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Audio: rbb24 Inforadio | 01.07.2024 | Corinne Orlowski | Quelle: dpa/Jens Kalaene

Juli Zeh wird 50

Unter, über, zwischen Bestseller-Autorinnen

"Unterleuten", "Über Menschen", "Zwischen Welten" - so heißen Buchtitel von Juli Zeh. Sie ist eine Ausnahme-Erscheinung im deutschen Literaturbetrieb, eine streitbare Stimme im öffentlichen Diskurs - und Pferdeliebhaberin. Am 30. Juni wird sie 50 Jahre alt. Von Corinne Orlowski

Bei öffentlichen Auftritten kann man Juli Zeh streitlustig und kritisch erleben. Sie freue sich, gehört zu werden, sagt die Autorin - selbst wenn sie eigentlich Bühnenangst habe.

Im Moment kann man Juli Zeh als die erfolgreichste deutsche Schriftstellerin bezeichnen - zumindest wenn man auf die Verkaufszahlen schaut. Die Gesamtauflage ihrer Bücher beträgt mehrere Millionen Exemplare. Da ist es erstaunlich, dass Zeh noch nie den Deutschen Buchpreis oder den Preis der Leipziger Buchmesse erhalten hat - sie stand noch nicht mal in der engeren Auswahl. Dabei war schon ihr Debütroman "Adler und Engel" im Jahr 2001 ein Welterfolg. Die als Thriller getarnte Liebesgeschichte wurde in 35 Sprachen übersetzt.

Diskussion in Potsdam

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Clash of Civilizations: Stadt vs. Land

Juli Zeh - bürgerlich Julia Barbara Finck - wurde 1974 in Bonn geboren, als Tochter eines späteren Direktors beim Deutschen Bundestag. Sie studierte Jura und war bei ihrem Staatsexamen Ende der 1990er Jahre Jahrgangsbeste in Sachsen. Seit 2018 ist Zeh ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Brandenburg. Doch hauptberuflich hat sich Zeh für die Literatur entschieden. In ihren sprachlich präzisen Erzählungen verarbeitet sie aktuelle politische und soziale Fragestellungen. Gern lässt sie Ost und West, Stadt und Land aufeinanderprallen. Seit 20 Jahren wohnt Juli Zeh selbst auf dem Dorf, in Barnewitz (Havelland) im Westen Brandenburgs. Dort dreht sich alles um Pferde.

Seit sie in die Provinz gezogen ist, habe sie festgestellt, dass das Leben auf dem Land ein eigenes Universum sei, das vom Leben in einer Stadt wie Berlin letztlich nicht weiter entfernt sei als das in einer anderen Hauptstadt, wie Tokio oder New York am anderen Ende der Welt, so Juli Zeh. Die wahren Kulturräume würden sich nicht mehr geografisch verorten, sondern eigentlich über die Alltagsbedingungen, "wie die Leute leben, welche Probleme sie haben, welche Wünsche daraus auch resultieren. Da findet schon mal ein kleiner Clash of Civilizations auf engstem Raum statt", sagt die Schriftstellerin.

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Streitbare Intellektuelle

Die Brandenburger Lakonie bringt Zeh in ihren Büchern meisterhaft auf den Punkt. Nah am Puls der Zeit und mit überraschenden Perspektiven gelingt es Zeh Themen und Tendenzen des 21. Jahrhunderts mit literarischen Mitteln aufzunehmen. Zeh ist eine Vielschreiberin, Schreiben ein verschriftlichtes Selbstgespräch. Zu ihrer Schreibpraxis gehöre es, 20 oder 50 Seiten zu schreiben, bis sie den Text wieder aufgebe, um sich dem nächsten zu widmen, sagt Zeh. Normalerweise mache sie sich dabei wenig Gedanken, lasse sich von der Geschichte davontragen und wisse nicht, wohin die Reise gehe. Mitunter sind die Texte auch fertig, doch sie entscheide sich dann gegen eine Veröffentlichung.

Viele ihrer Romane werden für die Bühne und fürs Fernsehen adaptiert. 2016 veröffentlicht Zeh ihren Gesellschaftsroman "Unterleuten". Anderthalb Jahre steht das Buch auf der Top 50 Bestsellerliste des "Spiegel". Der Roman "Corpus Delicti" ist in vielen Bundesländern in diesem Jahr Thema im Deutsch-Abitur. Das Buch handelt von einem Staat, der sich von einer Demokratie in eine Gesundheitsdiktatur verwandelt. Zuletzt erschien "Zwischen Welten", zweistimmig geschrieben mit dem Autor Simon Urban: ein moderner Briefroman und satirischer Spaß über die Verrohung der Debattenkultur.

"Politik ist keine Pädagogik"

In die Debatten mischt sich die Bestseller-Autorin auch gern selbst ein, weil sie sich, wie sie in einem "Spiegel"-Interview 2023 sagte, für den Diskurs zuständig fühle. "Ich bilde mir ein, zu merken, wenn ein Diskurs nicht offen genug, vielstimmig und vielschichtig genug ist und auch nicht immer ehrlich genug, wie ich es eigentlich für einen demokratischen Staat für unverzichtbar empfinde."

Doch ihre Meinungen können durchaus polarisieren. In Interviews unterstreicht sie regelmäßig die Überheblichkeit der Städter oder zeigt Verständnis für die Bauernproteste. Politisch ist Zeh seit 2017 selbst als SPD-Mitglied aktiv und scheut sich nicht, auch mal gegen Parteigenossen auszuteilen. Wie im Gespräch im Januar 2024 mit dem Bundeskanzler Olaf Scholz, präsentiert vom rbb24 Inforadio: Dort sagt Zeh vor 700 Gästen im Potsdamer Nikolaisaal, die Menschen wollen nicht "abgeholt werden wie Kinder, die nicht allein von der Kita nach Hause finden" von "Kümmerern" mit "Doppel-Wumms". Politik sei keine Pädagogik.

Auch wenn sie wegen ihrer polarisierenden Äußerungen als "umstrittenste Schriftstellerin Deutschlands" tituliert wird: Juli Zeh ruft zum Nachdenken und zur Besonnenheit auf. Nicht zuletzt dafür wurde sie 2018 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Und deswegen ist sie als literarisch formbewusste und kritische Stimme auch nicht mehr aus der Öffentlichkeit wegzudenken.

Sendung: rbb24 Inforadio, 30.06.2024, 08:10 Uhr

Beitrag von Corinne Orlowski

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