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Video: rbb|24 | 08.08.2024 | Jonas Wintermantel | Quelle: rbb/Jonas Wintermantel

"Hain und Zunder" in Luckenwalde

Ein Festival abseits der Großstadt-Party-Szene

Beim Elektro-Festival "Hain und Zunder" tanzt nicht die angereiste Berliner Party-Szene, sondern vor allem Luckenwalde und Umgebung. Dahinter steckt ein Verein, der dem Ort auch mal einen Rave bieten will - einfach ist das nicht. Von Jonas Wintermantel

Immer schneller kreist der DJ mit seinem linken Arm, während er mit der rechten seinen Controller bedient. Weiße Lichter flackern auf, das Publikum geht tiefer und tiefer in die Knie. Einer jault aus der Menge – dann kommt der Drop. Der Beat setzt ein, die Menge tobt, während sie in eine dicke Hülle Nebel gehüllt wird, die sich langsam über ihren Köpfen verflüchtigt.

"Es ist eine Art Festival, das die Leute hier in der Umgebung normalerweise nicht bekommen würden", sagt Sebastian Kohl. Das Elektro-Festival am Luckenwalder Stadtrand ist "sein Baby", wie viele es hier auf dem Platz formulieren. Das "Hain und Zunder" ist eine Art regionales Unikat. Denn es ist nicht die Berliner Partyszene, die an den zwei Veranstaltungstagen Anfang August zum Raven nach Brandenburg pilgert.

Festival-Sommer 2024

Wie es den Festivals in der Region geht

Steigende Kosten, fehlende Planbarkeit und hohe Auflagen machen gerade den kleinen Festivals in der Region Berlin-Brandenburg zu schaffen. rbb|24 hat bei einigen Veranstalter:innen nachgefragt, wie sie durch den Sommer gehen. Von Jonas Wintermantel

Das Publikum kommt zum Großteil aus Luckenwalde und den umliegenden Städten und Gemeinden – also aus Luckenwalde für Luckenwalde. Damit setzt es sich ab von vielen anderen Festivals, die in Brandenburg alljährlich im Sommer stattfinden wie die am Freitag startende "Wilde Möhre". Alles organisiert vom Luckenwalder Verein Alhambra, in dem auch Sebastian Kohl engagiert ist.

Viele arbeiten ehrenamtlich

Die meisten auf dem Festivalgelände arbeiten ehrenamtlich, viele haben sich dafür ihren Jahresurlaub genommen. Lokale Unternehmen haben Geld und Material gespendet, befreundete Techniker:innen arbeiten zum Freundschaftspreis. "Am Ende des Tages ist es einfach schön, den Menschen zu zeigen, 'darauf hast du Bock, obwohl sie vorher vielleicht gar nicht wussten, dass sie darauf Bock haben", erklärt Sebastian Kohl seine Faszination für das Projekt. Bühnen, Bar und "Chill-Area" sind aus viel Holz selber zusammengebaut und bunt dekoriert, an jeder Ecke findet man versteckte Details, bunte Lichter oder kleine Kunstwerke. Genauso könnte das alles auch auf einem der überregional bekannten Festivals stehen.

Der Eingangsbereich zum "Hain und Zunder" | Quelle: rbb/Jonas Wintermantel

Ein Wohnzimmer für die alternative Szene

Luckenwalde ist die Kreisstadt von Teltow-Fläming. Nachdem die Bevölkerungszahl nach der Wende von über 25.000 auf knapp über 20.000 sank, wurde der Trend 2012 gebrochen und seither sogar umgekehrt. Heute wohnen in Luckenwalde nach Angaben der Stadt mehr als 21.000 Menschen. Die Stadt verändert sich, das zeigt sich auch an einem Ort wie dem E-Werk Luckenwalde, das dabei ist, sich als Ort für zeitgenössiche Kunst zu etablieren.

Das Bevölkerungswachstum hat Luckenwalde dem Zuzug zu verdanken, gerade aus dem 50 Kilometer entfernten Berlin. "Das spiegelt sich auch in unserem Verein wider", sagt Michèle Pergande – genannt Mimi. Sie ist Teil des Vereinsvorstandes von Alhambra. Zum Freundeskreis des Vereins gehören alt eingesessene Luckenwalder:innen, genauso wie Zugezogene aus Berlin. "Wir haben es geschafft, die Leute relativ schnell in den Verein zu integrieren. Das ist kulturell und menschlich eine Riesenbereicherung", sagt auch Vereinsmitglied Martin Zeiler. Das "Hain und Zunder"-Festival am Stadtrand ist das größte Projekt, das der Verein auf die Beine stellt. Das erste Mal vor vier Jahren.

Sebastian Kohl | Quelle: rbb/Jonas Wintermantel

Bereits seit 2001 betreibt der Musik- und Kulturverein ein ehemaliges, denkmalgeschütztes Kino aus den 30er-Jahren am Marktplatz in Luckenwalde. Das ehemalige Kino ist Vereinsheim und Wohnzimmer des Vereins, aber Bar und Location für Konzerte und Partys.

Die Corona-Pandemie machte auch Alhambra zu schaffen

"Es ist so ziemlich der einzige alternative Ort für Musik in Luckenwalde", sagt Lorenz Reck aus dem Vereinsvorstand. "Wenn ich nach Hause nach Luckenwalde komme, dann ist es der Treffpunkt für mich und meinen Freundeskreis." Lorenz schaltet einen Hebel am Stromkasten um – und nun wird das Highlight des Alhambra erst richtig sichtbar: der große Kinosaal mit Bühne, roten Vorhängen und hölzernen Sitzreihen. Nach der Gründung war hier vor allem die Rock-Szene angesiedelt, sagt Sandra Neuhaus, die seit 16 Jahren im Verein ist. "Die Zeit hat sich gewandelt und jetzt ist es mittlerweile eher eine andere Musikrichtung."

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Aus dieser Zeit stammt auch die Idee eines jährlichen Festivals am Stadtrand. Damals hieß es noch "Skyway Jam", später dann "Mixed Music Arts". Auf der Bühne standen Bands, das Festival bestand aus "einem Zelt, einem Bierwagen und einem Grillstand", wie Mimi Pergande es beschreibt. Als dann die Corona-Pandemie der Kulturbranche einen herben Stoß versetzte, die Produktionskosten in die Höhe trieb und die Planung immer schwieriger machte, entschied der Verein, das bisherige Konzept zu verschlanken. Seit 2021 lädt der Verein nun die Region zu einem reinen DJ-Festival ein. Auf dem Line-Up stehen bekannten Namen wie "Krawalle & Liebe" oder "Sinamin", aber auch viele DJs aus dem Freundeskreis und aus Luckenwalde und Umgebung. Auch Organisator Sebastian Kohl legt auf.

Festival "Wilde Möhre" in Drebkau

"Es geht uns weniger um ein Konzert, wo viele Tausende vor einer Bühne stehen"

Hohe Kosten, fehlende Planbarkeit und viele Auflagen machen vor kleinen Festivals zu schaffen. Das ist bei der "Wilden Möhre" in Drebkau ab Freitag aber anders. Was das Festival von anderen unterscheidet, erklärt "Möhre"-Gründer Alexander Dettke.  

"Es muss doch was passieren in Luckenwalde!"

Hundert Meter vom Festivalgelände entfernt sitzt eine Gruppe Luckenwalder:innen in einer Gaststätte zusammen. Sie trinken Bier und rauchen. Von Weitem wummern die Bässe herüber. "Ist doch super, wenn die Leute was in die Hand nehmen. Es muss doch was passieren in Luckenwalde", sagt einer, auf das Festival angesprochen. "Die, die nichts machen, beschweren sich immer am lautesten", ergänzt ein anderer.

Lorenz Reck | Quelle: rbb/Jonas Wintermantel

"Es gibt ja nicht mehr viele Ecken, wo so etwas geht, aber hier draußen stört es ja niemanden." Um sicherzugehen, dass wirklich niemand gestört wird, haben die Veranstalter:innen ein Sorgentelefon eingerichtet. In diesem Jahr bleibt es still.

Klaus Scheitler ist gerade auf dem Weg zu seinem Kleingarten neben dem Festivalgelände. "Gefällt mir schon, dass sie wenigstens was für die Jugend in Luckenwalde machen. Das ist ja sonst doch sehr wenig. Manche Leute sagen: 'Muss das schon wieder sein?' Ich bin da offener. Das ist ja nur einmal im Jahr. Wenn es euch nicht gefällt, dann fahrt nach Hause und schlaft zu Hause!"

Eine Wiederauflage ist noch unsicher

Nach Festival-Ende hört man Lorenz Reck die anstrengenden Tage an, die hinter ihm liegen: "Es war wie immer ziemlich schlauchend, aber darauf waren wir ja eingestellt. Wir haben viele Komplimente bekommen – von Freunden des Vereins – dass es das bisher beste Festival war, was die Orga, den Aufbau oder etwa die Deko anbelangt. Aber wir hätten uns ein paar mehr Gäste gewünscht." Eher mittelmäßiges Wetter am Eröffnungstag und Zug-Chaos rund um den Berliner Hauptbahnhof am Festivalwochenende haben den Veranstalter:innen einen kleinen Strich durch die Rechnung gemacht. Knapp 1.000 Menschen sind gekommen, etwa so viele wie im Vorjahr. Reck hätte sich gewünscht, dass sie deutlich darüber kommen.

In diesem Jahr sind knapp 1.000 Besucher:innen nach Luckenwalde gekommen | Quelle: rbb/Jonas Wintermantel

"Für uns stellt sich dadurch auch eine Schicksalsfrage. Wir sind davon überzeugt, dass wir es jedes Jahr besser machen können, aber ob wir weiterwachsen können und auch wollen, das ist die Frage, die jetzt im Raum steht." Ob es eine Wiederauflage geben wird, will der Verein in einer seiner nächsten Sitzungen entscheiden. Der Entschluss, ein Festival auf die Beine zu stellen, fällt Vereinen wie dem Alhambra gerade in Zeiten explodierender Kosten nicht leicht. Denn dazu braucht es vor allem genug Freiwillige, die bereit sind, Zeit, Kraft und Nerven zu opfern.

Sendung: Antenne Brandenburg, 08.08.2024, 16:10 Uhr

Beitrag von Jonas Wintermantel

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