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Interview | "Hotel Lunik" in Eisenhüttenstadt
Das "Hotel Lunik" war einst das kulturelle Herz von Eisenhüttenstadt. Doch nach der Wende stand das Haus lange leer. Nun erweckt eine Theatervorstellung das Hotel wieder zum Leben - mit wahren Geschichten von ehemaligen Gästen und Angestellten.
rbb: Herr Siemssen, Sie sind der Regisseur des Theaterstücks "Hotel Lunik". Wie sind Sie auf das Hotel aufmerksam geworden?
Jens Erwin Siemssen: Ich habe über das Hotel in einem Zeitungsartikel gelesen. Wir haben da gerade in der Nähe in Frankfurt/Oder gespielt. Ich fand die Planstadt sowieso interessant – aber das Hotel war für mich der große Reiz. Dann bin ich hingefahren, die Türen hinten standen offen. Ich habe mir erlaubt, zu gucken und bin durch die Gänge gelaufen. Schon damals habe ich geahnt, wie viele Geschichten sich in diesem Gebäude ereignet haben müssen.
Wie ging es dann weiter?
Ich bin auf die GeWi – die Gebäudewirtschaft, die das Gebäude verwaltet – zugegangen und habe gesagt: 'Ich hätte eine Idee.' Und dann war es eigentlich nach einer halben Stunde klar, dass wir dieses Projekt machen werden. Ich bin da offene Türen eingerannt.
Ihre Idee war ein Stationentheater in dem ehemaligen Hotel. Was bedeutet das und wie sind Sie vorgegangen?
Wir haben Leute interviewt, die in diesem Gebäude gearbeitet haben oder die Gäste waren. Es hat sich zum Beispiel der alte Hoteldirektor gemeldet, als er unsere Anzeige gesehen hat, dass wir Zeitzeugen suchen. Auch Kellnerinnen, eine Beiköchin, der Schlachter, jemand aus der Band und der Barkeeper aus der Nachtbar haben uns Geschichten erzählt, wie es sich damals zugetragen hat.
Diese Geschichten haben wir den verschiedenen Räumlichkeiten zugeordnet – also den Personalunterkünften oben oder der Nachtbar unten, der Küche oder der Konditorei. Und an diesen Plätzen werden wir jetzt auch unseren Zuschauern die Geschichten, die uns original erzählt worden sind, am Schauplatz präsentieren.
Wen beherbergte das Hotel?
Das Hotel wurde überwiegend errichtet, um eine Unterkunft für Arbeiter aus dem Stahlwerk zu haben. In den 70er und 80er Jahren kamen viele Leute aus dem sogenannten nicht- sozialistischen Ausland hierher. Es waren Leute aus Österreich, es waren Leute aus Deutschland – und die musste man irgendwo unterbringen. Und man wollte sie partout nicht in irgendwelchen Pensionen oder privat unterbringen. Man hat sie hier kaserniert, damit möglichst wenig Kontakt mit der lokalen Bevölkerung stattfindet.
Die Bar und das Restaurant des Hotels waren aber für alle zugänglich. Somit haben auch viele Eisenhüttenstädter Erinnerungen an das Hotel Lunik.
Das "Hotel Lunik" war damals sicherlich eines der kulturellen Zentren der Stadt. Die Bar war die Einzige, die bis morgens um vier aufhatte. Das war etwas ganz Besonderes. Hier wurden auch Jugendweihen und Hochzeiten durchgeführt. Das Restaurant war gut besucht. Es gab hier auch Dinge, die man normalerweise nicht bekam: Beim Frühstücksbuffet gab es zum Beispiel Honig, Melonen und Kiwis.
Das Hotel war somit auch ein bisschen ein Schaufenster in die große weite Welt, aber alles immer schön kontrolliert.
Inwiefern wurde das Hotel kontrolliert?
In der DDR war es nicht unbedingt üblich, dass viele Ausländer auf einem Haufen waren. Das wurde eher versucht zu vermeiden. Hier durften sie zwar zusammen sein, aber es gab hier auch sehr viel Kontrolle durch die Stasi. Es gab einen offiziellen Mitarbeiter, der für das Hotel Lunik zuständig war. Und es gab auch mehrere inoffizielle Mitarbeiter. Die haben geschaut, wer hier auf Linie ist und wer nicht auf Linie ist. Es war also einerseits ein Freiraum – andererseits wurde sehr viel registriert. Was wir im Stasiunterlagenarchiv gefunden haben, waren teilweise sehr erschreckende und auch intime Berichte.
Gibt es eine Geschichte, die Sie besonders beeindruckt hat?
Eine ganz bemerkenswerte Geschichte war die eines jungen Mannes, der etwas aus dem Inneren des Hotels erzählen konnte. Seine Mutter hatte ein Verhältnis mit einem Stahlarbeiter aus dem Westen gehabt. Nach dem Ende seines Jobs ist dieser wieder zurückgegangen. Er wollte sie rüberholen, aber sie wollte nicht mit. Sie hat dann alle Brücken abgebrochen, alle Liebesbriefe verbrannt, alle Spuren beseitigt und ihrem Sohn niemals den Namen ihres Geliebten verraten. Er kennt ihn bis heute nicht.
Vor dem Hintergrund, dass in den Stasiunterlagen immer geraunt wurde, dass die Leute hier Verhältnisse mit Menschen aus dem Westen haben, ist das bezeichnend. Natürlich hatten die Verhältnisse! Die waren jung, haben hier gelebt und sie sind miteinander umgegangen. Vom Staat war das aber nicht geduldet. Dadurch sind wahrscheinlich zahlreiche Beziehungen in die Brüche gegangen und Träume zerplatzt. Und das empfinde ich als den bitteren Teil dieses Hotels: Hier sind sich Leute begegnet, die nicht zusammen sein durften.
Was wollen Sie mit dem Theaterstück bezwecken?
Das Hotel stand 30 Jahre lang leer. Die Fenster waren eingeschlagen. Der Wind fegte durch das Gebäude. Vögel haben sich eingenistet. Es ist eine Generation vergangen, seitdem das letzte Mal wirklich über das Hotel Lunik gesprochen wurde. Und wir setzen jetzt den Dialog in Gang, um Geschichte zu bewahren. Und das ist nicht nur die Geschichte dieser Räumlichkeiten, dieses Hotels, sondern es ist auch DDR-Geschichte.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Nathalie Daiber für rbb Kultur – das Magazin.
Sendung: rbb Kultur - das Magazin, 20.04.2024, 18:30 Uhr
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