![Mitglieder des Freundeskreises Berliner Ensemble sitzen während eines Presserundgangs im Berliner Ensemble für das Kunstwerk «Berliner Assemblage» in der Kantine, an deren Wand die Kunstwerke hängen. (Quelle: dpa/Gollnow)](https://www.rbb-online.de/content/dam/rbb/rbb/rbb24/2024/2024_09/dpa-account/be-kantine.jpg.jpg/quality=192/size=708x398.jpg)
Spielzeiteröffnung am Deutschen Theater
Drohender Schiffbruch: Die Intendantin des Deutschen Theaters, Iris Laufenberg, ruft zum Protest gegen die massiven Kürzungen in der Kultur auf - und auf der Bühne segelt eine Künstlergemeinde mit Fellinis "Schiff der Träume" in den Untergang. Von Barbara Behrendt
Noch bevor Federico Fellinis "Schiff der Träume", das an diesem Abend am Deutschen Theater (DT) Premiere feiert, in See stechen kann, warnt die Intendantin vor einem drohenden Schiffbruch der Berliner Kultur. Rund zehn Prozent soll der Kulturetat sinken, die Rede ist von etwa 120 Millionen Euro Einsparungen im Jahr 2025. "Das bedeutet", sagt Laufenberg, "dass dann die Theater nicht mehr spielfähig sind. Und die Opern werden auch nicht mehr spielfähig sein. Denn das ist das, was wir an Kunstgeld haben. Der Rest geht in Infrastruktur, in die Häuser, die Mitarbeitenden." Sie ruft dazu auf, einen Protestbrief des Deutschen Bühnenvereins zu unterzeichnen.
Auch der große Tanker, der die Saison auf der Bühne eröffnet, hatte zunächst Navigationsprobleme: Die Regisseurin Claudia Bauer sagte mitten in den Proben ab, aus gesundheitlichen Gründen, wie es heißt, eingesprungen ist Anna Bergmann, die für ihre DT-Inszenierung "Persona" zum Theatertreffen eingeladen wurde. Bühnenbild, Kostüme, Musik, Text waren so gut wie fertig, als sie das Steuer übernommen hat. Viel Zeit für eine eigene Interpretation war also nicht. Bergmann blieben nur knapp drei Wochen für die Erarbeitung der Szenen mit dem Ensemble.
Charakteristischer als die Bühne sind jedoch die Kostüme von Vanessa Rust. Die exzentrischen Künstler:innen tragen ausladende Glitzerroben und gigantische Perücken und erinnern, wie schon bei Claudia Bauers "Ursonate" an die Dada-Figuren von Herbert Fritsch. Das achtköpfige Ensemble macht aus den Opernstars, Clowns und Kunstliebhabern eine wunderbar verschrobene Truppe von schrillen Witzfiguren. Julia Gräfners Großherzog ist ein Kleinkind in Uniform, das seine Pistolen schwingt wie Spielzeug-Waffen. Janek Maudrich lässt als frustrierter Comedian seine langen Gelenke wie Gummi durch die Luft wirbeln. Dann streift der Abend durch die Luxusprobleme der Dekadenz-Gesellschaft: mangelnde Berühmtheit, Narzissmus, Betrug in der Liebe.
Natürlich mit viel Musik. Peer Baierlein hat sie wieder komponiert, wie schon bei Claudia Bauers Erfolgsinszenierungen "humanistää" und "Ursonate". Diesmal sind die Kompositionen kleine Opern-Persiflagen, mit Jazz-Vibes unterlegt. Zum Beispiel beim herrlichen Sängerwettstreit, den die Diven vor dem Nashorn aufführen. Später, zur großen Apokalypse, erklingt ein schöner, düsterer Choral, gesungen vom ganzen Ensemble. Drei Live-Musikerinnen spielen u.a. am Schlagwerk und am Klavier, die Schauspielerinnen singen fantastisch. Als Gast ist unter Anna Bergmann zudem Sina Kießling gekommen, sie verkörpert den Geist der toten Diva, singt den "Cold Song" von Henry Purcell und "Casta Diva" aus Bellinis "Norma". Ihre Auftritte sind schön, tragen aber wenig zum Gehalt des Abends bei.Nachdem man mit diesen hübschen Witzfiguren eine halbe Stunde lang seinen Spaß hatte, wird es langsam öde. Das liegt daran, dass Anna Bergmann den politischen Dreh- und Angelpunkt des Stoffs, die Frage, wie man mit den Kriegsflüchtlingen auf dem Mittelmeer umgeht, schlicht und einfach ausspart.
Im Film nehmen die Künstler:innen die serbischen Anarchisten zwar auf und erfreuen sich, reichlich rassistisch, an deren Tänzen, solange sie in ihrem abgegrenzten Bereich des Schiffs bleiben – liefern sie dann aber ans österreichisch-ungarische Kriegsschiff aus, als ihnen die Lage zu brenzlig wird. In Katrin Beiers kontrovers diskutierten Hamburger "Schiff der Träume" - Inszenierung, eingeladen zum Theatertreffen 2016, spielten schwarze Performer:innen die Geflüchteten und stellten, ziemlich holzschnittartig, rassistische Stereotype aus.Hier nun treten die Geflüchteten erst gar nicht auf, sondern werden nur in der Erzählung von Anja Schneider erwähnt. Was soll das bedeuten? Dass in unserer Welt kein Platz mehr für die Geflüchteten ist, sie keine Stimme mehr bekommen? Fürs Bühnengeschehen heißt das jedenfalls, dass keine Gegenwelt zur dekadenten Blase der Reichen sichtbar wird, nichts, an dem sich die Diven reiben könnten, nichts, was deren Kunstwelt entlarvt. Die brutale Realität findet hier nicht statt, sie wird nur in Anja Schneiders Erzähler-Worten behauptet. Dass hier, wie sie zuletzt sagt, nicht nur das Schiff untergeht, sondern die ganze Menschheit, nimmt man da reichlich achselzuckend hin.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.09.2024, 08:50 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt