Tanzverbot am Karfreitag
Die einen sehen darin eine Gelegenheit zum Innehalten, die anderen eine Bevormundung: Am Karfreitag gilt ein generelles Tanzverbot. Berlin hat die liberalste Regelung - in Brandenburg werden nicht einmal Fußballspiele angepfiffen.
Donnerstagabend, die ersten Drinks, ein langes Feierwochenende bricht an, Berlins Clubs versprechen genügend Vergnügen. Eine glitzernde Nacht also, "Tanz ist ein Telegramm an die Erde mit der Bitte um Aufhebung der Schwerkraft", hat schon der große Fred Astaire gewusst. Bis diese Schwerkraft um vier Uhr morgens wieder alle zu Boden zieht. Denn dann ist offiziell Karfreitag - und Tanzen ab jetzt verboten.
In ganz Deutschland müssen amüsierfreudige Menschen an diesem Tag die Füße stillhalten, das Feiertagsgesetz will es so. Allerdings ist Genaueres Sache der Bundesländer – und Berlin gibt sich hier eher weniger andächtig. Zwischen 4 und 21 Uhr sind "öffentliche Tanzveranstaltungen" untersagt, damit sich gläubige Christen nicht von ausgelassener Feierei gestört fühlen. In Brandenburg sind, wie auch am Totensonntag und Volkstrauertag, öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge, Sport- und Tanzveranstaltungen verboten - von 0 Uhr am Karfreitag bis 4 Uhr am Karsamstag.
Aber warum eigentlich? Anruf bei Kollegin Ulrike Bieritz, Leiterin der rbb-Redaktion Religion und Gesellschaft. "Der Anlass ist: Jesus ist am Kreuz gestorben und hat unsere Sünden auf sich genommen, wir denken an seinen Tod. Anders gesagt: Wenn du ganz, ganz tief im Tal bist, die Welt ist zu Ende - das ist der Karfreitag, ein Tag der Stille und des Innehaltens. Das ist aber nur der erste Teil der Botschaft", erklärt sie. Zum zweiten Teil später. Auch die Kirchenorgeln schweigen übrigens an diesem Tag.
In der Hauptstadt interessiert der Anstoß zur Andacht allerdings kaum jemanden. 19 Prozent der Berliner sind laut Einwohnerstatistik evangelisch oder katholisch, insgesamt etwa 741.000 Menschen [statistik.berlin-brandenburg.de]. In Brandenburg sind es zusammen knapp 16 Prozent, insgesamt 409.000 Menschen. Es werden allerdings weniger, wie die Austrittszahlen zeigen. Und nur ein kleinerer Teil von ihnen geht regelmäßig in die Kirche.
Eingeführt wurde ein Tanzverbot zum ersten Mal während des Ersten Weltkriegs, ganz unkirchlich: Von 1914 bis Silvester 1918 waren Tanzlustbarkeiten verboten. Das Klischee der "Goldenen 20er" legt nahe, dass alles in den Folgejahren zur Genüge nachgeholt wurde, auch wenn die Zeiten bescheiden waren.
In der Bundesrepublik ist die verordnete stille Einkehr an Karfreitag seit den 1950ern Gesetz, auch in der DDR gab es an dem Tag keine Kinovorstellungen oder Konzerte. "Interessant ist: Unsere Feiertage basieren hier auf einer Vermischung der jüdischen Tradition, dem Shabbat, wo Du nichts tun darfst, und dem Osterfest, das auf das heidnische alte Frühlingsfest gesetzt wurde", sagt Ulrike Bieritz. 325 nach Christi Geburt hat ein Konzil willkürlich bestimmt, dass immer am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond das Osterfest stattfindet. Das gilt bis heute. Davor wird getrauert.
In Berlin sind heute die Bezirksämter theoretisch dafür verantwortlich, zu kontrollieren, ob das Verbot am Karfreitag auch eingehalten wird. Öffnen dürfen die Clubs den ganzen Tag lang - allerdings nur, wenn währenddessen niemand zur Musik zappelt. Wenn Veranstalter dagegen verstoßen, kann sie das mehrere tausend Euro Bußgeld kosten, die Tanzenden selbst trifft keine Schuld.
Aber die Verwaltung nimmt das nicht so genau, im Gegenteil. Die Bezirksämter argumentieren: Nachts ist die Polizei zuständig. Die Polizei entgegnet: Das ist Sache der Bezirksämter. Das verlässliche Berliner Verantwortungs-Ping-Pong also, Ergebnis: Kontrollen eher unwahrscheinlich. "Was, Tanzverbot? Das ist ja wie in Bayern!", sagt ein überraschter Mensch aus dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Das Gesetz gilt dort seit fast 70 Jahren.
In diesem Bayern übrigens laufen die Dinge tatsächlich anders, 2008 erkannte die damalige Regierung eine "Verrohung der Sitten" und verschärfte das ohnehin vergleichsweise rustikale Feiertagsgesetz. Nun gilt dort an acht sogenannten stillen Tagen im Jahr jeweils ein 24-Stunden-Tanzverbot. Auch in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Hessen, dem Saarland und in Nordrhein-Westfalen geht es gestreng zu. Baden-Württemberg untersagt derlei Festivitäten gar an 18 Tagen mindestens für gewisse Stunden.
Doch obacht, selbst nahe des Weißwurst-Äquators herrscht inzwischen Tauwetter: in München stehen über die kirchlichen Trauertage eine Tanzdemo, ein zweitägiger Riesen-Rave sowie insgesamt 47 Partys an. Möglich machte das ein Urteil des Verfassungsgerichts: Wer sich als nicht christlich bekennt, darf tanzen soviel er oder sie will. Die Vorsitzende des "Bundes für Geistesfreiheit (BFG)" hatte dort 2016 Beschwerde eingelegt und Recht bekommen. Auch Hamburg hatte das Verbot zuletzt ein wenig aufgeweicht - nun müssen Hamburger nur noch 19 statt 24 Stunden die Füße still halten.
In Brandenburg scheiterte die Linke erst im Februar mit einem Antrag, die Verhältnisse am Karfreitag zu ändern. Das Verbot von Veranstaltungen an dem Tag schränke das Recht auf freie Entscheidung über die Tagesgestaltung nichtreligiöser Personen ein, argumentierte die Fraktion im Landtag. Der lehnte den Antrag mit großer Mehrheit ab - mit Stimmen aller anderen Parteien.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) plädiert dafür, die Feiertagsgesetze zu lockern. "Man sollte die Regeln an die gesellschaftliche Realität anpassen und sie flexibler machen", sagt der DStGB-Sprecher Alexander Handschuh. "Eine Möglichkeit wäre, einzelnen Kommunen zu überlassen, wie sie das Recht auslegen." In multikulturellen Städten wie Berlin spiele der Karfreitag eine andere Rolle als in - Achtung - "einem Dorf in Bayern", sagt Handschuh.
Apropos spielen, am Karfreitag sind in Deutschland neben öffentlichen Partys auch die meisten Sportereignisse verboten. In der ersten und zweiten Bundesliga rollt kein Ball, auch in der Basketball-Bundesliga wird nicht aufgedribbelt.
In Brandenburg werden überhaupt keine Fußballspiele angepfiffen, das trifft Energie Cottbus genauso wie die Spielgemeinschaft Krewelin / Mildenberg II in der 2. Kreisklasse West. Guckt man auf die Regionalliga Nordost: Energie spielt erst am Ostermontag, Luckenwalde schon am Gründonnerstag.
Herthas Zweite hingegen hat dank der liberaleren Berliner Regelung kein Problem mit einem Anpfiff am Karfreitag - es geht gegen Lok Leipzig. "Soweit ich weiß, haben wir keine Einschränkungen. Ich weiß natürlich nicht, was passiert, wenn wir laute Musik spielen und gerade dann fährt eine Streife vorbei", sagt der Spielplanbevollmächtigte Joachim Gaertner vom Berliner Fußballverband am Telefon und man hört ihm an, dass er schmunzelt.
Karfreitag und Ostermontag ist in Berlin deshalb ein traditioneller Doppelspieltag - in diesem Jahr aber mal nicht. "Wir haben normalerweise viele Zuschauer und die meisten Vereine sind froh, wenn sie antreten können und deshalb früher Sommerpause haben. Dieses Mal haben wir uns aber nur auf den Karfreitag geeinigt. Wir haben ausgerechnet, dass es auch so mit der Sommerpause hinhaut", sagt Gaertner. Aber er will es nicht übertreiben: Üblicherweise sind nur gut gefüllte Ligen mit 18 Teams am Karfreitag dran. Auf kleinere Klassen verzichtet der Verband.
Die Feierfabrikanten in Friedrichshain-Kreuzberg haben vor Ostern mutmaßlich auch in diesem Jahr keine behördliche Spaßbremse zu befürchten. "In den 15 Jahren in denen ich hier bin, sind wir als Ordnungsamt nicht aktiv geworden", sagt dessen Chef, selbst leidenschaftlicher Tänzer. Auf Nachfrage teilt die Bezirkssprecherin dann noch mit: "Das Ordnungsamt reagiert auf gegebenenfalls eingehende Anzeigen."
Unter anderem haben das BiNuu, das Watergate und das Monarch in der Nacht zu Freitag geöffnet. Auch das Ritter Butzke und das About Blank werben schon. Falls die Tugendwächter zum ersten Mal doch Ernst machen sollten, hat der Leiter des Ordnungsamtes einen todsicheren Tipp: "Gehen Sie in eine Tanzschule. Die dürfen das als Übungsstunden deklarieren - statt als Vergnügen."
Die Kirchenexpertin Ulrike Bieritz sagt: Wenn die Dunkelheit vorbei ist, leuchten die Kerzen. "Ostern gibt es nicht ohne Karfreitag, es ist der höchste Feiertag und da feiern wir das Leben. Es geht immer weiter, nach dem Tal kommt die Freude – inklusive der Tradition des Osterlachens und der Osterfeuer." Das sei der Botschaft zweiter Teil.
Beitrag von Sebastian Schneider
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