Katharina Thalbach wird 70
Seit ihrer Kindheit steht Katharina Thalbach auf Theaterbühnen, schon früh feierte sie Erfolge. Zu ihrem 70. Geburtstag schaut rbb-Filmkritiker Knut Elstermann aus persönlicher Sicht auf die jahrzehntelange Karriere der Berliner Schauspielerin zurück.
Die Anzahl ihrer Rollen auf Theaterbühnen und in Filmen ist nicht mehr überschaubar, ebenso wenig wie die Fülle ihrer Hörbücher und Hörspiele, Synchronrollen, Lesungen und Literaturprogramme. Aber eines verbindet all diese höchst verschiedenen Ausprägungen ihrer schwungvollen, zupackenden, künstlerischen Persönlichkeit: Katharina Thalbach ist in jeder einzelnen Sekunde ihres Lebens eine Erzkomödiantin.
Wie keine andere deutsche Schauspielerin kann ich sie mir auf den Straßen und Jahrmärkten vorstellen, mit fahrendem Volk, jonglierend und Moritaten singend. In ihr leben die Ursprünge der Schauspielerei, das Spektakel und der Zirkus, die hohe Kunst und der fröhliche Klamauk. Es ist die Lust an der stetigen Verwandlung, mit einem unmittelbaren Zugang zum Publikum, das sie zum Lachen und zum Weinen bringen will.
Kein Wunder, dass sie immer wieder und mit großer Freude für Kinder gearbeitet hat, im Theater und in Filmen, mit großer Liebe für dieses anspruchsvolle Publikum der Kleinsten. In ihren eigenen Inszenierungen, zuletzt "Mord im Orientexpress" nach Agatha Christie im Schillertheater, spürt man, wie sehr sie den Wunderapparat Theater liebt und wie geschickt sie ihn zu nutzen weiß. Sie spielte da Agatha Christies Meister-Detektiv Poirot in einer unnachahmlichen Mischung aus Chaplin und Hans Moser, zwei große Komödianten wie sie selbst.
Etwas anderes als Spielen war für sie nie vorstellbar. Sie wurde in eine Theaterdynastie hineingeboren und spielte ihre erste Rolle schon mit vier Jahren, in dem Fernsehfilm "Begegnung im Dunkel" von 1958. Vorfahren wie der Hofopernsänger Alois Joachim, ihr Urgroßvater, waren darstellende Künstler. Die Schauspieler Pierre Besson und Philippe Besson sind ihre Halbbrüder. Ihr Vater war der berühmte Regisseur Benno Besson, ihre Mutter die jung verstorbene Sabine Thalbach.
Katharina hat sich die Erinnerung daran bewahrt, wie sie als kleines Mädchen in der Loge des Berliner Ensembles sitzend, ihre Mutter auf der Bühne bewunderte. Dort stand sie selbst dann mit 15 Jahren, in Erich Engels legendärer Inszenierung der "Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht. Dessen Witwe, Helene Weigel, kümmerte sich nach dem frühen Tod der Mutter Sabine um die Heranwachsende, ebnete ihr den Weg in das Berufsleben. Heute setzen ihre Tochter Anna und die Enkelin Nelly dieses familiäre Erbe fort. Hin und wieder kann man die drei auf Lesebühnen gemeinsam erleben, für die vielbeschäftigte Katharina eine schöne und seltene Gelegenheit, alle zusammen zu treffen.
Katharina Thalbach schilderte mir einmal einen ihrer berührendsten Theatermomente. Sie spielte die Courage zusammen mit ihrer Tochter Anna, die zu der Zeit mit Nelly schwanger war. Sabine Thalbach, die Mutter und Großmutter, wurde mit einem Lied eingespielt. Vier Generationen Thalbach kamen da zusammen. Katharina hat ein feines Gespür für die große Tradition, aus der sie kommt.
Durch diesen frühen Einstieg, durch dieses buchstäbliche Hinwachsen, hat sie das Handwerk auf ganz natürliche, selbstverständliche Weise aufgenommen, als festen Rahmen, in dem sich ihre überbordende Fantasie mit höchster Professionalität und Pragmatismus verbindet.
Ich durfte sie einmal bei Aufnahmen zu einem Hörbuch besuchen. Sie war schwer erkältet, wollte aber die Leute nicht nach Hause schicken und den Studiotermin aufgeben. Mit einer Thermoskanne mit heißem Tee stand sie das stundenlang durch. Ihrer wunderbaren, warmen Stimme, diesem unverkennbaren, wandelbaren Instrument, war übrigens absolut nichts anzuhören.
Als Harald Juhnke in ihrer schönen Inszenierung vom "Hauptmann von Köpenick" am Gorki-Theater dauerhaft ausfiel, übernahm sie kurzerhand diese Rolle. Ihre zartfühlende Verkörperung des kleinen, geschundenen Mannes, dieses Betrügers aus Not ist für viele, auch für mich, ein unvergessliches Theatererlebnis.
Katharina Thalbach mag keine großen Worte, keine hochgestochenen Interpretationen. Sie hat eine tiefe Abneigung gegen die bisweilen pathetische Wichtigtuerei im Kulturbetrieb und ist selbst vollkommen uneitel. Sie stellt sich immer in den Dienst der Figuren und Inszenierungen. Mit ihrem damaligen Lebensgefährten, dem in der DDR kaltgestellten Dissidenten Thomas Brasch, ging sie 1976 in den Westen. Dort konnte sie sehr schnell Fuß fassen, war in wichtigen Filmen wie "Die Blechtrommel" von Volker Schlöndorff zu sehen, in experimentellen Arbeiten von Brasch wie "Domino" und "Passagier", und sie spielte auch wieder am Theater.
Besonders eindrucksvoll finde ich es bis heute, wenn Regisseure in ihrem Komödiantentum die tragische Grundierung erkennen, wenn sie Figuren spielen kann wie die unglückliche Ehefrau in Bernd Böhlichs Tragikomödie "Du bist nicht allein" (2007), mit Axel Prahl als Partner. In Berlin-Marzahn lebend sucht ihre Frau Moll tapfer einen Neuanfang, heuert bei einer Wachfirma an und läuft jede Nacht über ein menschenleeres Betriebsgelände. Morgens kehrt sie hundemüde nach Hause zu Mann und Sohn zurück. Es ist herzzerreißend, wie Katharina Thalbach um die Liebe ihres wegdriftenden Mannes kämpft, eine ihrer schönsten Rollen.
Furchtlos verkündet Katharina Thalbach immer, was sie denkt. Als sie vor einiger Zeit in einem Interview erklärte, sie sei sehr dankbar dafür, in zwei Systemen gelebt zu haben, schlug ihr die heftige Ablehnung all jener entgegen, die Geschichte nur als simple schwarz-weiße Zeichnung ertragen. An ihr prallen solche Angriffe ab. Sie hat ihre Herkunft aus dem Osten, ihre wesentlichen Prägungen, die bitteren und die kostbaren Erfahrungen und ihren kritischen Blick auf einen entfesselten Kapitalismus niemals verleugnet. Beifall, für alle Schauspieler das Lebenselixier, ist ihr in solchen Momenten gleichgültig.
Katharina Thalbach hat eine ironische Leidenschaft für die feierlichen Rituale der Monarchie, die im Grunde auch prunkvolle theatralische Inszenierungen sind. Sie spielte eindrucksvoll die Königin Marie in "Ludwig II.", ebenso hinreißend den alten preußischen König Friedrich und wäre selbst gern ein gekröntes Haupt. Heute könnte man ihr eigentlich eine Krone antragen, dieser Königin der Komödie. Ich bin mir sicher, sie würde sich das gute Stück schief auf den Kopf setzen, genüsslich mit den Augen rollen und sich sehr tief vor uns, ihrem dankbaren Publikum, verbeugen.
Sendung: rbb Kultur, 19.01.2024, 7:10 Uhr
Beitrag von Knut Elstermann
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