Uraufführung am Deutschen Theater
Die georgische Dramatikerin Nino Haratischwili hat den zweiten Teil ihrer Antiken-Trilogie "Penthesilea: Ein Requiem" selbst uraufgeführt – mit deutschen und georgischen Schauspielern. Die Liebe bleibt darin pathetische Behauptung. Von Barbara Behrendt
Das tiefschwarze, pathetische Anfangsbild findet sich zuletzt als Schlussbild wieder: Almut Zilcher sitzt auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters, ihren Kopf mit dem langen schwarzen Haar hat sie in den Knien begraben, ihr üppiger weißer Seidenrock fließt über die halbe Bühne. Dann hebt sie den Kopf und beginnt ein langes Gespräch mit den Göttern: "Ist dies das Tal des Todes? Wie kann es euer Wille sein, dass ich seine Gedärme rausreiße, dass ich ihm die Augen aussteche, dass ich seine Rippen breche, dass ich ..."
Die Autorin Nino Haratischwili lässt in ihrem neuen Stück "Penthesilea: Ein Requiem", dem zweiten Teil ihrer Antiken-Trilogie, die Geschichte am Abend vor der letzten Schlacht beginnen. Ähnlich wie in Haratischwilis "Phädra" (zu sehen am Berliner Ensemble) steht auch hier wieder eine antike Königin mittleren Alters im Fokus.
In einem Zweikampf sollen die beiden Unbesiegbaren, der Anführer der Griechen, Achill, und die Amazonen-Königin und Troja-Unterstützerin Penthesilea gegeneinander antreten. Aber Achill hat vor Kurzem seinen besten Freund im Krieg verloren und ist depressiv und kriegsmüde – und Penthesilea liebt und begehrt Achill, ein Gefühl, das sie nicht kennt und das in der Ideologie der Amazonen gleichbedeutend ist mit Hochverrat.
Almut Zilcher ist die Erzählerin Penthesilea, die wie aus dem Totenreich zu uns spricht. Die georgische Schauspielerin Eka Nizharadze gibt die lebendige Penthesilea, die, das ist der Clou dieser Besetzung, als fremde Amazone eine andere Sprache spricht als Manuel Harders Achill. Und doch verstehen sich die beiden. Penthesilea lädt Achill in ihr Zelt ein – aber dann weiß sie nicht, wie das geht, mit dem Anfassen und der Leidenschaft. Denn Sex mit einem Mann ist bei Amazonen nur "Heilige Pflicht" zur Nachwuchszeugung, der Mann wird dabei gefesselt und danach getötet.
Es macht zwar durchaus Sinn, dass Nino Haratischwili Penthesilea als kampferprobt aber erotisch völlig unerfahren porträtiert – allerdings führt es zu den hölzernsten, ungelenksten Annäherungsversuchen, die man wohl je auf der Bühne gesehen hat, todernst zelebriert. Hinzu kommt: Das behauptete große Gefühl zwischen Achill und Penthesilea sucht man hier vergeblich. Was die Identifikation mit dem Paar, die Haratischwili, das zeigt das Pathos, unbedingt beabsichtigt, schwer macht.
Interessanter als die verkorkste Erotik-Nummer unterm fallschirmgroßen Seidenrock von Almut Zilcher zu einem arg simplen Popsong ist die Kriegsthematik im Stück. Denn gerade, weil Penthesilea und Achill so offensichtlich nicht zusammenpassen, kann man Achills Waffenträger, gespielt von Jens Koch, durchaus verstehen, wenn er fragt: Warum sollten ausgerechnet diese zwei Menschen mit ihrer Verzögerungstaktik den Krieg verlängern, bei dem jeden Tag Tausende fallen?
"Eure Heldentaten, eure Muskeln entschuldigen nicht alles", schreit er Achill ins Gesicht. "Und die Geilheit eures Schwanzes auch nicht. Dieses Schlachten muss ein Ende haben." Und ein Ende hat es nur, wenn entweder die Amazonen oder die Griechen ihr Oberhaupt im Zweikampf verlieren.
Bevor Achill seinen Waffenträger im Fluss ertränkt, brüllt der sich noch den Ruf nach Gerechtigkeit aus der Seele: "Tausende Vergewaltigungen, deren Zeuge ich wurde, Ihr werdet sie mit Euren Schlägen nicht tilgen. Tausende Verbrennungen, tausende abgezogene Fingernägel, die Ihr angeordnet habt. Tausende tote Kinder, mit deren Leibern die trojanischen Straßen gepflastert sind, ich habe sie gezählt. Ich habe sie alle gezählt."
Und so unterläuft Nino Haratischwili als Regisseurin vermutlich ihre Absicht als Autorin: Achills und Penthesileas Verantwortung für den Krieg wirkt auf der Bühne deutlich einleuchtender als ihre Liebe füreinander – denn die, das bleibt die zentrale Schwachstelle des Abends, ist trotz aller großer theatraler Gesten nicht zu spüren.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.02.2024, 8:54 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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