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Video: rbbKultur | 08.06.2024 | Margarete Kreuzer | Quelle: dpa-Bildfunk/Barbara Sax

Ausstellungskritik | Andy Warhol in der Neuen Nationalgalerie

Im Schambereich

Andy Warhol ist für bunte Darstellungen von Suppendosen und Hollywoodstars bekannt. "Andy Warhol. Velvet Rage and Beauty" zeigt nun Werke, die eher unbekannt und nicht Mainstream sind. Vor expliziter Nacktheit und Sexualität wird sogar mit einem Hinweis gewarnt. Von Julia Sie-Yong Fischer

In der oberen Glashalle des von Mies van der Rohe entworfenen Gebäudes ist ein Labyrinth von Stellwänden aufgebaut. Beim Eingang springen dem Publikum sofort die farbenfrohen Gemälde mit der schwarzen Dragqueen Wilhelmina Ross und der Aktivistin Marsha P.Johnson entgegen. Mit leichten bunten Pinselstrichen überarbeitete Warhol die Siebdrucke und lässt die damals nur in der Szene bekannten Persönlichkeiten zu Ikonen werden.

Doch trotz der Lebensfreude, die diese Bilder zu ihrem Entstehungsmoment ausstrahlen, werden beide viel zu früh sterben. Ross an den Folgen ihrer HIV-Erkrankung, Johnsons ungeklärte Todesursache schließt Mord nicht aus. Dieses Beispiel macht schnell deutlich, welche Rolle der historische Kontext für das Verständnis dieser zunächst unpolitisch wirkenden Werke spielt.

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Gefährliches Begehren

Auch Warhols Biografie ist von ihrer restriktiven Zeit geprägt. Die grafischen Frühwerke lassen davon jedoch nicht viel erahnen. Die Serie "Blotted Line Figures" (1953) beinhaltet zarte Umrisse von Menschen und Profilskizzen von sich küssenden Männern. Auf den Zeichnungen der 1956 stattfindenden Ausstellung "Studies for a Boys Book" werden die Szenen schon expliziter, neben Zärtlichkeiten kommen auch sexuelle Handlungen und Nacktheit dazu.

Für die damalige Zeit war das Produzieren und Ausstellen solcher Szenen in den USA durchaus riskant. "Lavender Scare" (deutsch: lavendelfarbener Schrecken) wurde die politische Hetzjagd auf Homosexuelle in der McCarthy-Ära genannt. Sie bedeutete für viele das berufliche Aus, wenn nicht sogar lebensbedrohliche Gewalt.

Doch ließ sich der Künstler zu keiner Zeit davon abschrecken, auch seine zahlreichen Polaroid-Selfies als Dragqueen sind aus heutiger Sicht ziemlich unerschrocken selbstbewusst.

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Nackte Abstraktion

Zeit seines Lebens bekannte sich Warhol nicht öffentlich zu seiner Homosexualität. Teilweise wurde gemutmaßt, dass er asexuell sei. Dieses Gerücht scheinen die Bilder der Serien "Torso" (1977) und "Sex Parts" (1977/78) vehement zu widerlegen: Auf ihnen fokussiert sich Warhol auf primäre Geschlechtsmerkmale und Sexszenen, die er so nicht expliziter hätte darstellen können.

Ein zentraler Raum der Ausstellung ist voll mit Drucken von Hintern, Hoden und Genitalien, im Warholschen Stil nachkoloriert und zu seriellen Paaren sortiert. Diese Anhäufung macht beim Ansehen Spaß, das Schamhafte wird durch seine Wiederholung zur Abstraktion. Und gleichzeitig wirken die Arbeiten politisch, in einer Welt in der Queerfeindlichkeit nicht selten eine absurde Fixierung auf Intimität beinhaltet.

Unverschämte Schönheit

Das Gefühl der Scham kann Kurator Klaus Biesenbach persönlich in allen Bildern nachspüren. Daher änderte er auch den ursprünglichen Titel zu einer Hommage an das 2005 veröffentlichte Buch "The Velvet Rage" des Psychologen Alan Downs. Darin werden die psychischen Folgen der Scham aufgearbeitet, die schwule Männer in einer heteronormativen Welt verinnerlichen müssen.

Quelle: Picture Alliance/Marijan Murat

Und dennoch können die Werke Warhols als Zeugnisse des Selbstverständniss für das unverklemmte Wiedergeben von queerem Leben und seiner Ästhetik gelesen werden. Das Streben nach einer eigenen Auffassung von perfekter Schönheit war vielleicht der stärkste Schaffensantrieb Warhols: Viele Polaroids, Zeichnungen, Illustrationen, Fotos und Filme persönlich wichtiger Menschen in Warhols Umfeld sowie von Stars wie dem jungen Mick Jagger oder Jean-Michel Basquiat zeigen seine Verehrung für sie.

Ein Blick des unverhohlenen Begehrens auf den männlichen Körper, den die Besucher:innen durchaus nachempfinden können. Und so wird auch das berühmteste Bild der Ausstellung, der "Double Elvis" (1963) zu einem bewaffneten Lustmotiv, welches schärfer schießt als gedacht.

"Andy Warhol. Velvet Rage and Beauty" 09.06.2024 bis 06.10.2024 in der Neuen Nationalgalerie, Potsdamer Straße 50
10785 Berlin

Jeden Donnerstag freier Eintritt von 16-20 Uhr

Hinweis der Veranstalter: Die Ausstellung zeigt sehr explizit Nacktheit und Sexualität sowie vielfältige Darstellungen von Gender und Körpern. Bitte beachten Sie dies bei der Entscheidung, ob Sie die Ausstellung mit Minderjährigen besuchen.

 

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.06.2024, 10:00 Uhr

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