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Audio: rbb24 Inforadio | 28.06.2024 | Barbara Behrendt | Quelle: Gianmarco Bresadola

Theaterkritik | "Enjoy Schatz" an der Schaubühne

Kaum etwas Echtes hinter den Plastik-Barbie-Momenten

In "Enjoy Schatz" treibt Jovana Reisinger das Spiel mit Authentizität auf die Spitze. Jetzt hat sie ihr Buch fürs Theater adaptiert – und steht mit auf der Bühne. Doch werden Sterotype und Klischees hier wirklich entlarvt? Von Barbara Behrendt

"Liebes Publikum", begrüßt Jovana Reisinger mit ihrem Buch "Enjoy Schatz" in der Hand die Menschen im kleinen Studio der Berliner Schaubühne. Auf der Jacke ihres schwarzen, weiten Jogging-Suits steht der Schriftzug "Sex Symbol" in Glitzersteinchen. "Das ist die Anleitung zum Glück mit der Schriftstellerin. Denn alles, was hier steht, ist autobiografisch. Ist wahr, ist echt, ist real. Oder? Jetzt wird’s geil: Doppelter Boden. Changieren zwischen einer fiktiven Person und mir. Authentizität nicht als Stilmittel, sondern Kernelement des weiblichen Schreibens. Eine Verschmelzung, eine Auflösung, ein Spiel. Denn werden weibliche Schreibende nicht sowieso mit ihren Figuren verwechselt?"

Frauen erzählen aus ihrem Leben – Männer schaffen Kunst?

In ihrem Essayband "Enjoy Schatz" treibt die Autorin und Filmemacherin die Frage nach Realität und Fiktion auf die Spitze. Aus gutem Grund: Wenn eine Frau ein Buch schreibt, wird in den Rezensionen meist erwähnt, welche Kleidung die Autorin trägt. Wenn eine Frau ein Buch über Sex oder Liebe schreibt, wird ihr gern unterstellt, autobiografische Erfahrungen zu verarbeiten – denn Frauen können, so das uralte Klischee, nur über ihre Erlebnisse berichten, Männer erschaffen Kunst. Man weiß in "Enjoy Schatz" also nie so genau, ob die Autorin über ihr Liebesleben spricht oder eine fiktive Schriftstellerin.

Jetzt hat Jovana Reisinger den Text mit der Regisseurin Sarah Kohm für die Berliner Schaubühne adaptiert – und steht zum ersten Mal selbst auf der Bühne. Reisinger spielt die reale Schriftstellerin, die dem Publikum erklärt, warum sie dieses Buch schreiben wollte. Doch (das Thema ist so alt wie das Theater selbst) erzählt ein Mensch auf der Bühne von sich, spielt er trotzdem eine Rolle. Die Frage von Authentizität, die Reisinger in ihren Texten stellt, schraubt sich auf der Bühne daher naturgemäß eine Umdrehung weiter.

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Geniales Bühnenbild

Es folgt der schöne Clou des Bühnenbilds: Während Reisinger sich im rosa Mini-Kleid und mit extrem langem blondem Pferdeschwanz als Abbild der Tussi, als die sie sich selbst beschreibt, auf Plüschsesseln wie im Erotik-Studio räkelt, öffnet sich links neben ihr eine gigantische Muschel. Darin liegt, als hätten wir uns in den "Barbie"-Blockbuster aus dem vergangenen Jahr verirrt, die Schauspielerin Veronika Bachfischer wie eine jener Barbies im Barbie-Haus mit Wandschrank und Spiegel und spielt den Gegenpart zur realen Schriftstellerin: die fiktive Schriftstellerin. Ziemlich genial, wie Lena Marie Emrichs Bühnen- und Kostümbild saftig die Klischees überzeichnet.

Ein Gedanken- und Erlebnisstroms führt nun durch vieles, was das Frau-Sein in unserer Gesellschaft ausmacht. Das beginnt stark, im Buch wie auf der Bühne – mit der Frage, was der Stereotyp mit der Realität zu tun hat. Kann und darf eine Frau, die aussieht wie eine Barbie, die sich also einem bestimmten Männerbeuteschema angepasst hat, feministische Literatur schreiben? Warum sprechen wir einer Frau, die klar signalisiert, begehrt werden zu wollen und zu begehren, die Intelligenz und die Würde ab (das sogenannte "Slut-Shaming")? Warum gilt eine Frau dann als weniger schützenswert, wird für sexuelle Übergriffe selbst verantwortlich gemacht?

Szene aus "Enjoy Schatz" von Jovana Reisinger an der Schaubühne Berlin. | Quelle: Gianmarco Bresadola

Die alltäglichen sexuellen Grenzüberschreitungen

Ein weiterer großer Moment ist die Aufzählung der vielen Situationen im Alltag, in denen Frauen sexuelle Grenzüberschreitungen zulassen und herunterspielen: aus Höflichkeit mit Männern schlafen oder weil sich der Mann nicht abwimmeln lässt oder weil man jetzt ja schon angefangen hat und keinen Rückzieher mehr machen zu können glaubt.

Doch wie im Buch verliert sich auch das Bühnengeschehen in Sarah Kohms Inszenierung mehr und mehr in recht banal erzählten Trennungsgeschichten vom Liebhaber und vom Ehemann. Darüber hinaus müssen noch allerhand Buzz-Word-Themen abgehandelt werden: Klassismus und Schönheitskapitalismus etwa. Und die Liebe der Autorin zu Glückskeksen und Horoskopen.

Rechts auf der Bühne liest Reisinger aus ihrem Buch vor, links erspielt sich Veronika Bachfischer diese Szenen in ihrer Muschel. Wenn die reale Schriftstellerin ihren leidenden, sich aufbäumenden, fiktiven Gegenpart eiskalt kommentiert, ist das mitunter sehr amüsant. Bachfischer stellt hier die verschiedenen stereotypen Traum- und Albtraumvorstellungen vor: Barbie im seidenen Morgenmantel, der die Männer zu Füßen liegen; die verlassene Barbie, die meint, sie wird sich nie wieder verlieben; die verliebte Barbie, die sich nach ihrem neuen Ken verzehrt und so weiter.

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Werden die Klischees wirklich entlarvt?

Und natürlich steht genau das im Zentrum: Stereotype zu zeigen und zu entlarven. Doch werden die Klischees hier wirklich entlarvt? Der Abend führt so viele Kippfiguren und Vexierspiele vor, dass man hinter den Plastik-Barbie-Momenten kaum etwas "Echtes", etwas Emotionales zu fassen kriegt. Und Jovana Reisinger liest und performt mit einer derart ausgestellten Coolness, dass vieles ironisch abgeschirmt wird.

Stark ist der Abend immer dann, wenn es ums Strukturelle geht: Wie werden Frauen mit welchem Aussehen in unserer Gesellschaft und in der Literaturkritik behandelt?

Man kann einem Abend, der das Begehren zum Thema hat, nun nicht vorwerfen, zu sehr darum zu kreisen. Dass die Schriftstellerin ihr Glück und ihren Lebenssinn allerdings in nichts anderem findet als in Männern – das ist dann doch befremdlich. Auch bei der Reflexion des eigenen Schreibens steht mehr die "Verwertung" der Männer im Zentrum statt der eigenen Kreativität und den Glücksgefühlen der Kunst. Auch das ein Frauen-Stereotyp. Und die Muschel schließt sich.

Sendung: rbb24 Inforadio, 28.06.2024, 7:40 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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