"Hund, Wolf, Schakal" im Maxim Gorki Theater
Basierend auf dem Roman von Behzad Karim Khani spielt das Stück "Hund, Wolf, Schakal" im Neukölln der 90er- und Nuller-Jahre. Im Fokus steht das Leben des jungen Iraners Saam, der immer tiefer in einen Strudel aus Gewalt und Kriminalität gerät. Von Christopher Ferner
Im vergangenen Jahr kürte das Lifestyle-Magazin "Times Out" Neukölln zu einem der weltweit coolsten Viertel. Die Begründung der Autoren: Neukölln sei der "mit Abstand aufregendste Bezirk der Stadt". Dazu trügen die vielen Bars und Cafés ebenso bei wie die Multikulturalität. Gleichzeitig gilt Neukölln bundesweit als Sinnbild für soziale Missstände. Wer den Bezirk nur aus Medienberichten kennt, könnte meinen, er sei eine einzige No-go-Area, in der der Staat vor kriminellen Strukturen kapituliert hat. Das stimmt so zwar nicht. Doch Fakt ist: Die Arbeitslosigkeit im Bezirk ist hoch, die Verbrechensrate ebenso.
Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es diese Gleichzeitigkeit der Dinge in Neukölln nicht; da galt der Bezirk weder als hip noch als aufregend – jedenfalls nicht im positiven Sinne. In den 90er und in den Nuller-Jahren hatte Neukölln den Ruf eines durchweg von Kriminalität und Perspektivlosigkeit geprägten Problembezirks. In diesem Neukölln spielt das Stück "Hund, Wolf, Schakal" von Regisseur Nurkan Erpulat. "Hier umarmten und erschlugen sie einander beiläufig. Ohne Ursache. Ohne Wirkung." So beschreibt einer der Erzähler bei der Uraufführung des Stücks im Maxim Gorki Theater das Leben junger Männer im Bezirk.
Nach der Hinrichtung der Mutter flüchteten Saam, sein kleiner Bruder Nima und ihr Vater Jamschid vor den Schrecken der iranischen Revolution nach Deutschland – genauer gesagt, nach Berlin-Neukölln. In der Heimat genoss der Vater, ein intellektueller Marxist, ein hohes Ansehen unter den Revolutionären. In Deutschland arbeitet er als Taxifahrer, der versucht, sich an die Mehrheitsgesellschaft anzupassen. Es ist jedoch nicht sein Leben, das im Mittelpunkt des Stückes steht, sondern das seines Sohnes Saam. Der freundet sich mit einer Gang aus "Ausländerkindern" an. Zu der Truppe gehören unter anderem der Anführer Marwan und dessen Bruder Heydar.
Es braucht eine Weile, bis sich Saam in diesem neuen Leben aus Kriminalität und Gewalt zurechtfindet. Sein Machogehabe wirkt anfangs aufgesetzt; bei einem illegalen Deal mit pinkfarbenen Pullovern lässt er sich übers Ohr hauen. Doch im Laufe der Zeit wirkt sein Habitus glaubhafter. "Auf dem Weg von einem zornigen Jungen zu einem zornigen Mann wurden die Geschichten, mit denen er sich einen Namen machte, finsterer und verschafften ihm den Ruf eines kaltblütigen Schlägers", sagt der Erzähler Mehmet.
Die Geschichte des Stücks basiert auf dem gleichnamigen Roman von Behzad Karim Khani. In "Hund, Wolf Schakal" verarbeitet der Autor und ehemalige Betreiber der Kreuzberger Lugosi Bar ein Stück weit sein eigenes Leben. Der gebürtige Iraner flüchtete mit seiner Familie Mitte der 80er Jahre von Teheran in den Ruhrpott, wo er Erfahrungen als Kleinkrimineller sammelte. Später lebte er in der Bohème im Berlin der Nullerjahre.
Heute arbeitet Khani erfolgreich als Journalist und Autor. Dieses andere, bürgerliche Leben verkörpert in dem Stück Saams Bruder Nima, der als Erwachsener in einen Skate-Shop und ein Styling-Studio investiert und sich von dem Leben in der "alten Hood" löst. Ansonsten erfahren die Zuschauenden nur wenig über den jüngeren Bruder, der scheinbar nicht so enden wollte wie Saam.
Das Set-Design des Stücks ist minimalistisch. Ein großer, fahrbarer Rahmen dient auf der Bühne mal als Fußball-Tor, mal als Gefängniszelle. Und doch ist die Aufführung ein Fest für die Sinne. Immer wieder ertönen treibende Hip-Hop-Beats. Einer der visuellen Höhepunkte ist ausgerechnet die Darstellung einer Gewalteskalation: ein Polizist drischt mit seinem Schlagstock zu klassischer Musik in Zeitlupe auf die mittlerweile zu Männern herangewachsenen Neuköllner ein.
Trotz der Schwere der Thematik gibt es für das Publikum an vielen Stellen etwas zum Lachen. Zum Beispiel dann, wenn das Männlichkeitsgehabe des heranwachsenden Saam unter "Push-ups, Pull-Ups und Proteinshakes" zusammengefasst wird. Es entbehrt jedoch auch nicht einer gewissen Ironie, dass das Publikum eines Theaters sich über jene Codes amüsiert, über die sich die abgehängten Neuköllner Jungs ganz ernsthaft definieren – auch heute noch.
Dem Hausregisseur Erpulat ist mit der Adaption von Khanis Gegenwartsroman "Hund, Wolf Schakal" ein glaubwürdiges, vielschichtiges und visuell beeindruckendes Stück gelungen. Mit Klischees räumt die Darstellung der Neuköllner Jungs zwar nicht auf. Dafür erlaubt die Aufführung einen tieferen Einblick in eine Biografie, wie es sie auch heute noch in dem Bezirk zuhauf gibt. So gelingt es dem Stück womöglich, bei dem einen oder der anderen Sympathie für jene zu wecken, über die nur dann mal wieder geschrieben und gesprochen wird, wenn die Perspektivlosigkeit, an die der Staat eine Mitschuld trägt, wieder mal in Gewalteskalationen mündet.
Sendung: rbb Kultur, 11.02.2024, 10:11 Uhr
Beitrag von Christopher Ferner
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