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Quelle: © Joachim Dette

Fazit | Theatertreffen 2024

Mit Hundekot beschmiert - und quicklebendig

Ein überaus starker Theatertreffen-Jahrgang geht am Pfingstmontag zu Ende. Zu sehen war eine spannende Auswahl mit etlichen Stars - und einem umjubelten Überraschungs-Hit aus der Theater-Provinz. Von Fabian Wallmeier

In drei Tagen ist Premiere - und wir stehen noch ganz am Anfang. Was jetzt? Ach, lasst uns einfach den E-Mailverkehr vorlesen, der den Weg dahin aufzeigt. Klingt nach einer faulen Idee - ist aber im Fall von "Die Hundekot-Attacke" schlicht spektakulär. Die Inszenierung vom Theaterhaus Jena wurde am Pfingstwochenende zum Abschluss der ultimative Höhepunkt des in diesem Jahr an Höhepunkten alles andere als armen Berliner Theatertreffens.

Sechs Schauspieler:innen und eine Tänzerin treten auf - und tun tatsächlich genau das: Sie lesen einen Mailverkehr vor. Von der ersten Idee durch allerlei Querelen hindurch bis zur Premiere. Die Inszenierung, die sie entwickeln, soll an einen der größten Szene-Skandale der jüngeren Vergangenheit anknüpfen: Im Februar 2023 beschmierte ein mächtiger Choreograph eine unliebsame Kritikerin in einer Premierenpause mit Hundekot.

Brüllend komisch: "Die Hundekot-Attacke" beim Theatertreffen 2024

Sein Name und der der Kritikerin sollen hier nichts zur Sache tun - sie werden auch im Stück kein einziges Mal namentlich erwähnt. Der Skandal jedenfalls ereignete sich in Hannover, nicht in Jena. Auch darum geht es nun in der Inszenierung: Wie eignet man sich einen Fall an, der anderswo spielt? Und vor allem: Wie kann man als kleines Provinztheater dafür sorgen, dass endlich auch mal das überregionale Feuilleton kommt?

"Die Hundekot-Attacke" spielt brüllend komisch all die Verzweigungen, Verwerfungen, Eitelkeiten und Verzögerungen durch, die künstlerischen Gruppendynamiken zu eigen sind. Und der Abend ist noch viel mehr: Er verwischt mit Lust die Grenzen zwischen Ausgedachtem und dem tatsächlichen Entstehungsprozess. Vor allem ist er aber eine ungemein kluge Auseinandersetzung mit dem Theaterbetrieb, den Mechanismen der Berichterstattung über ihn und mit dem Verhältnis von Metropole und sogenannter Provinz. Ganz am Ende, wenn alle Mails verlesen sind, öffnet die Inszenierung sich dann noch in eine wilde Performance. Und es wird klar, wie schlau gebaut der Abend von Anfang an war. Ein echtes Theater-Ereignis.

Das sahen auch die Juror:innen der auf dem Theatertreffen zu vergebenden Preise so. Schon vorab war bekannt, dass das Team der "Hundekot-Attacke" mit dem 3sat-Preis geehrt werden würde. Am Montag kam nun noch der Alfred-Kerr-Darstellerpreis dazu. Alleinjurorin Ursina Lardi entschied sich für Nikita Buldyrski. "Er zeigt sich ganz und gar, klagt an, teilt aus und ist dabei verletzbar und selbstbewusst zugleich", sagte sie. Eine Begründung, die auch für alle anderen Darsteller:innen des tollen Ensembles zutreffend gewesen wäre.

Szenenbild aus "Extra Life" von Gisèle Viennes | Quelle: © Estelle Hanania

Schaulaufen der Stars beim Theatertreffen 2024

Das Theatertreffen 2024 war ansonsten nicht zuletzt ein Schaulaufen ungewöhnlich vieler Theater-Stars: Lina Beckmann legt im Hamburger "Laios" eine atemberaubende One-Woman-Show hin. Dimitrij Schaad steht in "The Silence" als Alter Ego von Regisseur und Autor Falk Richter ebenfalls ganz allein im Globe der Berliner Schaubühne - und hat sich seit der schon überaus eindrücklichen Premiere im November noch einmal deutlich freier gespielt. Joachim Meyerhoff lässt als Ekel Platonow in "Die Vaterlosen" von den Münchner Kammerspielen die Sau raus - und bekommt am Ende von Wiebke Puls und Katharina Bach nicht minder bravourös den Marsch geblasen.

Auch "Macbeth" vom Schauspielhaus Bochum wartet mit einem schauspielerischen Schwergewicht auf: Jens Harzer, Träger des Iffland-Rings, spielt in der Inszenierung von Johan Simons an der Seite von Marina Galic und Stefan Hunstein nicht nur die Titelrolle, sondern auch noch ein paar andere. Nur die drei stehen auf der Bühnen und verkörpern alle Rollen - als traurige Clowns, mal seltsam verlangsamt, dann plötzlich ins Komische überdreht. Ausgerechnet dieser als Schauspielfest angelegte Abend wird zu einer trotz einiger schöner Momente eher zähen und blutleeren Angelegenheit. Der unerwartete Tiefpunkt des Festivals.

Szenenbild aus "Macbeth", Schauspielhaus Bochum | Quelle: © Armin Smailovic

Allerlei Balancen gehalten

Doch das ist Jammern auf hohem Niveau: Denn dieser Theatertreffen-Jahrgang war (mit Abstrichen allenfalls noch beim teilweise zerfaserten Zürcher Spektakel "Riesenhaft in Mittelerde") überaus stark. Die Jury, die wie jedes Jahr aus den Theaterpremieren eines Kalenderjahres im deutschsprachigen Raum die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen auswählen musste, hat in diesem Jahr voll ins Schwarze getroffen. Die sieben Kritiker:innen schafften es, ein Programm zusammenzustellen, das zum einen fast durchgängig auf höchstem Niveau war - und nebenbei auch noch allerlei Balancen hielt, deren Fehlen sonst gern bemängelt wird: Es gab die großen klassischen Stoffe und neue Stückentwicklungen. Es gab Schauspiel-Stars und Darsteller:innen, die es noch zu entdecken gilt. Es gab Einladungen in die Theatermetropolen und in die Provinz (Nürnberg und Jena waren zum ersten Mal vertreten). Und große laute Abende wurden ebenso gewürdigt wie kleinere stille.

Mit einem großen lauten Abend begann das Festival: Ulrich Rasche wirft im Salzburger "Nathan der Weise" wieder die große Theatermaschine an und überzeugt dieses Mal vor allem mit spektakulärem Licht.

Theaterkritik | "The Silence" von Falk Richter

"Dimi: Schaubühne, Schaubühne: Dimi"

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Komplett in die Vollen

Ein ähnlich dominantes Lichtdesign hatte Gisèle Viennes "Extra Life", ein französischsprachiger Abend von der Ruhrtriennale. Wände aus Licht zu dröhnendem Score spiegeln hier zum einen die im Dialog des Stücks herbeifantasierte Entführung durch Aliens wider. Zum anderen stiften sie geschickt Verwirrung. Denn der Abend geht sein Thema weniger strikt erzählend an, sondern in erster Linie assoziativ und bildstark. Im Kern geht es um zwei Geschwister, die über ihren Missbrauch durch einen Verwandten in ihrer Kindheit reden. Doch der Abend öffnet sich schnell und durchaus eindrucksvoll ins Transzendente.

Komplett in die Vollen geht dagegen "Übergewicht, unwichtig: Unform" vom Staatstheater Nürnberg. Rieke Süßkows Inszenierung des derben Dramas von Werner Schwab ist eine nicht minder derbe Feier der Künstlichkeit. "Keine Einsicht, so hofft der Autor", heißt es zu Beginn des in einer tristen Spelunke angesiedelten Textes - und die Inszenierung liefert. Sieben, später neun, fast unkenntlich puppenhaft maskierte und kostümierte Darsteller:innen stehen in einer Reihe in der Schaukastenbühne, die auf halber Höhe des Portals eingezogen ist. Sie bewegen sich abgehackt zu Soundeffekten und sind dabei doch jederzeit agil und spielfreudig. Primäre Geschlechtsmerkmale aus nicht ganz aufgeblasenem Schwimmflügelplastik kommen zum Einsatz - und das ganze Kneipenelend endet so brutal wie möglich. Keine Einsicht, aber großes Können und ziemlich viel Spaß.

Szenenbild aus ÜBERGEWICHT, unwichtig: UNFORM, Staatstheater Nürnberg | Quelle: © Konrad Fersterer

"You never stop imagining"

Im Kontrast dazu kommt der zarteste, stillste Abend des Treffens ausgerechnet von Yael Ronen, der Meisterin der Screwball-Komödie. "Bucket List" von der in diesem Jahr sensationell zweimal eingeladenen Berliner Schaubühne (hier unsere Premierenkritik aus dem Dezember 2023) war gerade im Entstehen, als am 7. Oktober 2023 der Hamas-Terror gegen Israel begann. Von der ursprünglichen Idee, ein Musical über die Dinge zu machen, die man im Leben noch erreichen will (im Englischen spricht man dabei von einer "bucket list"), blieb dabei nur wenig übrig. Das Ergebnis ist keine explizite Auseinandersetzung mit dem Massaker, sondern ein bewusst zerklüfteter Musikabend: von eher leichten Betrachtungen des Zeitgeists über schwarzhumorige Szenen über Beziehungsprobleme und Traumata bis hin zu tieftraurigen Momenten der Verzweiflung. Wenn am Ende Damien Rebgetz ganz sacht und verletzlich "You never stop imagining" singt, geht das zu Herzen wie kaum ein anderer Moment in dieser Theater-Saison.

Fazit zum Theatertreffen 2023

Bemerkenswert träge

Ein schwacher Jahrgang des Berliner Theatertreffens geht an diesem Montag zu Ende. Bei den zehn eingeladenen Inszenierungen gab es wenig zu entdecken - und das neue Rahmenprogramm wirft weitere Fragen auf. Von Fabian Wallmeier

Die Zehner-Auwahl strahlen lassen

Zum Gelingen des Theatertreffens trug auch die neue Leitung bei: Nora Hertlein-Hull hat schnell erkannt, dass von den Wirrungen des nach nur einer Ausgabe abgesetzten Leitungs-Kollektivs 2023 besser rein gar nichts übrigbleiben sollte. Statt des komplett missratenen Versuchs, der Zehner-Auswahl ein weitschweifiges Rahmenprogramm aus sogenannten "Treffen" mit allerlei aktivistischen Petitessen aus dem Ausland an die Seite zu stellen, setzt sie auf Bewährtes: Sie kuratierte gut vorbereitete Nachgespräche und ein paar flankierende Podiumsdiskussionen - und ließ ansonsten die Zehner-Auswahl strahlen.

Was aber, wenn nun wirklich in drei Tagen Premiere wäre und man noch ganz am Anfang stünde? Wer diesen Theatertreffen-Jahrgang gesehen hat, kann da ganz gelassen bleiben: Offenkundig ist das deutschsprachige Theater quicklebendig und voller Ideen - ihm wird schon noch etwas einfallen.

Sendung: rbb24 Inforadio, 20.05.2024, 9:54 Uhr

Beitrag von Fabian Wallmeier

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