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Quelle: Colin Mearns

Performerin Claire Cunningham

"Die Krücken sind eine Erweiterung meines Körpers"

Claire Cunningham ist eine Ausnahmekünstlerin, die auf Krücken angewiesen ist. Als Professorin am HZT Berlin will sie die Berliner Tanzszene zugänglicher machen für Menschen mit Behinderung - mit der "Crip-Technik". Von Marvin Wenzel

In ihrer Performance "Thank You Very Much" erinnert Claire Cunningham an den "King of Rock 'n' Roll": Mit einer mittellangen Fönfrisur und in einer schwarzen Lederjacke tänzelt sie um ein silbernes Retro-Mikrofon. Dabei windet sie sich um die eigene Achse und macht kleine Sprünge. Sie landet auf Zehenspitzen und wirft ihren linken Arm blitzartig in die Luft. Der feine Unterschied zu Elvis Presley: Bei der gesamten Show tanzt sie an silbernen Krücken.

"Thank You Very Much" dreht sich um die Gedankenwelt von Elvis-Presley-Doubles. Es geht um Menschen, die sich - wie Cunningham - bis heute für die Bewegungen des Superstars begeistern. Menschen, die ihr ganzes Leben versuchen, jemand anderes zu sein. Auch diese Erfahrung kann Cunningham teilen: Seit ihrer Jugend ist sie auf Krücken angewiesen. Sie kann zwar laufen, aber nur kurze Strecken. Der Grund: eine Osteoporose-Erkrankung, die ihre Knochen schwächt. Über viele Jahre wollte sie die Krücken schnellstmöglich loswerden und so sein, wie es der Großteil der Gesellschaft als "normal" empfindet.

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"Die Krücken sind eine Erweiterung meines Körpers"

Heute, über 30 Jahre später, sind die Gehstützen für die international gefeierte Performance-Künstlerin und Choreografin keine Belastung mehr. Im Gegenteil: Sie sieht in ihnen eine "Bereicherung", die sie in ihre Bewegungskunst integriert hat. "Ich fühle durch meine Krücken", sagt sie, sitzend auf einer grauen Matte in einem Tanzstudio in den Uferstudios. Dort probt sie aktuell. Sie spüre durch die Krücken den Boden und sogar den Schnee, der momentan in Berlin liegt. "Ich sehe sie bis zu einem gewissen Grad als Teil und Erweiterung meines Körpers."

Das Tanzen veränderte ihr Denken über die Krücken. Als klassisch ausgebildete Sängerin arbeitete sie zunächst an einem Musiktheater. Dabei traf sie auf den amerikanischen Choreografen und Tänzer Jess Curtis, dem ihre beeindruckenden Balanceakte auf den Gehhilfen auffielen. Er ermutigte Cunningham, sie in ihrer Bewegungskunst mehr zu berücksichtigen.

Quelle: Bea Borgers

Kämpferin für Inklusion

Mittlerweile spielen die Krücken in ihren Stücken eine zentrale Rolle. Das trifft auch auf ihre neue Funktion zu, die Schottin seit Oktober 2023 in Berlin inne hat: Als erste Künstlerin überhaupt forscht und lehrt sie als Professorin "Choreography, Dance and Disability Arts" am Hochschulübergreifenden Zentrum Tanz Berlin (HZT).

"Für mich ist es eine große Ehre, dass mich das HZT eingeladen hat", sagt Cunningham. Vorher arbeitete sie unter anderem als Choreografin am Schottischen Nationaltheater und mit dem inklusiven Tanzensemble der britischen "Candoco Dance Company". Das HZT gehört zu den wichtigsten Adressen der Berliner Tanzszene. In ihrer Forschung konzentriert sie sich auf die Erfahrungswelt behinderter Menschen und "wie es für sie ist, sich durch die Welt zu bewegen". Cunningham ist eine Kämpferin für Inklusion. Ihr Ziel: die Berliner Tanzwelt für behinderte Menschen zugänglicher zu machen.

"Crip Technik": Eine Tanzkunst, benannt nach dem negativ konnotierten Wort "Krüppel"

Deswegen möchte sie in den nächsten Jahren an neuen Ausdrucksmöglichkeiten für behinderte Künstler arbeiten und die sogenannte Crip-Technik weiterentwickeln. Diese Tanzkunst ist für die Bewegungshorizonte behinderter Körper konzipiert und nach dem negativ besetzten Ausdruck "Krüppel" benannt. "Für mich ist es eine sehr politische Entscheidung, mich als 'Krüppel' zu identifizieren", sagt Cunningham. Mit dem Begriff wurden behinderte Menschen über einen langen Zeitraum angefeindet. "Nun gibt es aber Bewegungen aus der behinderten Community, die diesen Begriff zurückerobern."

Mit ihren Choreografien und Kursen trägt sie dazu bei. In ihrem Stück "The Way You Look (at me) Tonight", das ebenfalls im Proberaum in den Uferstudios entstanden ist, geht es um die (Nicht-)Wahrnehmung behinderter Menschen und ihrer Körper. Und: Wie es für Cunningham war und ist, aufgrund ihrer Krücken nur selten als Frau wahrgenommen zu werden. Vor allem auf den erotischen Kontext bezogen.

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Superkräfte durch Krücken

Bei ihren Performances nutzt sie Ellenbogen-Krücken, die am oberen Ende eine runde Öffnung haben, durch die sie ihre Arme stecken kann. Diese Konstruktion ermöglicht es ihr, beim Tanzen die Hände frei zu haben. Zudem kann sie die Gehhilfen durch diese Extra-Halterung nicht so schnell verlieren. Sie wechselt die Paare oft, weil sie das Material so stark beansprucht, dass sie manchmal nur einige Proben und Auftritte mitmachen. Auf der Bühne tragen sie manchmal ihr gesamtes Körpergewicht.

"The Way You Look (at me) Tonight" ist ein Duett mit Jess Curtis, mit dem sie schon häufig zusammen getanzt hat. In fließenden Bewegungen interagieren ihre Körper miteinander. Cunningham lehnt sich auf ihre Krücken, lässt sich anschließend von ihnen auffangen, als sei sie im freien Fall, stemmt sich dann wieder hoch und springt auf den Rücken von Curtis. Mit den Gehstöcken scheint Cunningham fast in der Lage zu sein, die Regeln von Raum und Zeit außer Kraft zu setzen. Als gäben die Krücken ihr Superkräfte.

"Viele behinderte Menschen spüren den Druck, sich anders bewegen oder sprechen zu müssen. Und so zu sein, als hätte man einen anderen Körper", sagt Cunningham. Dieser Druck käme aus der Gesellschaft und aus medizinischen Einrichtungen, die zum Beispiel Bewegungstherapien anbieten, oder aus Theaterhäusern, die nur wenige behinderte Menschen engagieren. Das will sie ändern. Das Wichtigste sei es, sich von anderen Menschen nicht unterkriegen zu lassen und die Behinderung als "Teil von sich zu sehen, der auch sehr bereichernd sein kann".

Während ihrer fünf Jahre in Berlin möchte sie behinderten Tänzern diesen Schritt zur Akzeptanz erleichtern. Sie will dafür sorgen, dass sich mehr Menschen mit Behinderung an Kunst-Hochschulen bewerben. Und es dann, so wie sie selbst, irgendwann auf die große Bühne schaffen.

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.01.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Marvin Wenzel

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