Konzertkritik | Justin Timberlake in der Uber-Arena
Zurück in die Jugendzeit
Die Liebe zu US-Sänger Justin Timberlake scheint nach wie vor ungebrochen - zwei Abende in Folge füllt er die Mehrzweckhalle am Ostbahnhof. Er fliegt durch die Arena und präsentiert seine besten Songs. Fast alles erinnert an die 90er Jahre. Von Laurina Schräder
Ein Dröhnen tönt aus dem Innersten der Berliner Uber Arena – und beim Betreten findet man sich schlagartig auf einer der größten 90er-Parties der vergangenen Jahre wieder. DJ Andrew Hypes macht den Anheizer für Justin Timberlake, am DJ-Pult feuert er eine Schleife aus Hooks ab: Backstreet Boys, Spice Girls, Whitney Houston, *NSYNC. Das Gefühl von Autoscooter und Jugend liegt in der Luft. Es ist stumpf – und funktioniert: Als Justin Timberlake um 21 Uhr auf der Bühne der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof erscheint, sitzt auch auf den Rängen kaum noch jemand. Die Party geht direkt weiter.
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Hebebühne bringt Timberlake auf die Bühne
Timberlake taucht per Hebebühne langsam in der Mitte der Stage auf; im Hintergrund fährt auch seine Band nach oben – die Tennessee Kids. Nach nur zwei Songs vom neuen Album "Everything I thought It Was" kommen schon die Klassiker - die Hits seiner ersten Solo-Erfolgsalben "Justified" und "Future Sex Love Sounds".
Wie einst mit *NSYNC tanzt Timberlake inmitten seiner Tänzerinnen und Tänzer über die Bühne. Er trägt einen schwarzen Anzug, weiße Sneakers; Ketten baumeln an seiner Hüfte und um seinen Hals. Der Gesang in das Mikro ist irgendwie beeindruckend, allerdings lässt sich kaum sagen, wie gut er tatsächlich ist: Voice-Coder, Sounds vom Band und der von der Live-Band scheinen einander zu überlagern - zudem ist alles auf 100 Prozent aufgedreht. Ohne Ohrstöpsel ist es vor allem laut.
Dabei legt Justin Timberlake zwei Stunden lang eine einwandfreie Show hin. Alle Moves sitzen – darüber hinaus bleibt Zeit, Selfies und Handshakes mit den Fans unterzubringen. Vor allem mit denjenigen, die sich Plätze für weit über 200 Euro in der VIP-Area gesichert haben, und im hinteren Teil direkt an der kleineren Satelliten-Bühne stehen.
Unreflektiertes Besitzdenken in den Texten
Das Publikum ist kaum jünger als der Star auf der Bühne. Wenn überhaupt. Timberlake betont: Nicht nur "wir" seien mit "ihm" erwachsen geworden, auch er mit uns. Ein nostalgisches Gefühl von Freude kommt auf, allerdings schwingt auch eine eher bittere Erkenntnis mit: Dass die neuen Stücke von Justin Timberlake eben nicht so scheinen, als seien auch sie erwachsen geworden.
Die Texte zeigen vielmehr unreflektiertes Besitzdenken in Beziehungen oder lediglich ein oberflächliches Erkunden der eigenen Person. Timberlake hatte zudem die Erkenntnis, dass auch Männer im Jahr 2024 Gefühle und Schwäche zeigen können, wie er mehrfach in Interviews zu seinem neuen Album "Everything I Thought It Was" erzählt hat. Was für ihn allerdings eine Innovation ist, war den meisten schon vor längerer Zeit klar.
Und so passen die neuen Songs zwar irgendwie zu den alten, wirken aber schon jetzt angestaubt und wenig beachtenswert. Weder die Regenbogenscheinwerfer können diese Mängel übertünchen, noch der beeindruckende LED-Quader, der sich im Verlauf der Show, befestigt an diversen Seilen und einer beweglichen Deckenkonstruktion, aus der Hintergrund-Leinwand löst. Mal schwebt er als dunkle Wolke über Justin Timberlake, mal thront er als reißender Fluss hinter ihm. Visualisierungen erzeugen auf dem Quader aber auch ein zweites, digitales "Ich" Timberlakes.
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Viel Sound, viel Bühne, viel Eindruck
Den krönenden Abschluss konnte somit nur eine Szene bilden: Der Flug durch die Halle. Justin Timberlake hat zum letzten Song "Mirror" den Quader erklommen und schwebt mit ihm über die Köpfe der Fans. Mit seinen Fingern bildet der US-amerikanische Sänger immer wieder während des Konzerts, und dann final zum Abschiedsgruß, ein Herz. Jubelschreie und Applaus ist die Antwort des Publikums. Der Abend ist pathetisch in alle Richtungen: viel Sound, viel Bühne, viel Eindruck. Professionell und glatt sind die geeigneten Attribute, denn Justin Timberlake ist bemüht, alles richtig zu machen. Er will die nostalgische Sehnsucht nach unseren Jugendidentitäten bedienen. Schade ist, dass ihm die Erkenntnis fehlt: Denn wäre das nicht das einzige Ziel, könnten Konzerte wie neue Musik vielleicht tatsächlich großartig sein.