Lange hat die Kulturszene geschwiegen nach dem Massaker der Hamas in Israel am 7. Oktober. Der Pianist Igor Levit hat jetzt Künstler und Prominente aus allen Branchen zu einem Solidaritätskonzert angefragt. Die Resonanz war riesig. Von Maria Ossowski
In viereinhalb Minuten waren die über 700 Plätze des Berliner Ensembles verkauft. Jede Künstlerin, jeder Prominente des Abends hätte das auch mit einem Solo-Programm geschafft, allen voran der Pianist Igor Levit. Gemeinsam aber haben sie alle in knapp vier Stunden eine überwältigende Kraft entwickelt nach so vielen Wochen des Schweigens der Mehrheit und der Hassparolen gegen Juden. Der Publizist Michel Friedman hat mit Igor Levit zusammen in wenigen Tagen diese erste große Solidaritätsveranstaltung der Kulturszene organisiert.
Michel Friedman am Solidaritätsabend "Gegen das Schweigen. Gegen Antisemitismus." | Quelle: rbb
"An was soll ich glauben, wenn nicht an uns Menschen?"
"Wir sind heute hier zusammengekommen, weil wir gespürt haben, dass es Menschen in unserem Land gibt, die sagen: Einige sind niemand. Und weil wir dafür stehen, dass jeder jemand ist und weil wir wissen, wie wir auch irgendwann ein Niemand sein können. Und dass wir uns brauchen und dass wir uns aufeinander verlassen können müssen", sagte Michel Friedman in seiner Rede. "Wochenlang war die große Öffentlichkeit nicht da, die Theater und die Kunst haben sehr wenig gemacht, aber heute haben wir was gemacht. Ich habe zwei Kinder. An was soll ich glauben, wenn nicht an uns Menschen? Ich werde heute abend nach Hause gehen, und morgen ist wieder ein Tag. Und ich werde dafür kämpfen, dass jeder jemand ist."
Unter dem Motto "Gegen das Schweigen" findet am Montag ein Solidaritätskonzert im Berliner Ensemble statt. Ein Zeichen gegen den sich ausbreitenden Antisemitismus - es geht aber auch um die Haltung der Kulturszene. Ein Gespräch mit Mitinitiator Michel Friedman.
Luisa Neubauer liest Carolin Emckes Text gegen den Hass
Mendelssohn trifft auf Campino von den Toten Hosen und die Schauspielerin Katharina Thalbach liest Karl Valentin. Regisseurin Maria Schrader, Liedermacher Wolf Biermann, Fernsehkoch Tim Mälzer, Klarinettist Jörg Widman und die Dirigentin Joana Mallwitz, sie alle engagieren sich ohne Gage an diesem Abend und positionieren sich gegen Judenhass.
Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer liest Carolin Emckes Text gegen den Hass: "Manchmal frage ich mich, ob ich sie beneiden sollte, manchmal frage ich mich, wie sie das können, so zu hassen. Wie sie sich so sicher sein können, denn das müssen die Hassenden sein. Sicher. Sonst würden sie nicht so sprechen, so verletzen, so morden. Sonst könnten sie andere nicht so herabwürdigen, demütigen, angreifen. Sie müssen sich sicher sein. Ohne jeden Zweifel".
Margot Friedländer spricht am Solidaritätsabend. | Quelle: rbb
Die 102-jährige Margot Friedländer hat im Berlin der Nazizeit diesen Hass kennengelernt und ist dennoch nach langen Jahren der Emigration aus den USA zurückgekehrt. "Als ich zurückgekommen bin 2010, hätte ich mir nicht vorstellen können, dass sich etwas ändern würde. Es war wunderbar, alles war gut. Ich bin entsetzt, was jetzt sich aufgetan hat."
Eine große poetische Stimme Israels war Yehuda Amichai. Maria Schrader erinnert an ihn mit seinem Gedicht "Der Ort, an dem wir recht haben": "An dem Ort, an dem wir Recht haben, werden niemals Blumen wachsen im Frühjahr. Der Ort, an dem wir Recht haben, ist zertrampelt und hart wie ein Hof. Zweifel und Liebe aber lockern die Welt auf. Wie ein Maulwurf, wie ein Pflug, und ein Flüstern wird hörbar an dem Ort, wo das Haus stand, das zerstört wurde."
Die Toten Hosen spielen im Berliner Ensemble. | Quelle: rbb
"Du lass nicht verhärten in dieser harten Zeit"
Wolf Biermann widmet sein berühmtes Lied "Ermutigung" den Palästinensern, die mögen sich endlich befreien vom Joch der Unmündigkeit durch die Hamas und er warnt: "Du lass nicht verhärten in dieser harten Zeit".
Campino von den Toten Hosen erzählt, er würde seine Eltern verraten, wenn er sich jetzt raushielte, er singt: "Die Welt steht grad auf ihrem Kopf, die Welt hat sich gedreht, ein Grauen Schatten liegt auf unserem Weg. Unter den Wolken wird’s mit der Freiheit langsam schwer, wenn wir hier und heute alle wie betäubt sind".
Mindestens 15 Mal will Igor Levit einen Abend dieser Art deutschlandweit organisieren. Er zeigt, wie viel politisches Engagement in der Kulturszene möglich ist.
Der Solidaritätsabend im Berliner Ensemble ist in voller Länge mit Klick auf den Playbutton oben im Bild oder in der ARD-Mediathek nachzuschauen.