In ihrer Heimat Schweden sind Kite eine große Nummer. In Deutschland hingegen ist das Synthie-Pop-Duo noch eher ein Geheimtipp, am Donnerstag haben sie im kleinen Club Æden auf der Berliner Lohmühleninsel gespielt – ein cineastisches Erlebnis. Von Jakob Bauer
"Blade Runner" von Ridley Scott aus dem Jahr 1982 ist ein Meisterwerk des Cyber-Punk. Endlose Häuserschluchten beherrschen das Stadtbild, alles ist in Neon-Licht getaucht, dazwischen wandeln Menschen und Maschinen und grübeln darüber nach, was jetzt eigentlich den einen vom anderen unterscheidet. Eine Welt, in die Kite mit ihrer Performance im Berliner Club Æden perfekt hineinpassen würden. Genauer gesagt lassen die Schweden an diesem Donnerstagabend genau so eine Welt vor dem inneren Auge entstehen.
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Dystopie und Melancholie verschmelzen zu Hymnen
Die Musik von Kite ist cineastisch angelegt. Nicht umsonst nennen Niklas Stenemo und Christian Berg den griechischen Komponisten Vangelis, der auch für den "Blade Runner"-Soundtrack verantwortlich zeichnete, als große Inspiration.
Ihre wuchtigen Klangflächen, die allein aus elektronischen Geräten kommen, sind maschinell und trotzdem menschlich warm, eine Mischung aus Dystopie und Melancholie, die in die Ohren drängt und Bilder in den Kopf pflanzt, eben von: einsamen Menschen zwischen Häuserschluchten und Neon-Licht. Die Katharsis ist aber immer um die Ecke, sie kommt mit Kites Liebe zum Pop, zur Hymne, die eigentlich jeder Song sein will.
Wie mitreißend kann’s schon sein, wenn der nur auf Knöpfe drückt? Ja!
Und das funktioniert, vor allem live. Es ist immer ein bisschen die Frage, wie emotional mitreißendeine Show daher kommen kann, wenn die Musiker im Endeffekt nur auf Keyboards und Knöpfe drücken. Aber Kite wissen, wie sie Stimmung herstellen, wie sie sich und die circa 150 bis 200 Gäste im ausverkauften Æden ganz schnell in einen gemeinsamen Flow bringen. Die Songs gehen direkt ineinander über, das Licht pumpt nicht nur auf der Bühne, sondern auch ins Publikum, alle kommen in einen Rhythmus, sodass sich die schwülstige Erhabenheit ganz vortrefflich auf alle im Raum überträgt.
Denn: Kite schütten eine Stunde lang eine ziemlich wuchtig bitter-süß-triefende Soße über dem Publikum aus. Aber es ist eine Soße, die kleben bleibt, mehr noch, es berührt, wenn Niklas Stenemos androgyne Stimme über all dieser Synthie-Macht tanzt. Diese Stimme ist nicht klassisch schön, aber treffsicher in ihrer flehenden, jammernden Dringlichkeit, während der Sänger die Hände gen Himmel streckt und leidet und liebt.
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Ab und zu drückt er auch ein paar Tasten, die meisten der grob geschätzt 16 bis 20 Synthesizer und Effektgeräte bedient aber Kollege Christian Berg mit leidenschaftlicher Entschlossenheit. Beide strahlen dabei gleichzeitig Verlorenheit in ihrer Musik und eine elektrisierende Präsenz aus, obwohl sie nur selten richtig im Scheinwerferlicht stehen, selten wirklich zu erkennen sind. Es sind Konturen und Gefühle, da vorne auf der Bühne, mit denen sich das Publikum perfekt verbinden kann.
Emo-Party in der Großraum-Disse
Dabei erfinden Kite das Rad nicht neu. Die Musik strotzt allein klanglich vor 1980er-Jahre-Ästhetik, coole Lichtshows machen alle, Bühnenpräsenz ist auch keine Seltenheit im Pop-Geschäft. Aber trotzdem hat der Abend etwas Besonderes: Diese Verbundenheit, die Kite im kleinen Club herstellen, als würde man in einer dystopischen, vereinzelten Zukunft noch einmal zusammen in einer Großraumdisco die Gemeinschaft und Menschlichkeit feiern. Das klingt pathetisch, furchtbar kitschig und trotzdem irgendwie beeindruckend – und trifft damit ziemlich genau dieses Konzert-Erlebnis.