Konzertkritik | Waldbühne
Dua Lipa eröffnet ihre Tournee in der Berliner Waldbühne und liefert Musik, Outfits und... Verwirrung? Warum radikaler Pop-Optimismus mehr als Performance braucht. Von Jule Lippick
Ursprünglich sollte das erste Konzert der kurzen Tournee der englisch-albanischen Musikerin Dua Lipa den Sommer einläuten. Doch leider spielt das Wetter am Mittwochabend in der Berliner Waldbühne nicht mit. Kurz vor Einlass regnet es in Strömen, was die Stimmung der Fans jedoch nicht trübt. Gerade noch bunte Outfits werden in Plastik verhüllt.
Mit dem tanzbaren Erfolgstitel "Training Season" von ihrem neuen Album "Radical Optimism" eröffnete Dua Lipa das Spektakel und verwandelte die Waldbühne in eine nasse Open-Air-Disco. Umringt von Liegestütz machenden Tänzern präsentiert die 28-Jährige eine ausgeklügelte Performance.
Ob es an Dua Lipas neu gewonnenem radikalen Optimismus liegt oder ob der Track "One Kiss", der ursprünglich in Zusammenarbeit mit Calvin Harris entstand, einzig und allein darauf abzielt, die Menge anzufeuern: Es wirkt. Der dem Original hinzugefügte tiefe elektronische Bass macht aus dem ohnehin schon tanzbaren Clubhit eine an Berlin angepasste Partyhymne. Genauso reizüberflutend erscheinen auch die Effekte: Pink, Lila und Rot bedecken die zu große Leinwand hinter der Künstlerin. Mit dem Live-Debüt von "These Walls" ändert sich die Atmosphäre auf der Bühne: ruhige, melodische Klänge mit viel Gitarre und einem schlichten Outfitwechsel von Dua Lipa.
Hier bietet die Leinwand, Co-Star der Show, die Texte des nächsten Tracks an. Auf diese Weise kann auch Textunsicherheit durch einfaches Ablesen überwunden werden. Dennoch ersetzt dies nicht die Interaktion mit dem Publikum, die bis hierhin ausgeblieben ist.
Dua überbrückt diese dann tatsächlich doch noch. Sichtlich ergriffen bedankt sie sich bei den knapp 22.000 Zuschauern in der Waldbühne: "It’s so beautiful to be here in your city". Ihre Unterstützung gegenüber der LGBTQ-Community, die sie bereits oft thematisiert hat, zeigt sie durch das Schwenken einer Regenbogenflagge während des Tracks "Be the One".
Es folgen psychedelische Effekte auf der übergroßen Leinwand. Während die Tänzer von Duas Verschwinden von der Bühne ablenken, geht die Show in eine Phase überzogener, schnellerer Bilder und greller Effekte über. Die Sängerin erscheint wieder in neuem Gewand. Sie performt vier weitere Titel, bis sie nach einer erneuten mit Musik und Tanzeinlage untermalten Zwangspause im neuen glitzernden Fit auf der Bühne erscheint.
"Radical Optimism" erscheint in Großbuchstaben und signalisiert uns, dass tatsächlich ein neues Album existiert. Der elektronische Klassiker "Glue" des britischen DJ-Duos Bicep ertönt. In Kombination mit Dua Lipas Titel "New Rules" von ihrem ersten Studioalbum erhebt diese Mischung tatsächlich den ersten Anspruch auf etwas Neues und Aufregendes an diesem Abend.
Bei dem Mashup "Cold Heart", das aus vier Elton-John-Songs besteht, findet die Regenbogenflagge erneut ihren Platz auf der Bühne. Das aufmerksame Publikum erkennt: Hier beginnt das Ende der reizüberflutenden Show.
Während Dua für einen kurzen Moment so tanzt, als wäre die Waldbühne ihr Wohnzimmer und die Fans nicht da, gleitet die Bühne in eine Unterwassersequenz. Dua erscheint auf der Leinwand, während die Bühne in blauem Licht erstrahlt. Ein erneuter Versuch, von dem eigentlichen Geschehen abzulenken: Warten, weil es ins letzte, diesmal weiße Outfit des Abends geht.
Es fällt leicht, sich voll und ganz auf das Geschehen auf der Bühne einzulassen, auch wenn zu diesem Zeitpunkt dichter Nebel die Sängerin nur noch schemenhaft erkennbar macht. Nach einem scheinbaren Flug durch die Wolken erfüllt die kühle Melodie von "Houdini" die Luft. Plötzlich endet das Konzert abrupt. Es folgen nur wenige Worte von Dua Lipa und eine leicht verwirrte Menge: Wird es noch eine Zugabe geben?
Die gefestigte Position Dua Lipas im internationalen Pop-Olymp kommt keineswegs von ungefähr. Ob es der musikalische Einfluss ihres Vaters, eines im Kosovo bekannten Rockmusikers, oder die Ausbildung an einer privaten Schauspielschule in London ist, Dua Lipa ist eine Performerin durch und durch. Auch der zwischenzeitlich starke Regen kann sie nicht davon abhalten, ihre Choreografie perfekt durchzuziehen.
Trotz der beeindruckenden Performance bleiben Fragen offen: Welche Geschichte erzählt sie? Auch der angebliche rote Faden verlief sich in den teils zufällig wirkenden Hintergrundeffekten, und die allgemeine Trackauswahl verwirrte ebenfalls. Denn obwohl ihr drittes Album bereits im Mai erschienen ist, stammten die meisten gespielten Titel von ihrem zweiten Album "Future Nostalgia": sieben Stück. Vom neuen Album "Radical Optimism" performte sie nur fünf Lieder.
Während Duas Musik durchaus extrem positive Vibes versprüht, bleibt das radikal Aufregende leider aus. Ohne Tänzer und Animation bleibt nur relativ durchschnittliche Popmusik mit eingängigen Melodien, zu denen es sich zwar gut tanzen lässt, die aber kaum mehr bieten.
Dazu die mangelnde Publikumsinteraktion. Die wenigen Worte, wenn auch mit Tränen in den Augen, hinterließen leider bei einigen Fans kein Gefühl von Verbundenheit.
Sendung: Fritz, 06.06.2024, 7:05 Uhr
Beitrag von Jule Lippick
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