Als Kind baute sich Mdou Moctar Gitarrensaiten aus Fahrradkabeln. Als Erwachsener diente er als Söldner in der libyschen Armee. Bevor er in seine Heimat zurückkehrte und Musiker wurde. Am Montagabend ließ sein Desert Rock in Berlin die Wände wackeln. Von Hendrik Schröder.
Den "Wüsten Jimi Hendrix" hat die britische Zeitung the Economist Mdou Moctar mal genannt. Weil er seinen Desert Blues ähnlich psychdelisch und hypnotisch spielt wie der legendäre Hendrix. Mit der neuen Platte "funeral justice" hat sich jetzt auch noch krachiger Punk dazu gemischt, der den knackevollen Festsaal Kreuzberg an diesem Abend fast platzen lässt, so laut ist es.
Aber von vorne: In traditionellen Gewändern und weiten, weichen Tücher um Hals und Kopf, so kommen Mdou Moctar und seine drei Musiker fast schon andächtig auf die Bühne geschritten. Lila schwarzes Licht funzelt, aus den Boxen kommt ein atmendes Zirpen, es folgt eine donnernde Stimme aus dem Off und dann knallt mit dem Titelstück des neuen Albums ein Brocken von Klang in den Zuschauerraum, dass der Putz bald von der Decke rieselt.
Fasching im Gehörgang
Der Sound ist anfangs miserabel, dann wird er besser, später richtig klasse. Das ist gut. Denn es ist derart laut, wer nix für die Ohren hat, hat nach zwei Stücken schon Fasching im Gehörgang. Da ist es doch nicht schlecht, wenn man wenigstens die einzelnen Instrument erkennen kann. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug. Fertig. Die Gitarren sind lauter als die Drums. Das muss aber so. Die Stimme huscht meist ein bisschen über die Instrumente, ist eher ein weiteres Werkzeug als ständiger Mittelpunkt.
Die Band singt eh in Tamasheq, der Sprache der Toureg, und man darf behaupten, dass die meisten im Raum das sehr wahrscheinlich eher nicht verstehen. Die neue Platte (je nach Zählweise die sechste oder achte) ist textlich die bisher kämpferischste und politischste der Band, so steht es in Reviews zum Album. Die Situation in Moctars Heimatland Niger, die postkolonialen Probleme, die Armut und Gewalt, das sind Themen, die die Band umtreiben.
Wo genau soll man jetzt mitklaschen?
Der Groove zu diesen Themen jedenfalls ist tierisch, rackert teils minutenlang in immer demselbem, sich immer wiederholenden Beat, wie in einer Zeitschleife gefangen - und rhythmisch gar nicht so einfach zu verfolgen. Als Sänger Mdou irgendwann zwischendurch eifrig zum Mitklatschen animiert, muss das Publikum sich erst mal einigen: An welcher Stelle und auf welche Zählzeitsoll nun genau geklatscher werden? Bis dann irgendwann endlich mit einem dreifachen "Bämm" das wie auf LSD wabernde Riff aufgelöst wird und kurz in einen klassischen Blues kippt und sich auch das eher westlich geprägte Musikgemüt akustisch wieder an etwas festhalten kann.
Viel Bühnenshow ist nicht, fehlt aber auch nicht, Basser Mikey Coltun und zweiter Gitarrist Ahmoudou Madassane sehen aus, als hätte man ihnen kurz vor dem Auftritt zwei Sack Zement in die Socken geschüttet und jetzt können sie nur noch mit dem Kopf wackeln, während Sänger und Gitarrist Mdou Moctar, nach dem ja die ganze Band benannt ist, grinsend die Bühne auf und ab tippelt und ein quietschendes Solo nach dem anderen raushaut.
Dabei ist es doch gerade Bassist Coltun, der aus dem Punk und Hardcore kommt und als Produzent den Platten diesen Rumms, die Tiefe, die Schärfe gibt. und dafür sorgt, dass die Band immer mal wieder aus dem Blues heraus in bissigere, noisigere Gefilde treibt.
In Trance fallen ist schwer
Vor der Bühne versucht sich indes die Crowd an einem wilden Tanzmob, was bei den wie beschrieben ganz schön komplexen Grooves gar nicht so einfach ist. Außerdem wiederholt sich irgendwann doch ganz schön viel in diesem Konzert. Und so richtig in Trance fallen und los lassen können da nur wenige im ordentlich vollen Festsaal Kreuzberg. Der Applaus ist zurecht trotzdem fett. Und das gerührte Lächeln von Mdou echt. Von seinen Gagen baut der gläubige Muslim in Niger Schulen und versorgt ganze Dörfer mit Reis und Brot. So liest man es zumindest über ihn. Sympathischer Typ, tolle Bühnenerscheinung, groß, schlacksig, freundlich. Trotzdem: Auf Platte ist Mdou Moctars psychedelischer Wüstenrock noch besser.