Kulturszene und Opposition kritisieren Vorgehen des Kultursenators
Seit Ende Dezember müssen in Berlin öffentliche Fördergelder an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus geknüpft sein. Doch an dieser Klausel gibt es viel Kritik aus der Kulturszene und der Opposition. Von Leonie Schwarzer
Vergangene Woche hatte die Kulturverwaltung angekündigt, dass öffentliche Fördergelder künftig an eine Antidiskriminierungsklausel gekoppelt sind. Unterstützung bekommt nur, wer sich gegen jede Form von Antisemitismus wendet. Grundlage ist die Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Doch an dieser neuen Klausel gibt es viel Kritik, zunächst aus der Kulturszene – und im Kulturausschuss dann auch aus der Politik.
In einem offenen Brief kritisieren Kulturschaffende die Klausel als "Bekenntniszwang", die Maßnahme würden ohne vorherige offene Debatte durchgeführt. Am Montag legen verschiedene Kulturverbände mit einem öffentlichen Appell nach: Sie würden "Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus sowie Maßnahmen gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus" begrüßen, doch die neue Antidiskriminierungsklausel verfehle die angestrebten Ziele. Insbesondere die Verwendung der IHRA-Definition wird kritisiert, sie sei nicht für solche Zwecke gedacht.
Am Montag dann die erste Vorstellung der Klausel im Abgeordnetenhaus. Vor der Tür eine Demonstration, das Thema bewegt die Berliner Kulturszene. Eingeladen ins Abgeordnetenhaus sind Vertreterinnen und Vertreter, unter anderem der Intendant des Berliner Ensembles. "Mir fällt es nicht schwer, eine Erklärung gegen Antisemitismus zu unterschreiben", sagt Oliver Reese. Es sei richtig, sich gegen Antisemitismus einzusetzen.
An seinem Haus, dem Berliner Ensemble, gebe es schon seit mehreren Jahren einen Verhaltenskodex, mit dem werde sich gegen Diskriminierung und Rassismus ausgesprochen. "Ich würde so eine Erklärung aber grundsätzlich gerne aus eigener Überzeugung und freiwillig unterschreiben." Auch Kulturmanagerin Sonia Simmenauer spricht sich gegen die Verpflichtung aus. Der Bekenntniszwang führe zu Ausgrenzung, sagt sie, er verhindere den Dialog. "Diese wohlgemeinte Regelung könnte zum roten Teppich mutieren, um Kunst und Kultur als Sprachrohr der Politik zu installieren." Kurzum: Die Berliner Kulturszene fühlt sich übergangen, sieht die Klausel als Eingriff in die Kunstfreiheit.
Kritik an Chialos Vorgehensweise
Und sie ist nicht allein – die Opposition kritisiert vor allem, dass bereits Fakten geschaffen worden sind. Denn: Die Klausel gilt seit dem 21. Dezember, neue Förderbescheide werden schon mit der Klausel versehen. Manuela Schmidt von den Linken sagt, sie sei verwundert über den gewählten Weg. Warum sei vor dem Festzurren der Klausel nicht mit den Künstlerinnen und Künstlern diskutiert worden, fragt sie den Kultursenator. Parteikollegin Elke Breitenbach kritisiert: Es sei kein Gesprächsangebot, wenn der Senator etwas hinlege und dann darüber reden wolle. "Ich finde, dass Sie viel Porzellan zerschlagen haben", so die Linken-Abgeordnete.
Kultursenator Joe Chialo (CDU) verteidigt seine Klausel, betont: Die Grundlage sei schon vor fünf Jahren beschlossen worden. 2019 hatte der damalige Senat ein Konzept zur Bekämpfung von Antisemitismus verabschiedet. Und Chialo weist daraufhin, dass Schleswig-Holstein so eine Klausel bereits beschlossen habe. "Der 7. 10. war eine Zäsur", sagt er mehrmals. Viele Jüdinnen und Juden hätten Angst, die Ereignisse in Berlin hätten ihn umgetrieben. Er wolle nicht im Nichtstun verharren, er wolle handeln. Chialo erklärt, er verstehe die lauten Rufe nach dem Schutz der Kunstfreiheit, aber es gebe kein Recht auf kulturelle Förderung.
Ein Israel-kritischer Verein hält eine Veranstaltung im Kulturzentrum Oyoun ab. Dann wird Oyoun mitgeteilt, dass staatliche Gelder gestrichen werden. Das Haus klagt nun gegen den Senat, wird aber mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert. Von Efthymis Angeloudis
Viele offene Fragen
Für die Opposition sind erstmal noch viele Fragen zu klären, die Grünen haben einen fünfseitigen Fragenkatalog eingereicht. Daniel Wesener will wissen, wie die Umsetzung funktionieren soll: "Reden wir hier vom Placebo oder von konkretem Zuwendungsrecht, was ist da überhaupt möglich?" Und auch er findet, Chialo hätte es lieber andersherum machen sollen. Zuerst in den Dialog treten – und dann die Klausel einführen.
Chialo stellt klar: "Als Senator kann ich das machen." Doch er wolle in den Diskurs mit Kulturschaffenden gehen. Die Klausel sei Anfang eines Dialogprozesses, in sechs Monaten wolle er mit Beteiligten über die Umsetzung der Klausel sprechen. Bis dahin wird wohl noch viel diskutiert über die Frage, wie weit Politik gehen darf - ohne die Freiheit der Kunst einzuschränken.