Leider gibt es ein Problem beim Abspielen des Videos.
Interview | Nahost-Konflikt
Was will ich hier als Jüdin? Was will ich als Mensch? - fast ein Jahr nach dem Massaker in Israel haben jüdische Autor:innen aufgeschrieben, wie es ihnen seitdem ergangen ist. Im Interview spricht Wahl-Berlinerin Adriana Altaras über Leben und Schreiben nach dem 7. Oktober.
rbb: Frau Altaras, Sie haben als eine von 16 jüdischen Autorinnen und Autoren zu Dana von Suffrins Band "Wir schon wieder" beigetragen. Wenn Sie sich an den 7. Oktober zurückerinnern, was war Ihre Reaktion, als Sie von dem Anschlag erfahren haben?
Altaras: Ich habe es erst überhaupt nicht begriffen und auch gar nicht als so tragisch empfunden. Anschläge ist man gewöhnt. Klingt bescheuert, ist aber so. Doch nach und nach hatte ich das Gefühl, etwas hat sich grundlegend verändert. Aber ich war wie viele andere auch gelähmt und konnte erstmal gar keine Schlüsse ziehen. Nachdem Netanjahu zurückgeschlagen hatte, kam die öffentliche Diskussion in Gang. Muss man dazu was sagen? Wenn ja, was? War der Angriff selbst verschuldet? Dann kamen sehr miese und hämische, aber auch mitfühlende Reaktionen. Das alles ging auch durch mich durch, von Einsamkeit bis Kampfeswillen bis Zuneigung.
Was hat sich seitdem für Sie verändert?
Ich habe seitdem fast ausschließlich für jüdische Zeitungen und Bücher geschrieben, weil ich die Texte an Leute adressieren wollte, denen ich nicht so viel erklären muss. Wenn ich mit jüdischen Menschen zusammen bin, können wir uns einen Ort der Zuflucht geben, den wir sonst nicht mehr haben. Gibt es noch eine Heimat, wenn ich hier wegmuss? Welche könnte das sein? Das alles sind Themen, die ich mit Juden diskutiere und nicht mit Nichtjuden. Denn wir Juden haben diese Themen, Nichtjuden haben sie nicht.
Hat Sie dieses Ereignis in Ihrer jüdischen Identität bestärkt?
Ich habe viele Bücher geschrieben, in denen es um die Shoah und das Leben nach der Shoah, das heutige jüdisch-nichtjüdische Verhältnis geht. Aber inzwischen hat sich das Thema verändert. Es geht nicht mehr um Versöhnung, sondern es geht um eine komplett neue Machtordnung. Was will ich hier als Jüdin? Was will ich als Mensch? Was und mit wem will ich etwas verändern? Meine Bücher sind immer noch da, aber ich weiß nicht, ob sie noch aktuell sind.
Die Situation im Nahen Osten scheint so verfahren, dass man sich fragt, ob sie sich noch lösen lässt. Haben Sie eine Idee?
Ich würde mit Friedensverhandlungen und einem Waffenstillstand anfangen. Es soll ja immer wieder Wunder im Nahen Osten geben. Darauf hoffe ich. Ich bin gegen erneute Siedlungen und würde auch einige Siedlungen zurückfahren. Das halte ich für ein Riesenproblem. Aber meine Aufgabe ist keine politische.
In Ihrem Text ziehen Sie sowohl die Gedanken und den Schmerz der israelischen als auch der palästinensischen Bevölkerung mit ein.
Ich kann vieles nicht beurteilen, weil ich nicht in Israel lebe. Angst vor Attentaten habe ich nicht. Ich habe aber auch kein zerbombtes Haus wie die Palästinenser im Gazastreifen. Wir alle leben hier wie die Made im Speck. Ich glaube, dass das Herz groß genug ist, um das Leid von beiden Seiten zu sehen.
Haben Sie Angst, sich öffentlich zu präsentieren, angesichts von Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland?
Ich habe keine Angst, aber ich habe natürlich Sorge. Aber wer hat gerade keine Sorge? Ich finde, das ist auch kein jüdisches Problem, sondern ein allgemeines. Es herrscht ein Umgangston und ein Populismus, der zum Kotzen ist. Aber um mich selbst habe ich keine Angst.
Auch nicht im Hinblick auf die Anfeindungen, die Jüdinnen und Juden zurzeit wieder entgegenschlagen?
Ich möchte mich über Antisemitismus gar nicht echauffieren, weil ich andere Prioritäten habe. Ich möchte, dass die Kriegshandlungen aufhören, und ich möchte darüber nachdenken, ob wir zu einer Zweistaatenlösung oder zu einer Ein-Staat-Lösung kommen. Aber die kulturelle Boykottbewegung, die Israel getroffen hat, mag ich nicht. Seitdem kommen keine israelischen Künstler oder Wissenschaftler mehr nach Deutschland, die auch andere Haltungen haben und zu Diskussionen beitragen könnten. Und dass die Diskussionen dann wegfallen, finde ich sehr schade. Das heißt aber nicht, dass man die israelische Regierung nicht kritisieren darf. Man muss sie kritisieren dürfen, ohne dafür Schelte zu bekommen. Man ist nicht automatisch ein Antisemit, wenn man die israelische Regierung kritisiert. Davon bin ich felsenfest überzeugt.
Gibt es aus Ihrer Sicht etwas, was wir als Gesellschaft gegen den Hass tun können?
Man muss in allem differenzierter sein. Diese Pauschalurteile, die ständig eingefordert werden, kann man da nicht fällen. Die Geschichte ist sehr, sehr komplex. Die Bevölkerung, sowohl die jüdische als auch die palästinensische, will Frieden, um in Ruhe leben zu können. Aber die Machthaber wollen keinen Frieden. Das ist richtig beschämend.
Auch in Berlin, Ihrem Wohnort, gibt es Angriffe gegen die jüdische Gemeinschaft. Was beobachten Sie, wenn Sie durch Berlin gehen?
Wenn ich in Berlin lese, "Free Palestine from the river to the sea", dann ist mir schon unwohl. Das würde ja bedeuten, dass es Israel gar nicht mehr gibt. Israels Existenzrecht muss bewahrt werden, aber genauso haben die Palästinenser ein Existenzrecht. Wenn ich jetzt höre, wie jemand auf der Straße Hebräisch spricht, dann denke ich mir: "Hör auf! Das ist gefährlich". Darüber habe ich früher nie nachgedacht. Es ist keine richtige Angst, aber es ist ein neues Gefühl. Ob die Leute mit Kippa oder verschleiert herumliefen, war egal. Dass das heute nicht möglich ist, will ich nicht akzeptieren. Jedenfalls nicht in meinem Berlin. Das ist eine freie Stadt. Deshalb lebe ich hier.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Andreas Lueg für rbbKultur – Das Magazin, Redaktion: Annika Buske
Sendung: rbbKultur – Das Magazin, 14.09.2024, 18:30 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen