Cottbus trampelt und jubelt zu "Tosca" im Staatstheater
Das Staatstheater Cottbus macht immer wieder Furore mit starken Opernproduktionen. Tristan und Isolde, Carmen - und jetzt Puccinis Reißer "Tosca". Lohnt es sich, in die Lausitz zu reisen? Von Maria Ossowski
Dieser Plot könnte auf Netflix laufen. Oder als Blockbuster im Kino. Denn die Story ist auch 2024 aktuell: Mit "Folter und Tod, Glocken und Kanonen" wollte Puccini dem verwöhnten Opernpublikum von 1900 zeigen, wie es wirklich aussieht in einer Welt voller Gewalt und Unrecht.
Der fiese Polizeichef Scarpia ist scharf auf die schöne Primadonna Tosca, lässt ihren Geliebten, den Maler Cavaradossi foltern, geilt sich an Toscas Angst auf, sie ersticht ihn vor der Vergewaltigung - aber der Intrigant siegt noch über den eigenen Tod hinaus. Seine Schergen erschießen den Künstler, Tosca springt…stopp. Spoileralarm! Regisseur Armin Petras und sein Team haben es geschafft, die bei Opernfans altbekannte Story neu zu inszenieren - als Hit mit einem Überraschungsschluss.
Sie verlegen den Polit-Thriller in die Neunzigerjahre. Die brutalen Balkankriege mit blutrünstigen Schlächtern wie Serbenführer Karadzić und häufig verschobenen Grenzen passen als Hintergrundszenario nicht nur zeithistorisch perfekt, sondern auch im Design. Die Killer tragen Vokuhilafrisuren, bunte Trainingsanzüge und schwarze Sonnenbrillen, der Oberfiesling im lilaroten Zweireiher wohnt gediegen unter dem billigen Kronleuchterimitat, der Maler mit seinen Schlaghosen punktet bei Tosca in einer Mischung aus Tom Jones und Bobby Ewing aus der Kultserie "Dallas".
Bühnenbildner Jan Pappelbaum und Kostümdesignerin Cinzia Fossati gebührt hierfür die Ausstattungsnote Eins Plus mit hundert Sternchen. Zum Niederknien schön: der pinkfarben, taillierte Mantel der Tosca mit Mega-Kragen im ersten Akt, ihre orangefarbene hochgeschlitzte Rüschenrobe im zweiten und dann ein weißes hautenges Bleistiftrock- Kostüm im dritten Akt, mit dem sie stilgerecht…stopp. Ende wird noch nicht verraten.
Musikalische Präsentation mit feinsten Nuancen
Vorher zur Musik: das Philharmonische Orchester unter Alexander Merzyn präsentiert das Drama exzellent, zu Beginn etwas laut, aber dann mit feinsten Nuancen in den Melodien und Rhythmen. Also Note eins. Es gab Riesenjubel für den Opernchor und den Kinder- und Jugendchor, einstudiert von Christian Möbius. Note Eins.
Und die Sänger? Getrampel, Bravorufe, Jubel schier endlos. Eins Plus mit hundert Sternchen für die schauspielerisch atemberaubende und stimmlich feine, passend etwas kühle Tosca der Amerikanerin Elena O‘Connor. Wie kann eine so zierliche Person so kraftvoll singen? O’Connor ist PoC, also schwarz und einfach überirdisch schön.
Im Juni jährt sich der Todestag Franz Kafkas zum 100. Mal. In ganz Europa findet deshalb an verschiedenen Orten ein Kafka-Festival statt. Am Donnerstag hat die Veranstaltungsreihe in Cottbus begonnen.
Das Publikum jubelt und trampelt
Zum Cottbusser Ensemble gehören Andreas Jäpel und Alexey Sayapin. Jäpel spielt den Bösen Scarpia teuflisch gemein, sein Bariton klingt dazu voller Kontraste, wenn er Tosca umwirbt, Sayapins Tenor strahlt ganz differenziert. Beide ebenso Eins plus.
All das hätte nicht so krass und überzeugend gewirkt ohne die präzise Personenregie von Armin Petras und seinem Team. Es sind die kleinen Details, die eine hervorragende Regie beweisen: die Folterknechte ziehen sich Gummihandschuhe an, man macht sich nicht gern schmutzig. Der Kronleuchter kippt zur Seite, wenn Tosca Scarpia ersticht.
Das Publikum jubelt und trampelt, als das Regieteam auf die Bühne kommt. Neid einer Berliner Opernkennerin: keine Buhrufe in Cottbus. Das habe ich in der Hauptstadt noch nie erlebt. Und wie springt Tosca am Schluss von der Engelsburg? Och nö, wird nicht verraten. Ab nach Cottbus reisen und selber gucken. Es lohnt sich total.