Konzertkritik | Lea
Mit 15 hat Lea kleine Videoclips mit eigenen Piano Songs ins Internet gestellt. Ein paar Jahre später wurde sie mit Hits wie "Leiser" oder "110" bekannt. Ihr Konzert in Berlin wurde zu einem Ritt durch Kitsch, Pop und Tränen. Von Hendrik Schröder
Alles an diesem Konzert ist so "schön". Das fängt mit dem Bühnenbild an: riesige Plastikblumen, die von warm violetten Licht angestrahlt werden. Dazu ein stilisierter blinkender Sternenhimmel auf den Videowänden. Dann geht es los. Ein Vorhang fällt von der Decke. Dahinter steht Lea auf einem Podest und wirkt etwas unbeholfen, denn sie trägt riesige grüne Flügel hinten am Rücken und die machen sie wohl etwas manövrierunfähig, so singt sie den ersten Song wie festgetackert. Eventuell nicht so eine fetzige Idee, das Konzert so beginnen zu lassen. Aber schon streift Lea die Flügel ab und rennt im Vollsprint in Lederrock und einem Oberteil, das aussieht, als würden Pflanzen darin leben, nach vorne und ruft: "Berlin: Na wie geht's euch"? Berlin geht's gut.
Knackvoll ist die Max-Schmeling-Halle, 10.000 Leute sind das bestimmt. 80 Prozent Frauen, die sich in ansteckend gackernder Sektlaune einen schönen "Mädelsabend" machen, falls man das im Jahr 2024 noch so nennt? Jede Menge Kinder sind auch da, stehen aufgeregt noch in der Pommes-Schlange, sind vielleicht auf ihrem allerersten Konzert, haben Plakate gemacht und Collagen gebastelt und halten sie später zappelnd in die Höhe, es ist ganz zauberhaft.
Lea hat zwar eigentlich nur einen einzigen Song geschrieben, könnte man denken, so derart gleich klingt das alles. Aber der eine Song ist so stark, dass man ihn in immer anderen Aufgüssen servieren kann und die Leute bekommen nicht genug davon. Was auch daran liegt, dass Lea eine sehr interessante Art zu singen hat. Dieses abgehackte, stufige, was dann im Refrain aufgeht und breit wird.
Textlich geht es sehr viel um die Liebe. Um dich und mich und Berlin und warum alles doch toll sein soll, aber nicht ist, aber dann ja manchmal doch. Alle kennen alle Songs auswendig, zumindest die der ersten Platten. Und Leas dreiköpfige Band in weißen Trainingsanzügen spielt die Songs ganz stark. Keinen Tupfer zu viel, um immer Lea glänzen zu lassen, aber auch nicht so wenig, dass man nicht merken würde, dass vieles bei dem Auftritt wirklich live gespielt wird.
Irgendwann verschwinden Band und Lea, um zwei Minuten später auf einer kleinen Bühne in der Mitte der Halle wieder aufzutauchen. Erst Lea alleine am Klavier. Das ist sehr berührend, wie sie von ihrer glücklichen Kindheit singt. Und dann holt sie ein sechsjähriges Kind auf die Bühne, das mitsingen darf und den Song "leise" auch noch komplett kennt. Das ist so kitschig, so überladen, so emotional berechnend, aber das ist so süß und so rührend, die Leute haben Tränen in den Augen.
Und irgendwann steht echt auch noch Max Raabe mit der auf der Bühne, mit dem Lea ja das Lied "Guten Tag, liebes Glück" aufgenommen hat. In seinem strengen Anzug will er so gar nicht in das quietschbunte Popgedöns passen, aber er bewahrt Haltung, verabschiedet sich mit einem Handkuss, während Lea stürmisch um ihn herum hüpft. "Ich wünsche jedem, dass er einen Menschen hat, der mit ihm durch den Nebel des Lebens geht", sagt Lea sinngemäß an einer Stelle und eine Freundin brüllt einer anderen mit sehr dicken Brillengläsern im Zuschauerraum viel zu laut zu: "Na, denn jeh ick mit Dir durch'n Nebel, wa? Du siehst ja eh schon nüscht." Und alle, die das hören, müssen so lachen. Herrlich.
Am Ende kommen dann sogar noch Herbert Grönemeyer und Casper für je einen Song dazu.
Wenn es Leas Ziel ist, die Leute mit ihren cheesy Balladen zusammenzubringen, zu versöhnen, zu rühren, dann hat sie das in diesem Konzert geschafft. Auch wenn ihre Ansagen gelernt klingen und ihr Konzert extrem durch-choreografiert ist, die Emotionen kalkuliert und gewollt, so nimmt man ihr trotzdem ab, dass sie einfach nur möchte, dass alle sich ganz doll lieb haben. Hat für rund zwei Stunden auch geklappt. Schön.
Hinweis: In einer früheren Version des Textes wurden die Gastauftritte von Grönemeyer und Casper nicht erwähnt und eine anderen Konzertdauer angegeben. Wir haben diese Information nun ergänzt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.09.2024, 06.54 Uhr
Beitrag von Hendrik Schröder
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