Filmplakate-Ausstellung in Berlin
Rund 5.000 Filmplakate umfasst die Sammlung der Kunstbibliothek Berlin. Jetzt wird dieser Schatz zum ersten Mal im großen Stil zugänglich gemacht und einige hundert Exemplare ausgestellt. Von Anke Sterneborg
Da nähert er sich, der große weiße Hai, mit dem Steven Spielberg 1975 Kinogeschichte geschrieben hat. Auf dem Plakat ist ein riesiges, aufgerissenes Haifischmaul zu sehen, darüber arglos schwimmend eine junge Frau. Das Plakat will Aufmerksamkeit erregen, Interesse wecken, neugierig machen, zum Nervenkitzel einladen - also zum Kauf eines Kinotickets verführen.
Rund 300 der tausenden Plakate sind derzeit in den zwei Sälen der Kunstbibliothek am Kulturforum ausgestellt, Plakate aus fast 120 Jahren Filmgeschichte, das älteste stammt von 1905 und bewirbt großformatig einen Kurzfilm über den russisch-japanischen Krieg. Zu den jüngsten gehört das aktuelle Plakat für Greta Gerwigs "Barbie"-Film aus diesem Jahr.
Die Ausstellung ist in Zusammenarbeit mit der Kinemathek und der Berlinale entstanden, doch der Film spiele im Grunde nur eine untergeordnete Rolle, sagt Co-Kuratorin Christina Thomsen: "Wir betrachten das Filmplakat aus der Sicht des Grafikdesigns. Das ist ja das, was die Stärke der Sammlung der Kunstbibliothek ausmacht. Wir sind keine Sammlung zum Thema Film, auch keine Sammlung zum Thema Geschichte, obwohl das alles Themen sind, die wir mit behandeln." Es gehe vor allem um den grafischen Blick auf das Medium. "Und wenn man diese Brille aufhat, ist das Filmplakat ein ganz besonderes Faszinosum, weil es viel stärker als so manches andere Medium in dieser Schere zwischen Kunst und Kommerz gefangen ist, weil es da viel stärkere Zwänge erfährt als andere", so Thomsen.
Das Filmplakat soll eine Ware verkaufen, die Essenz des Films verdichten und hat zugleich künstlerischen Anspruch. Das lässt sich an der Vielfalt der Exponate wunderbar ablesen, denn es gibt viel zu entdecken, angefangen mit den düster expressionistischen Lithografien, die große Grafiker wie Josef Fenneker und Hans Poelzig für die Horror-Stummfilme der Zwanziger- und Dreißigerjahre entwarfen, mit stürzenden Linien und markanten Schattenspielen, etwa für "Der Golem wie er in die Welt kam" oder "Genuine". Ein Herzstück dieses Ausstellungsteils ist das gut zwei mal drei Meter große Plakat zu "Metropolis", das wohl einzige noch erhaltene Original mit den stilisierten Wolkenkratzern, auf denen die roten Buchstaben des Titels ruhen, als wären sie ein krönender Teil davon.
Während die Plakate an den blauen Außenwänden des Ausstellungsraums chronologisch gereiht sind und den stilistischen Wandel im Spiegel der Zeiten zeigen, gibt es im Inneren der Räume rote Stellwände, auf denen spezifische Themen erschlossen werden: So kann man die verschiedenen nationalen Variationen der Plakate für den Film "Planet der Affen" bestaunen, verschiedene Entwurfsstadien eines Plakats mit dem finalen Design vergleichen, oder den Film als Marke betrachten, die weltweit immer gleich aussieht, mit den prägnanten Logos von "Batman" und "Ghostbusters", oder der Marionetten-Hand, die in allen Ländern der Welt auf den Plakaten für Francis Ford Coppolas "Der Pate" zu sehen war.
Auch die beratenden Kuratoren der Kinemathek durften eine solche Wand bespielen, wie Kristina Jaspers beim Rundgang durch die Ausstellung erzählt: "Wir haben uns für das Wiederaufführungsplakat entschieden, und zwar aus den 50er, 60er Jahren, wo es zwei wichtige Verleihfirmen in Deutschland gab, Atlas Film und Neue Filmkunst, die Klassiker noch mal neu ins Kino gebracht und dafür wirklich bedeutende Grafikerinnen und Grafiker beauftragt haben", sagt Jaspers.
Ein Beispiel sei das Originalplakat zum "Boxer" im Vergleich zu der Neuvermarktung des gleichen Films aus den 60er Jahren, ein anderes das Plakat von Isolde Baumgart zu "Kinder des Olymp". Das beeindrucke Jaspers besonders, weil Baumgart "ein historisches Filmstill-Foto nimmt, es in die Unschärfe bringt und dann nur Konfetti drüberstreut und auf diese Weise auch das Vergangene sichtbar macht." Die Grafiker hätten sich die Filme und die historische Grafik angesehen und diese dann zitiert oder modifiziert und sie so zu einem Kommunikationsmedium für ihre Zeit gemacht. Buster Keatons "Der Boxer" in den sechziger Jahren wird beispielsweise mit schwarzweißer Grafik beworben, auf der der berühmte Komiker mit der reglosen Miene hinter einem riesigen Boxhandschuh kaum noch zu erkennen ist.
Leicht könnte man in dieser Ausstellung in wehmütige "Früher war alles besser-Nostalgie" verfallen, etwa wenn man die abstrakt geometrische Dynamik des extrem hochformatigen Plakats zum Stummfilm "Asphalt" bewundert, das verspielt stilisierte Plakatmotiv zu Kurosawas "Sieben Samurai" bestaunt, auf dem sich gelbe, blaue, grüne und roten Silhouetten tänzerisch bekämpfen oder das Plakat für den ungarischen Kriminalfilm "Foto Háber", auf dem der Fotograf mit seinem Kamerastativ zur schwarzen Silhouette verschmilzt. Immer stärker wurde das Malerische aus den Plakaten verdrängt, zugunsten der Pixel der Computergrafik, bis sich auf dem Plakat von "Barbie" Ryan Gosling und Margot Robbie nur noch auf einem stilisierten Barbie-B räkeln.
Eine ungeheure Vielfalt an Formen, Farben und Techniken eröffnet sich in dieser Ausstellung, jenseits der Marktzwänge ist das sogenannte Key-Art-Design auch heute noch eine kreative Spielwiese, und es macht Spaß, den Geschmackswandel der Zeiten abzulesen, bis hin zur Typografie der Buchstaben und Zahlen. "Filmplakate wollen ja immer verführen, sie zeigen uns unsere Sehnsüchte, sie zeigen uns die Stars, in die wir uns verlieben, sie zeigen die Genres von Melodram bis Action, in einer Art Lifestyle-Kondensat. Sehr spannend ist dabei, dass in der Typografie, in der Grafik so viel ausgesagt wird über die Zeit, in der der Film gedreht wurde", sagt Kristina Jaspers.
Es gibt viel zu staunen, und viel zu lernen in diesem opulenten Abriss der Geschichte des Filmplakats. Geleitet wird man dabei auch von 24 prominenten Menschen aus der Filmszene, die ihr Lieblingsplakat auswählen und vorstellen durften, unter anderem dabei, die Schauspieler*innen Albrecht Schuch und Jasmin Tabatabai, die Regisseurin Ulrike Ottinger, die auch mit mehreren eigenen Plakatentwürfen in der Ausstellung vertreten ist, und der Noch-Leiter der Berlinale Carlo Chatrian.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.11.2023, 16.55 Uhr
Beitrag von Anke Sterneborg
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