Haus der Kulturen der Welt
Hunderttausende kamen aus Chile, Kuba oder Mosambik in die DDR, um zu arbeiten, zu studieren, politisches Asyl zu finden. Doch oftmals war die Realität anders als die Erwartungen. "Echos der Bruderländer" will ihre Geschichte erzählen. Von Marie Kaiser
Hinter einem zarten rosafarbenen Vorhang plätschert es. Auf einem Holztisch steht ein kleiner Brunnen aus Porzellan und Keramik – mit der Porzellanfigur eines Kindes an seiner Spitze. Sie stammt vom Künstler Minh Duc Pham, der 1991 als Sohn vietnamesischer Vertragsarbeiter in Sachsen auf die Welt kam. In seiner Installation "Fountains of a high mountain and a sweet dream" greift er die Geschichte seiner Mutter auf. Sie musste in ihrer Zeit als Vertragsarbeiterin in der DDR ein Kind abtreiben. Denn in der DDR war es diesen Arbeiterinnen aus dem Ausland verboten, Kinder zu bekommen. Wer nicht abtrieb, wurde zurück in die Heimat geschickt, das war vertraglich festgeschrieben. "Minh Duc Pham hat diese Installation als eine Hommage an diesen Bruder oder diese Schwester gemacht, die nie auf die Welt gekommen ist", sagt die Kuratorin der Ausstellung, Paz Guevera. "Es ist ein ganz intimer Raum. Wir können uns auf einen der Stühle setzen und ein Gespräch mit diesem Bruder oder dieser Schwester führen."
Schon an dieser Arbeit wird klar, wie wenig präsent die Geschichte der DDR-Vertragsarbeiter:innen ist, wie wenig wir über ihre Lebensbedingungen wissen, wie viel vergessen wurde. Hunderttausende Menschen kamen zwischen 1949 und 1990 aus verbündeten Staaten wie Algerien, Angola, Chile, Kuba, Mosambik oder Vietnam in die DDR – um dort zu arbeiten, zu studieren oder politisches Asyl zu finden. "Was ist der Preis der Erinnerung und wie hoch sind die Kosten der Amnesie?" lautet der etwas sperrige Untertitel dieser "Ausstellung und Recherche", wie es in der Ankündigung heißt.
Wie viel Recherche in der Ausstellung steckt, wird schnell deutlich. Sie basiert auf einem dreijährigen Forschungsprojekt. Im Vorfeld wurden Workshops veranstaltet und Interviews geführt mit den Menschen, die damals oft mit großen Hoffnungen in die DDR gekommen waren. Mancher kam für ein Sportstipendium oder ein Studium, musste dann aber im Schlachthof arbeiten. Oder bekam als Vertragsarbeiter aus Mosambik nie den versprochenen Lohn ausgezahlt.
In einer Videoarbeit sehen wir eine Demonstration in Maputo, wo bis heute an jedem Mittwoch die "Madgermanes" protestieren. "Madgermanes – das kommt von 'Made in Germany', so werden die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter in Mosambik genannt", erklärt Paz Guevera. "Sie haben in der DDR nur 40 Prozent ihres Lohns ausgezahlt bekommen. Die restlichen 60 Prozent sollten sie bekommen, wenn sie zurück in Mosambik sind. So wurde es ihnen versprochen. Aber das ist bis heute nicht passiert."
Die Ausstellung ist darum bemüht, beide Seiten zu zeigen: Die Freundschaften, die zwischen den Menschen in der DDR und den Menschen aus den sogenannten "sozialistischen Bruderländern" entstanden sind. Aber auch die Grenzen der "Brüderlichkeit". So waren die Vertragsarbeiter stets in eigenen Wohnanlagen und damit getrennt vom Rest der DDR-Bevölkerung untergebracht. Auch die Probleme, die oft bis heute bestehen, werden angesprochen. Dazu gehört der Rassismus, den die Menschen hier erfahren haben.
Ein gebürtiger Angolaner berichtet im Videointerview, wie er im November 1989 bei einer Straßenbahnfahrt mit einer Bierflasche von Neonazis angegriffen wird. Und dass die Polizei nicht die Angreifer, sondern ihn gewaltsam festhält und sein Gesicht auf den Streifenwagen drückt. Auf einer Reihe von Fotos wird an einen Fall rassistischer Gewalt in der DDR erinnert, der dem kollektiven Vergessen anheimgefallen ist: An die Tötung der beiden kubanischen Vertragsarbeiter Delfin Guerra und Raúl Paret, die am 12. August 1979 bei einer Hetzjagd in Merseburg ums Leben kamen. Heute bemüht sich eine Initiative um einen Gedenkort für die beiden Männer.
Auch das Ende der DDR wird thematisiert, das nicht nur für die DDR-Bürgerinnen und Bürger ein radikaler Umbruch war. Viele Vertragsarbeiter:innen mussten sofort das Land verlassen und hatten keinen sicheren Aufenthaltsstatus mehr, erläutert Kuratorin Paz Guevera. "Zum Beispiel die Mosambikaner, aber auch die Bürger aus Kuba."
In einem Interview in der Ausstellung erzählt die kubanische Künstlerin Teresa Casanueva, dass auch sie nach der Wende sofort zurückkehren sollte, obwohl sie ihr Kunststudium in Halle noch gar nicht abgeschlossen hatte. Die Künstlerin hat dafür gekämpft, ihr Studium beenden zu können und lebt heute in Berlin. Auf einem Bild von 1992 sind ehemalige Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam bei einer Demo in Berlin zu sehen. Erst 1997, nach jahrelangen Kämpfen, bekamen sie eine ständige Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.
Wer aus "Echos der Bruderländer" etwas mitnehmen möchte, muss sich viel Zeit nehmen, die Interviews an einer der vielen Audiostationen anhören, sich Einlesen. Die Ausstellung erschließt sich nicht intuitiv beim schnellen Betrachten. Vieles bleibt ohne einen Blick in das Handbuch zur Ausstellung unverständlich.
Warum liegen auf den royalblauen Tischen im Foyer knallrote Knoblauchknollen, Chilischoten und Granatäpfel? Das Begleitheft verrät, dass es sich bei den künstlichen Früchten um Kochzutaten handelt, die den südostasiatischen Migrant:innen in der DDR oft fehlten, weil sie dort nicht zu kaufen waren und manchmal heimlich ins Land gebracht wurden. Von der Decke hängt eine kambodschanische Geige (eine Tro), auf den Tischen darunter liegen Dokumente aus wie Briefe, Fotos, Zeugnisse. Es sind persönliche Erinnerungsstücke von Menschen, die damals aus den sogenannten "Bruderländern" in die DDR gekommen sind, und deren Geschichten nun endlich erzählt werden sollen. Denn auch für die nachfolgende Generation ist dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 01.03.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Marie Kaiser
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