglich. Beim Blick aufs Maxim Gorki Theater wirkt es, als zerschlage der Terror das multi-ethnische Ensemble. Das Haus hatte auf Wunsch der israelischen Regisseurin Yael Ronen die Vorstellung ihres Stücks "The Situation" abgesagt, ein satirischer Abend, in dem die syrischen, palästinensischen und jüdischen Schaupieler:innen anhand ihrer Biografien den Nahostkonflikt durchdeklinieren. In einer zugehörigen Erklärung schreibt das Theater unter anderem: "Jetzt ruft die Hamas dazu auf, jüdische Einrichtungen in Deutschland zu attackieren. Das stellt uns an die Seite aller jüdischen Menschen in Deutschland."
Zwei palästinensische Schauspieler:innen, die in "The Situation" auf der Bühne stehen, reagierten darauf mit öffentlichen Statements, aus denen tiefe Verletzung und Aggression spricht: "'The Situation' kam 2015 heraus, zwei Jahre, nachdem meine drei Brüder verhaftet und für acht Jahre in israelische Gefängnisse gesteckt wurden", schreibt Karim Daoud.
Und weiter: "Es war eine schwierige Reise, Palästina zu verlassen, es nach Berlin zu schaffen, während meine Brüder verhaftet waren. Ich kam schließlich an eurer Bühne an, wo ich das Gefühl hatte, mich so ausdrücken zu können, wie ich das möchte. Ich habe mich akzeptiert gefühlt, jenseits von Religion, Nationalität und verschiedenen kulturellen Hintergründen."
Das Theater sei nun eine Enttäuschung, sein Standpunkt bei dem, was gerade geschehe, sei beschämend, so Daoud. Es habe die Seite der Okkupation gewählt, die "seit dem 7. Oktober 2023 2.680 Zivilsten getötet hat, die meisten darunter Frauen und Kinder". Der Schauspieler fragt: "Wie kann das immer noch geschehen? Auf der Seite des Unterdrückers und auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen?"
Das Gorki auf der falschen Seite der Geschichte – schwere, radikale Vorwürfe. Die Schauspielerin Maryam Abu Khaled schreibt in einem langen Statement unter anderem den Satz: "An der Seite Israels zu stehen, war eure Entscheidung, aber ich kann die Respektlosigkeit und Ignoranz nicht akzeptieren, die sich darin gegenüber der anderen Seite zeigt, mein Volk und meine Familie eingeschlossen, die in konstanter Angst leben."
Nach acht Jahren "The Situation" auf der Bühne scheint nun alle Annäherung gescheitert. Die Intendantin Shermin Langhoff will sich auf Nachfrage dazu nicht äußern.
Doch was bleibt uns außer reden? So langsam finden zumindest einige Theater ihre Stimmen wieder. Die Schaubühne hat die Diskussionsreihe "Streitraum" für kommenden Sonntag umbesetzt und spricht mit jüdischen und palästinensischen Intellektuellen über die Gewalt im Nahen Osten.
Am Deutschen Theater ist bislang noch nichts geplant, die Intendantin Iris Laufenberg äußert sich dazu schriftlich: "Theater kann politisch-visionär sein, ohne tagespolitisch schnell zu reagieren. Dennoch müssen auch wir uns mit dem auseinandersetzen, was gesellschafts- und weltpolitisch passiert (…). Wir sind hier in verschiedenen Überlegungen und werden mit den Kolleg:innen von DT Kontext an Veranstaltungen arbeiten und dazu einladen."
Das Berliner Ensemble plant ein Podium zum Thema für den geschichtsträchtigen 9. November. Es ist höchste Zeit. Schließlich ist der Nahost-Konflikt längst in Berlin angekommen.
Sendung: rbb Kultur, 25.10.2023, 14:55 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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