Die Musik wurde Ennio in die Wiege gelegt: Benannt wurde er nach dem weltberühmten Komponisten Ennio Morricone. Im Berliner Columbia Theater stellte er sein neues Album "Schlaraffenland" vor. Jakob Bauer erlebte einen melancholischen und kraftvollen Abend.
Eigentlich könnte Ennio nach einem kurzen "Berlin, geht’s euch gut?" schon wieder die Bühne des Columbia Theaters verlassen und das Singen dem Publikum überlassen. Denn die Fans singen fast lauter als der Mitte 20-jährige selbst. Sie tun das mit voller Inbrunst und den ganzen Abend lang, obwohl Ennio hier viele Titel seines neuen Albums "Schlaraffenland" spielt, das erst letzten Freitag erschienen ist. Zwei Dinge lassen sich daraus ableiten. Erstens: Ennio hat trotz kurzer Karriere schon eine ziemlich begeisterte Fanbase und zweitens: Der Mitt-Zwanziger trifft mit seinen Texten, seiner Musik, seiner ganzen Art offensichtlich einen Nerv.
Ennios ganzer Auftritt hat "guter Kumpel"-Vibes. Er ist der Typ, der immer die richtigen Worte findet, für die Lebensphase, in der sich auch viele im Publikum befinden: zwischen Jugendzeit und Erwachsen-Werden. Er singt von Erinnerungen an die letzten, magischen Momente einer Party-Nacht, von hedonistischen Urlauben, Zigaretten und Billigwein. Und natürlich von den so schmerzhaften ersten Liebschaften, von Trennungen, auch von Freunden. Das sei sein persönlichster Song, sagt Ennio, und erzählt von dem Moment, wenn sich die Wege nach der Schule trennen und man sich dann nur noch sehr selten sieht. Und dann stimmt er "Die Jungs" an: "Doch falls du dich das irgendwann mal fragst/Ich hab noch nicht vergessen was ich an uns mag/Sie leben als wär heut' ihr letzter Tag/Die Jungs, sie werden langsam unsichtbar."
Die Party ist mit Mitte 20 noch nicht vorbei!
Er singt das mit einer beeindruckend vollmundig-sinnlich-rauen Stimme, als würde er selbst am Tag circa 100 von den selbstgedrehten Kippen rauchen, von denen er so viel singt. Diese Stimme passt zu dieser leicht melancholischen Grundstimmung, die über vielen Songs liegt.
Melancholisch, aber nicht traurig, die Party ist ja trotz langsamen Erwachsen-Werdens nun mal echt noch nicht vorbei. Und eine gemeinsame Party ist das hier auch wirklich, keine "Ich-hier-oben-auf-der-Bühne-präsentiere-euch-da-unten-die-Weisheit"-Veranstaltung. Alle fühlen hier in die gleiche Richtung. Wie die Freundeskreise von denen Ennio singt, sind auch hier viele Freundeskreise gekommen, die zusammenstehen, nicht mal unbedingt zur Bühne schauen, sich stattdessen freudestrahlend ins Gesicht singen und tanzen. Man surft gemeinsam die Welle.
Die Zwillingsbrüder Marcus und Martinus aus Norwegen wurden schon als 12-Jährige zu Stars. Zehn Jahre später bringen sie ihre meist sehr jungen Fans beim Konzert in Berlin immer noch zur Ekstase. Von Hendrik Schröder
Einpacken, konservieren und bei der nächsten whatever-crisis rausholen
Das geht natürlich auch so gut, weil die Titel weder inhaltlich noch musikalisch viele Ecken und Kanten haben. Das sind schon ziemlich on point geschriebene Indie-Pop-Songs mit Mitsing-Hooks. Mal balladig, mal schnell nach vorne gehend, ein bisschen New Wave, ein bisschen Schlafzimmer-Funk, aber alles in einem ähnlichem Klanggewand.
In der richtigen Lautstärke, mit den richtigen Leuten und der richtigen Leidenschaft im Raum zündet das, aber es ist auch Musik, die im leise gedrehten Autoradio nicht groß auffallen oder hängenbleiben würde. Was ja aber auch nicht schlimm ist. Denn zum einen ist live im Konzert die benötigte wuchtige Energie dahinter, zum anderen muss man diesen Ennio und diese Fans und diesen Abend einfach mögen. So viel gute, gemeinsame Energie, wie da entsteht, die sollte man einpacken, konservieren und bei der nächsten Quarter-, Midlife- oder Whatever-Crisis rausholen. Sich ein paar Leute einladen und einfach mal wieder gemeinsam, mit leichter Melancholie und trotzdem viel Lebensfreude durch die Nacht tanzen.