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Fazit | 33. Filmfestival Cottbus
Der Wettbewerb des 33. Filmfestivals Cottbus ist geprägt von historischen Stoffen. Der schönste Beitrag dagegen spielt in einer Art Paralleluniversum - und in gleich zwei Filmen tauchen Zombies auf. Von Fabian Wallmeier
1973, 1985, 1986, 1987, 1989, irgendwann in den 1990ern, ein paar Jahre in der Zukunft: Die Mehrheit der Filme im Wettbewerb des 33. Filmfestivals Cottbus sind nicht in der Gegenwart angesiedelt. Das ist auf der einen Seite erstaunlich, denn es ist ja nicht so, als gäbe es keine aufregenden, relevanten Geschichten über das Osteuropa von heute zu erzählen.
Schaut man aber genauer hin, ist diese Häufung von historischen Stoffen dann aber doch nicht verwunderlich: Zum einen verweist die Betrachtung der Geschichten von damals natürlich immer auch auf die Gegenwart. Zum anderen hat das Cottbuser Festival des osteuropäischen Films sich seit seiner Gründung nicht nur für den Blick auf heute interessiert, sondern ganz besonders auch für den Blick zurück. Die Verarbeitung, museale Abbildung und Neubetrachtung des Lebens hinter dem Eisernen Vorhang.
Am eindrücklichsten gelingt dieser Blick zurück dem georgischen Beitrag "Patient #1", für den Rezo Gigineishvili am Samstagabend den Spezialpreis für die beste Regie erhielt. Der Film erzählt von den letzten Lebenswochen des sowjetischen Staatsoberhauptes Konstantin Tschernenko in einem Moskauer Krankenhaus.
Abgeschottet von Teilen der politischen Geschehnisse um ihn herum und auch von der Ernsthaftigkeit seines Gesundheitszustands, entgleitet ihm die Wirklichkeit zunehmend - und mit ihr seine real existierende Macht. Das Hauptaugenmerk bei der Therapie des Patienten ist eindeutig: Er soll bei der anstehenden Wahl selbstständig die 17 Schritte zur Wahlurne gehen können, damit die Kameras beweisen können, dass er noch ausreichend vital für sein Amt ist.
Leiernd und verwaschen gibt Tschernenko Anweisungen, die der Staatsapparat teils nur zum Schein erfüllt. Einmal verlangt er, trotz seiner offenkundigen Angeschlagenheit, augenblicklich in den Kreml gefahren zu werden. Der Genosse Generalsekretär wird auf den Rücksitz einer Limousine verfrachtet und wie ein Baby, das nicht zur Ruhe kommt, so lange im Kreis gefahren, bis er eingeschlafen ist. Und ab geht es zurück ins Krankenhaus.
Wie gut der Apparat auch ohne den angeschlagenen Staatschef noch funktioniert, bekommt auch die zweite Hauptfigur des Films zu spüren: Krankenschwester Sascha wird zur Pflege Tschernenkos abgestellt - und genauestens überwacht, befragt, unterdrückt. Als sie einmal tanzen geht, wird sie von drei Männern einkassiert und ins Krankenhaus gebracht.
Auch im Zusammenspiel der beiden exzellenten Hauptdarsteller:innen Aleksandr Filippenko und lga Makeeva gelingt Gigineishvili ein vielstimmiges, angemessen uneindeutiges Kaleidoskop. Ein kluger, in weiten Teilen kammerspielartig beklemmender, aber auch zarter Film über das Schwinden der Macht, der aber niemals ausblendet, was die Macht mit Menschen anstellt und umgekehrt.
Zeitlich etwas näher Richtung Gegenwart rückt der Sieger des Hauptpreises: "Forever-Forever" von der Ukrainerin Anna Buryachkova spielt irgendwann gegen Ende der 1990er Jahre und atmet doch leider sehr die Klischees, die man (durchaus zu Unrecht natürlich) mit dem osteuropäischen Kino verbinden mag: Im Mittelpunkt steht eine recht trost- und hoffnungslose Existenz in einem Plattenbau in Kyiw.
Die Schülerin Tonia wurde von ihrem Ex vermöbelt und ist an eine neue Schule gekommen. Dort findet sie zwar schnell eine neue Freundin, die ihr eine verheißungsvolle Partywelt öffnet, obschon sich der Glamour-Faktor in Grenzen hält in der leicht heruntergerockten Gardinenhaftigkeit der Wohnung, in der sie stattfinden. Doch vor allem sind die alten Konflikte nicht ausgestanden - und neue kommen dazu: Zwei Jungen erobern ihr Herz, die kleine Schwester gerät an einen zwielichtigen Typen und Tonia scheint insgesamt nicht ganz hinterherzukommen mit dem Erwachsenwerden.
Ein Film, der zwar schön die zarte, ungelenke erste Liebe einfängt, die Tristesse aber niemals ganz ablegt - und gerade dadurch dann doch wieder eine gewisse Allgemeingültigkeit erreicht: Gewidmet wird "Forever-Forever" im Abspann "allen Teenagern der 90er" - und wer damals ein Teenager war, ob in Kyiw, Cottbus oder Chicago, wird vielleicht ein Stück von sich in diesem Film wiederfinden.
Der beste Film des Wettbewerbs sticht auch dadurch heraus, dass er sich nicht ganz eindeutig zeitlich verorten lässt: Elene Naverianis hinreißende Tragikomödie "Blackbird Blackbird Blackberry" ("Die Amsel im Brombeerstrauch") spielt in einem abgelegenen georgischen Dorf - und auch wenn hier und da Handys und Autos eine ungefähre Gegenwärtigkeit markieren, kann man sich getrost einer schönen Illusion hingeben: Diese pastellsatt ausstaffierte Dorf-Ödnis ist in einem Parallel-Universum angesiedelt, mit leichten Anleihen bei Wes Anderson und Aki Kaurismäki.
Der Film dreht sich um Etero, eine alleinstehende Frau Ende 40, die ihr selbstbestimmtes, trotzig randständiges Leben permanent gegen die Konventionen der Dorfgemeinschaft verteidigen muss. Mit wenig Interesse betreibt sie eine kläglich ausgestattete Drogerie, doch lieber geht sie am Flusshang Brombeeren pflücken - was ihr gleich zu Beginn des Films durch einen falschen Schritt eine Nahtoderfahrung bereitet. Die führt zu einer ungewohnten Offenheit: Noch am selben Tag verführt sie, einem Impuls folgend, ihren Lieferanten. Doch durch diese aufblühende Liebe ihr Leben grundsätzlich in Frage stellen? Kommt nicht in Frage. Brombeeren seien immer schon ihre Eltern, Geschwister und Freunde gewesen, sagt sie einmal - und daran habe sich nichts geändert.
Eka Chavleishvili verleiht Etero eine unerschütterliche Würde und zugleich eine fast jugendlich anmutenden Charme. Vollkommen zurecht wurde sie mit dem Preis für eine herausragende schauspielerische Einzelleistung gewürdigt.
Ganz eindeutig gegenwärtig gerät dagegen einer der polnischen Beiträge: "It Came from the Water" entstand als Reaktion auf die Corona-Lockdowns und deren Auswirkungen auf Schüler:innen. Eine Gruppe von Abiturient:innen fährt nach der Abschlussprüfung auf das prunkvolle Anwesen eines Mitschülers am Meer. Die Geschichte entwickelt sich schnell zu einem wilden Mix aus Öko-Thriller, Teen-Sex-Comedy und Zombie-Splatter. Es ist übrigens der zweite Film mit Zombies im Wettbewerb: Vardan Tozijas "M" erzählt so kühl wie herzzerreißend von einem Achtjährigen, der sich in einer nicht näher bestimmten Zukunft durch eine postapokalyptischen Ödnis schlagen muss.
Von Tonfall her ist "It Came from the Water" natürlich vollkommen anders: ein komplett überdrehter und in weiten Teilen ziemlich blöder und überfrachteter Film. Doch er reiht sich in eine schöne Cottbuser Tradition ein: Am späteren Abend programmiert das Festival auch im Wettbewerb gern Filme, die hemmungslos den albernsten Spielarten des prallen Action-Blockbuster-Kinos frönen.
In diese Reihe passt auch die unwesentlich geistreichere Kung-Fu-Comedy "The Invisible Fight" aus Estland. Der Film erzählt von einem Soldaten, der seine wahre Berufung erkennt und in einem (wohlgemerkt katholischen) Mönchskloster landet, um seine Selbstbeherrschung und Kampfkunst zu trainieren. Hauptdarsteller Ursel Tilk, mit irrem Dauergrinsen unterm schlecht gestutzten Pornobalken, schlittert in immer aberwitzigere Situationen.
Optisch ist der Film so verfremdet, dass er mit seinen Streifen und aufblitzenden Lichtern an eine in die Jahre gekommene analoge Filmkopie aus dem Jahr erinnert, in dem er spielt: 1973. Einen Film mit den Mitteln von heute so zu bearbeiten, dass er den Geist des Genrekinos der Vergangenheit atmet - auch das ist Kino der Gegenwart.
Offenlegung: Das Preisgeld für die beste Regie (7.500 Euro) wurde auch in diesem Jahr vom rbb gestiftet. Die Entscheidung über die Preisvergabe oblag wie immer ausschließlich der Jury
Sendung: rbb Kultur - Das Magazin, 11.11.2023 18:30 Uhr
Beitrag von Fabian Wallmeier
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