Interview | Berliner Theatertreffen
Das am Donnerstag beginnende Berliner Theatertreffen ist das erste unter der Leitung von Nora Hertlein-Hull. Im Interview erzählt sie, was sie am Theater begeistert - und warum nicht immer politisch nützlich sein muss, was auf der Bühne gezeigt wird,
rbb: Frau Hertlein-Hall, können Sie sich daran erinnern, wann Sie zum allerersten Mal beim Theatertreffen zu Besuch waren?
Nora Hertlein-Hall: In der Tat kann ich mich nicht daran erinnern. Aber bei allen Theaterproduktionen, mit denen ich immer wieder zu tun habe, war das Prädikat Theatertreffen immer ein Qualitätsmerkmal. Oder man sagt: Ah, die Produktion war auch beim Theatertreffen. Dann wusste man gleich: Okay, da muss man genauer hinschauen.
Und wofür steht das Theatertreffen heutzutage für Sie?
Ich würde sagen, die Einzigartigkeit, dass es aus so vielen Produktionen ausgewählt wird. Dass es die Kritikerinnen-Jury gibt, die so viel sichtet, was ja ein einzelner Kurator, eine Kuratorin nie leisten könnte. Und dass dadurch die Qualität, die Besonderheit, das Bemerkenswerte so erwartbar ist. Man kann sich so sicher sein, dass es qualitätsgeprüft ist durch so ein tolles Team.
Was zeichnet diese Auswahl aus?
Es ist eine unglaublich vielfältige Auswahl. Das Publikum hat die seltene Chance, nach dem eigenen Geschmack zu schauen. Welche Richtung interessiert mich am meisten: Möchte ich einen Klassiker mit wahnsinnig tollen Schauspielern sehen oder eher auf ein nischigeres Thema blicken? Möchte ich unterhalten werden? Oder möchte ich mich mit wirklich bewegenden, tiefen, auch traurigen Themen auseinandersetzen?
Warum haben Sie sich für die Eröffnungsinszenierung entschieden?
Wir freuen uns sehr, dass wir mit "Nathan der Weise" von den Salzburger Festspielen eröffnen, in der Regie von Ulrich Rasche. Dieses Stück ist sehr aufwendig. Um diesem Aufwand gerecht werden zu können, braucht es einen gewissen Vorlauf. Und den haben wir am Anfang des Festivals. Da können wir sicherstellen, dass dieses Monumentalwerk adäquat hier wiederhergestellt wird.
Nachdem die Auswahl im Januar bekannt gegeben wurde, haben Sie in einem Interview gesagt, Sie würden jetzt die Auswahl lesen, um zu schauen, welches Welthaltige darin steckt, das man dann im Rahmenprogramm vertiefen kann. Was haben Sie gelesen, was man jetzt auch im Rahmenprogramm finden kann?
Also eines der Themen, das uns ganz wichtig ist, ist zum Beispiel das Thema Provinz Denn das Theaterhaus Jena ist zum ersten Mal bei uns zu Gast mit der "Hundekotattacke", auf die wir uns sehr freuen. Gerade in einem Bundesland wie Thüringen zum Beispiel ist die Bedrohung oder die Einflussnahme von rechts auf die Kulturschaffenden sehr spürbar.
Das fanden wir schon Anlass genug zu sagen, wir möchten hierzu ein extra Gespräch führen. Deshalb haben wir uns mit dem Autor und Kurator Florian Malzacher zusammengetan, der auch alle "Nachtgespräche" moderieren wird. Seine Gesprächsreihe "Art of Assembly" wird sich mit dem Druck von neurechten Bewegungen auf die Kulturlandschaft beschäftigen.
Eine andere Arbeit, die ich ganz toll finde, ist Luisa Neubauer, die Klimaaktivistin, die wahrscheinlich jetzt keine Einführung mehr braucht. Sie setzt sich mit der Aufklärung an sich auseinander, in einer ganz schönen, spannenden Zusammenarbeit mit dem Ensemble "Resonanz", wo sie mit einem Streichquartett eine Art von Spoken-Word-Performance macht. Bei "Nathan der Weise" reflektiert man die Aufklärungsthemen mit Voltaire und mit Lessing auf die eine Art - und dann kommt diese junge Frau, die das ganz anders sieht und ihren Kommentar dazu abgibt. Das ist für mich eine sehr schöne Verwebung.
Claudia Roth, die Staatsministerin für Kultur und Medien, schreibt in ihrem Grußwort zum Theatertreffen, dass Theater sehr wichtig als Ort der Verständigung in Zeiten der Kriege und Krisen und auch ein Ort für Denkanstöße sei. Auch wenn das sicher alles richtig ist: Es klingt ja schon auch immer so, als hätte die Kunst nur einen Wert, wenn sie sich dann auch politisch nützlich macht. Wie sehen Sie das?
Ich glaube absolut auch an die bereichernde ästhetische Erfahrung, die für die Psyche eines jeden Menschen wichtig und gut ist. Natürlich ist ein gesellschaftlich aktiver, mitdenkender Mehrwert einer Produktion wichtig, aber ich glaube auch, dass es zur Herzensbildung, zur Gesellschaftsbildung dazugehört und dazugehören muss, dass man sich einfach auch einem ästhetischen Genuss aussetzt.
Bei den Publikumsgesprächen referieren Expert:innen zu den Themen, um die es auch im Stück geht. Fokussiert es dann aber nicht genau darauf, also das gesellschaftspolitische Thema des Stücks dann doch mehr in den Vordergrund zu stellen als, sagen wir mal, die Theatersprache?
Wir haben die Expert:innen gebeten, es eher unakademisch so zu betrachten, dass sie einfach der erste Zuschauer, die erste Zuschauerin sind, die ihren Eindruck schildern. Wir freuen uns einfach über Menschen, die anders denken, die auch vielleicht nicht so oft sich zu Theater und Darstellender Kunst äußern. Und dadurch, dass das alles sehr intelligente, sehr spannende Persönlichkeiten sind, wird das einfach eine spannende Meinung sein, die wir da hören. Aber wir wollen gerade diese Nachtgespräche nicht überakademisieren, sondern einfach ein bisschen erweitern und Denkräume aufmachen.
Intendant Matthias Pees wollte das Theatertreffen internationaler ausrichten. Nach einer Ausgabe mit einem internationalen hat er dem internationalen Leitungsteam der vorigen Ausgabe aber wieder gekündigt. Ist es auch in Ihrem Sinne, das Theatertreffen ein bisschen internationaler zu machen?
Es stellt sich die Frage, was das bedeuten würde. Da gibt es verschiedene Stellschrauben, an denen man drehen könnte. Ich habe natürlich den Hintergrund, dass mir die Wahrnehmung der deutschsprachigen Szene im internationalen Raum sehr präsent ist. Ich bin sehr gut vernetzt. Aber ich sehe auch, dass das Theatertreffen ein Festival der deutschsprachigen Theaterschaffenden ist. Das werden wir beibehalten. Ich habe natürlich aber die Ambition, auch die internationale Strahlkraft des Theatertreffens zu stärken. Das werden Kooperationen sein. Das sind zum Teil auch Kooperationen, die wir jetzt schon haben und machen.
Warum haben Sie die "Lessing-Tage" in Hamburg überhaupt fürs Theatertreffen verlassen? Sie konnten international kuratieren. Beim Theatertreffen geht es eher darum, die Auswahl, die andere getroffen haben, umzusetzen. Das ist eine organisatorische und eine repräsentative Aufgabe.
Das Theatertreffen ist ja nicht nur die Aufführungen, sondern wie gesagt auch das, was man drumherum baut, welche Erfahrung man fürs Publikum anbietet. Ich freue mich sehr, Leuten eine schöne, interessante, inspirierende Erfahrung zu ermöglichen. Insofern hat mich die Position als solche auch gereizt, auch wenn man sozusagen die Stücke selbst nicht aussuchen kann. Ich finde, Vermittlung ist ein hochspannender Bereich. Wie kommuniziert man diese Zehner-Auswahl? Wie bettet man sie ein? Das ist genauso kreativ.
Sie haben auch international als Produktionsleiterin gearbeitet, unter anderem mit sehr experimentellen Gruppen, die die traditionelle Theaterform eher sprengen, wie zum Beispiel das "Nature Theatre of Oklahoma" aus New York, Vegard Vinge aus Oslo und Taylor Mac. Sind Sie ein Fan von radikalem Performance-Theater?
Auch, würde ich sagen - nicht ausschließlich. Was mich aber an der Zusammenarbeit mit den genannten Künstler:innen immer interessiert hat, war eben diese Reibung. Also wie passt ein "Nature Theatre of Oklahoma" in ein Stadttheater? Denn natürlich kann das nicht reibungslos funktionieren. Und gerade diese Vermittlung zwischen den Sphären, zwischen freiem Theater und etabliertem Stadttheater ist sehr spannend. Man holt sich damit einen frischeren Blick. Wenn man nur im Stadttheaterbereich arbeiten würde, würde man ja glauben, das muss immer so sein und muss immer so ablaufen.
Was lieben Sie denn generell am Theater? Warum machen Sie nicht irgendetwas anderes?
Ich liebe die Maschine. Das muss man schon ganz klar sagen. Ich liebe die Technik. Alles ist mit Expert:innen besetzt. Ich liebe, dass der Requisiteur, die Requisiteurin genau die richtige Farbe des Tellers herausfindet, die zum Bühnenbild gehört. Diese Art von Aufmerksamkeit, einen gesamtästhetischen Eindruck zu erzeugen, beeindruckt mich und befriedigt mich in irgendeiner Art und Weise, würde ich sagen. Und ich glaube, dass die Momente, die man als Zuschauer:in hat, einen beflügeln können.
Ein kleiner Sprung in die Zukunft. Nehmen wir mal an, Sie sind in zehn Jahren hier noch verdiente Leiterin des Theatertreffens. Wie wird das Theatertreffen dann aussehen? Was meinen Sie?
Das kann ich jetzt nicht sagen. Da muss ich erst mal eine Ausgabe machen, dann weiß ich ein bisschen mehr, wie es weitergehen wird. Dann hoffe ich, dass wir am Puls der Zeit geblieben sind, uns mitentwickelt haben mit den Themen und dass es auch in zehn Jahren als ein relevantes, schönes Festival in Berlin angesehen wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Nora Hertlein-Hall führte Barbara Behrendt für rbb24 Inforadio. Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.05.2024, 10:45 Uhr
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