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Premierenkritik | "Hildensaga" am Deutschen Theater
Ferdinand Schmalz hat das Nibelungenlied zur "Hildensaga" umgeschrieben. Darin spielen nicht die Helden die Hauptrolle, sondern die Hilden, Kriemhild und Brünhild. Ein feministischer Perspektivwechsel, bei dem die Frauen nicht die Welt retten. Von Barbara Behrendt
Was wäre, wenn man die Zeit anhalten könnte? Bis zu welchem Punkt müsste man sie zurückdrehen, um den Krieg ungeschehen zu machen? Welche Schicksalsknoten müsste man aufknüpfen – bis zu dem Moment, an dem alles noch anders hätte kommen können?
Der Schauspieler Ulrich Matthes stellt diese Fragen zum Auftakt der "hildensaga. ein königinnendrama" am Deutschen Theater. Mit antikem Gewicht als Schicksalsgöttin im blutroten Samtkleid – als sei er der rote Schicksalsfaden persönlich.
Auf Kathrin Froschs Bühne steht ein gigantisches Schicksalsrad still, eine Zeitscheibe, als sei es eine Inszenierung von Ulrich Rasche. Nur von der Hand der Schauspielerinnen und Schauspieler lässt sie sich mühsam in Bewegung setzen. Auf dieser Scheibe wird die zentrale Rivalitätsszene zwischen Kriemhild und Brünhild, die sich in Brautkleidern angiften, nur als eine Realitätsmöglichkeit unter vielen gespielt.
Dann geht es zurück zum Beginn der Sage – bis zur ersten Begegnung von Brünhild und Siegfried in Island. Svenja Liesaus Brünhild ist eine freiheitsliebende Kämpfernatur, ihr Haar bedeckt den ganzen Körper. Siegfried dagegen scheint eher Glück gehabt zu haben beim Töten des Drachens – Janek Maudrich gibt ihn als netten Lulatsch in Jeans und T-Shirt, der mit seiner Männlichkeit nur herumprobiert und -posiert.
Zwar begehrt er die starke Königin, will sie aber nicht zur Frau. Sie wirft ihn hochkant raus – und zurück kommt er mit dem schwächlichen König von Burgund und dessen Gefolge: ein lächerlicher Tross aus Männern in Gymnastikanzügen und papageienbunten Fellmänteln.
Siegfried bezwingt mit Tarnkappe für Gunther die Königin und Brünhild muss mit nach Burgund. Erst als Siegfried Gunther hilft, die Ehe mit seiner Frau zu vollziehen, webt sich ein neuer Schicksalsfaden in die Geschichte. Kriemhild erfährt von der brutalen Vergewaltigung durch ihren eigenen Ehemann Siegfried – und solidarisiert sich mit Brünhild.
Der Dramatiker Ferdinand Schmalz hat in seiner poetischen, wortgewitzten Kunstsprache ein spannungsreiches Schlachtenepos mit feministischem Perspektivwechsel geschrieben. Doch wer nun meint, dass das feministische Empowerment eine bessere Welt erschafft, der irrt. Auch das Aufbegehren der Frauen führt in eine nicht zu stoppende Kriegsspirale. Weil sie gegen die Männerbünde nicht ankommen. Und weil der Mensch dem Menschen ein Wolf ist. Bis heute. "Dort draußen lauern wölfische Zeiten", lautet Brünhilds finaler Satz.
Regisseur Markus Bothe inszeniert das solide und mit reichlich Hohn für die männlichen Hohlköpfe. Mitunter gerät der Abend aber reichlich harmlos. Die im Stück sprachlich erschütternden Szenen der Vergewaltigung, des Gemetzels, der feigen Morde sind hier viel zu flach geraten.
Trotzdem: Die zentralen Fragen bleiben haften. Wo und wie lässt sich die Gewalt stoppen? Womöglich endet sie erst, wenn vom Menschen nur noch Knochen geblieben sind. Wie beim gigantischen Drachenskelett, das im zweiten Teil wie ein böses Omen auf der Bühne liegt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 29.03.2024, 06:55 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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