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Audio: rbb24 Inforadio | 26.04.2024 | Barbara Behrendt, Sabine Dahl | Quelle: volksbühne berlin / Thomas Aurin

Gedenkfeier für René Pollesch

Gefeiert, was sie lieben

Ende Februar starb unerwartet der Volksbühnen-Intendant René Pollesch. Mit einer Gedenkfeier haben sich jetzt viele Künstler:innen, die er geprägt hat, von dem Dramatiker verabschiedet. Von Barbara Behrendt

Die ersten Töne von "Streets of Berladelphia" klingen an, Fabian Hinrichs fliegt wie beim legendären Abend "Kill your darlings" angegurtet über die Bühne. Das orangefarbene Tuch, das in René Polleschs "Aufstieg und Fall eines Vorhangs" die Titelrolle spielte, bläht sich über dem Bühnenhimmel und wirkt wie ein riesiger Oktopus, der sich über Polleschs Freund:innen, Weggefährt:innen, von ihm inspirierte Künstler:innen hebt und senkt.

Ein schönes Bild für die verästelte, vielarmige Kunst, mit der René Pollesch so viele Menschen verbunden und belebt hat.

Berlin

Volksbühnen-Intendant René Pollesch stirbt mit 61 Jahren

Der Intendant der Berliner Volksbühne, René Pollesch, ist mit 61 Jahren gestorben. Politik und Kultur reagierten am Dienstag bestürzt auf den frühen Tod.

"Ich will keine Zukunft ohne dich"

Die Sätze, die Fabian Hinrichs aus "Kill your darlings" spricht, sind an diesem Abend in der Berliner Volksbühne mit Bedeutung aufgeladen. "Die besten Szenen haben wir rausgeschnitten, die würden wir nicht ertragen." Polleschs Ringen um Liebe in seinen Texten wird zu einer Liebeserklärung an ihn selbst: "Ich will keine Zukunft ohne dich" sagt Hinrichs, oder: "Ich will mit dir in einem Café sitzen, ich will, dass das gelingt."

Zärtlich, aber völlig pathosfrei sind die wenigen persönlichen Gesten und Worte an diesem langen Abschiedsabend an der Volksbühne mit dem schönen Titel "Schmeiß dein Ego weg und feier was du liebst". Darüber hinaus wird ausschließlich Kunst gezeigt, in der man Pollesch so klar begreift wie selten.

Martin Wuttke tritt mit Cowboyhut und riesigem roten Herz auf dem T-Shirt auf und spielt einen Monolog aus "Schmeiß dein Ego weg": "Es gibt nicht ein bisschen Theater", heißt es da, "du kannst mir ja auch nicht ein bisschen deine Telefonnummer geben." Oder: "Man hört nur Dialoge, aber keine Gedanken." Oder, auch schön: "Je suis no Selbstverwirklichungsnarzisstensau, ich bin die Ameise der Kunst." Was bei 200 Stücken, die Pollesch geschrieben hat, sicher zutrifft.

Nachruf auf René Pollesch

"Ja nichts ist ok"

Die Theaterwelt steht unter Schock: Völlig unerwartet ist der Intendant der Berliner Volksbühne, René Pollesch, im Alter von 61 Jahren gestorben. Pollesch war dem Haus über Jahrzehnte verbunden. Ein Nachruf von Barbara Behrendt.

Constanza Macras, Florentina Holzinger, Tocotronic

Doch es wird nicht nur Pollesch gespielt: Künstler:innen, mit denen er eng verbunden war, geben künstlerische Abschiedsgeschenke. Die Choreografin Florentina Holzinger tanzt mit ihrer nackten Crew einen Tapdance aus "Ophelia’s Got Talent", der Pollesch besonders gefallen haben soll. Und gibt trocken zu Protokoll, warum sie in Pollesch Jesus sieht: Er habe zum Beispiel seine Ferien für sie geopfert und sei als Sicherheitsaufsicht in ihren Proben eingesprungen.

Die Choreografin Constanza Macras gibt mit zwei Tanz-Paaren eine heitere Nummer über die Berliner Gentrifizierung. Und die jungen Tänzer:innen von der Flying Steps Academy legen einen atemberaubenden Hip-Hop-Tanz hin. Dirk von Lotzow von Toctotronic singt zwei eigene Songs und kann sich ein paar kitschige Abschiedsworte nicht verkneifen.

Und die Volksbühnen-Belegschaft steht in Jeanskluft à la Pollesch auf der Bühne und singt: "God only knows what I’d be without you" von den Beach Boys.

Die Umbaupausen dazwischen nutzen Martin Wuttke, Trystan Pütter und Milan Peschel als Trio aus Polleschs "Dark Star" in langen rosa Unterhosen für kleine Slapstick-Nummern.

Wahnsinnskostüme beim "Ballroom"

Eine traurige und gleichzeitig beschwingte Revue aus Songs, Tanz, Drama, Slapstick, Pointen und Liebeserklärungen, die schon am Nachmittag losgegangen war. Der "Ballroom", ein Format aus der afro- und lateinamerikanischen LGBTIQ+-Community, musste aufgrund der eisigen April-Kälte vom Vorplatz ins Sternfoyer verlegt werden. Gruppen treten dabei in einer Art Vogueing gegeneinander an, es ist ein Posieren in Wahnsinnskostümen, das ab 17 Uhr schon ein wenig Partystimmung aufkommen ließ, ganz nach der harten Ansage: "Wer nicht klatscht, fliegt raus."

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Aufforderung an den Kultursenator

Erst danach beginnt die Feier im großen Saal, mit einem Publikum aus Weggefährt:innen und Menschen aus der Szene. Der Kultursenator Joe Chialo (CDU) im Zuschauerraum wird von der Band 1000 Robota direkt angesprochen: "Ich hoffe, was an diesem Haus geschieht, auch der Kultursenat versteht. Joe, put the gun out of your hands", reimt der Sänger Anton Spielmann.

Schade nur, dass nicht noch mehr Menschen im Publikum sitzen, die wie Chialo wenig von Polleschs Kunst kennen. Denn dieser Abend führt exemplarisch vor, wofür sie steht. Etwa das Hinterfragen von Authentizität und Repräsentation auf der Bühne, als eine lebendige (!) "authentische Kuh" hereingeführt wird, die dem hoch komischen Witwenchor aus Sophie Rois, Katrin Wichmann, Christine Groß, Kati Angerer und vielen weiteren Damen mit ihren niedlichen schwarzen Kulleraugen glatt die Show stiehlt.

"Feier was du liebst" steht auf dem Banner überm Haus – genau das haben die Künstler:innen getan.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.04.2024, 6:00 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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