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Interview | Michel Friedman
Unter dem Motto "Gegen das Schweigen" findet am Montag ein Solidaritätskonzert im Berliner Ensemble statt. Ein Zeichen gegen den sich ausbreitenden Antisemitismus - es geht aber auch um die Haltung der Kulturszene. Ein Gespräch mit Mitinitiator Michel Friedman.
rbb: Herr Friedman, der Pianist Igor Levit hat kürzlich in einem Interview gesagt, dass er sich derzeit sehr einsam fühlt als Jude in Deutschland. Wie geht es Ihnen?
Michel Friedman: Machen wir uns nichts vor: Dieses laute Schweigen der Gesamtgesellschaft ist schon sehr auffällig. Wenn ich überlege, wie viel Empathie man in Deutschland hatte für die Frauen in Iran, die so mutig für ihre Emanzipation kämpften oder für die Ukraine, die völkerrechtswidrig angegriffen wurde.
Für jeden ist - zurecht - Empathie dagewesen. Für jeden ist diese spontane Reaktion dagewesen: Wir gehen auf die Straße, wir hängen Flaggen auf. Aber wenn es um Juden geht, war es relativ still in diesem Land und das ist beunruhigend.
Denn hier geht es ja um eine ganz klare Aussage. Vergessen wir mal den Nahen Osten. In Berlin und anderen Städten wurde geschrien "Tod den Juden". Das heißt auch Tod der Demokratie. Aber wenn das Wort Jude fällt, ist die Mauer, die Hemmung anscheinend größer als alles andere.
Welche Emotion verbinden Sie mit dem 7. Oktober?
Trauer. Es sind tausende Menschen auf eine Art und Weise umgebracht worden, wo man gemerkt hat, das Menschsein spielte keine Rolle mehr. Es ging um den Juden, den man umbringen wollte. Die Entmenschlichung dieser Todesmaschinerie ist eindeutig sichtbar, der Sadismus, vielleicht sogar die Gleichgültigkeit der Mörder gegenüber den Ermordeten.
Das Allerschlimmste aber folgt: Der Stolz darauf, in den sozialen Medien Babys ohne Kopf zu zeigen, verbrannte Menschen zu zeigen. Also mit einer inneren Freude, mit Stolz, öffentlich zu zeigen: Hier! Schaut euch diese Babyköpfe an! Und wir haben sie getötet! Das ist die Geschichte, die in den sozialen Medien erzählt wurde.
Wie gehen Sie mit dieser Grausamkeit um?
Trauer dauert. Der Schock ist da. Die Menschen, die unmittelbar betroffen waren, die Angehörigen in Israel brauchten viel Zeit. Aber selbst ich als Jude in Deutschland brauchte viel Zeit. Denn der Angriff der Hamas war ein Angriff auf alle Juden. Die Symbolik dieser Art von Tötung sollte eine Erinnerung an die Entmenschlichung des Juden darstellen - das, was ja übrigens auch die Nazis getan haben, als sie sie ermordeten. Sie entmenschlichten sie, sie gaben ihnen Nummern, und sie verloren ihre Namensidentität.
Für diese Trauer braucht man Zeit. Diese Zeit wurde schnell, sehr schnell weggenommen. Ersetzt wurde sie dann durch unendliche und unsägliche "Ja, aber"-Debatten.
Menschen wurden umgebracht, in Berlin wurde "Tod den Juden" skandiert. Wie kann dann irgendein "aber" überhaupt noch möglich sein? Eindeutiger wer die Täter und wer die Opfer waren, kann es doch gar nicht sein. Und wenn dann auch noch Brandsätze gegen eine Synagoge geworfen werden, ist klar: Es geht um uns alle, nicht nur um die Juden in Israel. Spätestens dann haben wir auch die Gefahr erkannt, die Angst bekommen und das Alleinsein in dieser Angst gefühlt. Das war schon etwas sehr Traumatisches.
Vor dem Hintergrund des Klimas, das Sie gerade beschrieben haben: Was kann ein Abend wie der im Berliner Ensemble wirklich ausrichten?
Wir haben feststellen müssen, dass nicht nur die Breite der Bevölkerung kaum reagiert hat, sondern vor allem die Kunstinstitutionen nicht. Das hat mich ehrlich verärgert und enttäuscht. Gerade in den Kunstinstitutionen, an denen ich auch arbeite und aktiv bin, haben wir enorm viel geleistet bei den Frauen des Irans. Wir haben Veranstaltungen, Solidaritätskonzerte gemacht. Die Theater und andere Kulturhäuser wurden bei der Ukraine-Krise mit der ukrainischen Flagge markiert. Nur beim israelischen Problem, da sind die Theater und andere Kulturinstitutionen nicht in der Lage, eindeutige Signale der Solidarität zu leisten.
In der Kulturszene, in der Elitenszene wurde das "aber" - dieses Wort kann ich eigentlich kaum ertragen - immer größer. Und wenn wir jetzt ein paar Wochen nach dem Angriff reflektieren: Es werden immer noch antisemitische Demonstrationen angemeldet. Immer noch kommen Sprüche wie "Juden sind an allem schuld". Und all diese Demonstrationen sind aus drei Ecken bedient: rechtsextrem, linksextrem und islamistischer Judenhass. Und da können Kulturinstitutionen ihr Gesicht nicht zeigen? Da können sie sich nicht solidarisieren mit der Minderheit? Das ist beschämend. Und was wir mit Igor Levit und Oliver Reese versucht haben zu zeigen: So hilflos und so schweigsam möchten wir nicht bleiben. Und wenn die anderen nichts tun, dann tun wir eben etwas.
Welche Reaktion gab es auf diese Initiative hin?
Die Resonanz der Angesprochenen war wunderbar. Es gab Künstler, Schriftstellerinnen, Schauspieler und Musikerinnen, die dann auf uns zugekommen sind, nachdem sie gehört haben, dass wir das machen. Das Theater war sofort bereit eine maximale Leistung zu bringen. Wir machen das alles ehrenamtlich. Und wir haben etwas bemerkt, das uns sehr ermutigt hat.
Die Karten waren nach vier Minuten ausverkauft. Das schaffen normalerweise Popgrößen wie Britney Spears. Der Ertrag des Abends soll an eine Gruppe gehen, die sich mit diesem Rassismus und mit dem Judenhass beschäftigt und mit jungen Menschen arbeitet.* Das ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Vielleicht spät – aber nie zu spät – kommen dann auch noch andere auf die Idee und machen Initiativen.
Wen wollen Sie noch mit diesem Abend erreichen?
Es ist eine Veranstaltung für uns alle. Der Antisemitismus hört nicht auf. Er ist eine kulturelle, strukturelle Problematik in unserer Gesellschaft. Der Rassismus hört auch nicht auf. Beides sind solche Giftquellen. Sie vergiften einerseits die Hassenden, aber sie vergiften auch die Gesellschaft. Denn diese Gesellschaft steht immer noch auf dem Boden von Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Also auch die des jüdischen Menschen, des Schwarzen Menschen, des schwulen Menschen. Es ist der Mensch, der unantastbar ist.
Und so gesehen geht es um eine Demokratiefrage. Und wer nicht begreift, dass man sich jetzt nicht nur für Juden engagiert, sondern für die Würde des Menschen, die unantastbar bleiben soll, der wird sich wundern, wie schnell diese autoritären und gewaltbereiten Gruppen sich die nächsten Opfer suchen. Eins muss man wissen: Diese Gruppen sind hungrig. Und wenn sie die einen hinter sich gebracht haben, wollen sie die nächsten haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Hadnet Tesfai für rbbKultur - das Magazin. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung.
*Anmerkung der Redaktion: Die Erlöse des Abends gehen an die Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung OFEK e.V. und die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus KIgA e.V.
Sendung: rbb Kultur, 25.11.2023, 18:30 Uhr
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