Eine erstaunliche Hommage an den Sänger, den es nie gab
Der britische Musiker Joe Jackson wird nie müde, Neues auszuprobieren. Im Berliner Admiralspalast hat er sein aktuelles Konzeptalbum vorgestellt. Jakob Bauer hat einen Abend zwischen großer Virtuosität und Albernheit erlebt.
Was für ein vollmundiger Titel: Mr. Joe Jackson Presents Max Champion in What A Racket! Das ist der Name des aktuellen Albums von Joe Jackson, das er an diesem Abend im Berliner Admiralspalast präsentiert. Und was es mit diesem Max Champion auf sich hat, erfährt man in der furiosen zweiten Hälfte dieses von der Dramaturgie her so gegensätzlichen Abends. Denn es beginnt ganz minimalistisch. Joe Jackson sitzt allein am Klavier, spielt und singt.
Das 21. Jahrhundert mag er nicht
Jacksons Songs waren schon immer harmonisch attraktiv und vielschichtig arrangiert. Rock 'n' Roll steht in seinem Portfolio neben Swing, Filmmusik und klassischen Kompositionen. Wenn er diese Songs jetzt auf's Klavier runterbricht, besteht da durchaus die Gefahr, dass viel verloren gehen könnte. Aber nein: Jackson überträgt so viel es geht von der Komplexität auf sein Klavierspiel, das nicht nur Begleitung ist, sondern einen eigenen, wirbelnden Charakter entwickelt.
Er hat eine tolle, klare Stimme, mal erzählerisch elegisch, mal beherzt entschlossen. Und: Er hat einen trockenen Humor. Jackson beginnt mit neueren Songs, sagt dann: Ich mag das 21. Jahrhundert nicht, daher gehen wir in die 90er. Dann in die 80er. Dann in die 70er. Die 60er. In diesem Jahrzehnt hat er aber keine eigenen Songs geschrieben, also covert er die Kinks. Und dann kommen wir endlich bei Max Champion an.
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Wir sind im Jahr 1910 und jetzt fragt nicht, warum!
Grammofonmusik erklingt, Arbeiter mit grauen Mänteln schieben ein Schlagzeug auf die Bühne, ein Typ mit Fes auf dem Kopf und Pfeife im Mund stapft herein. Zu ihm gesellen sich mehr Männer mit gezwirbelten Bärten und Fedoras und Frauen in wallenden Kleidern. Alle fordern sie einen ersten Auftrittsapplaus und alle haben sie Instrumente dabei. Geige, Bratsche, Flöte, Klarinette, Tuba, Posaune, Piano und Schlagzeug.
Eine richtige kleine Big Band steht jetzt auf der Bühne und natürlich auch Joe Jackson, der plötzlich Frack und Zylinder trägt. Und nur noch halb Joe Jackson ist – und halb Max Champion. "Der Ort ist London", sagt er. "Das Jahr ist 1910, willkommen in der Welt von Max Champion und jetzt fragt nicht warum". Dann legt die Band los.
Feiern als gäb's kein Morgen
Aber ein bisschen Erklärung gibt's doch: Max Champion sei ein fast vergessener Sänger aus den britischen Music Halls Anfang des 20. Jahrhunderts, erklärt Joe Jackson. In den Music Halls lief eine Mischung aus Komödie und Unterhaltungsmusik, mit ersten Anklängen von Ragtime, Swing und Jazz. Das war inhaltlich gallig-satirisch, mal gegen die da oben, mal das aktuelle Stadtgespräch in Musik, mal Politik mal Liebelei, alles was gute Laune machte und knallte. Und dazu Feiern, als gäb's kein morgen. Nur: Max Champions gibt es eigentlich nicht, den kurzlebigen Unterhaltungskünstler, seine Geschichte, seine Musik, das hat sich alles Joe Jackson ausgedacht.
125 Jahre alt wäre Duke Ellington dieses Jahr geworden. Die Big Band der Deutschen Oper Berlin widmete der Jazz-Legende deswegen einen Abend in der Berliner Philharmonie. Die Feier ist mal brav geplätschert, mal furios gelungen, meint Jakob Bauer.
Virtuos und richtig schön dumm
Aber mit wie viel Liebe zum Detail, zum Musik-Genre und zur Show dieser Abend die Ära der Music Halls feiert: Die Band ist gleichzeitig virtuos und albern, hinreißend kraftvoll, aber auch richtig schön komisch dumm. Alle beherrschen sie feixende Grimassen und ausladende Gesten, sind Musiker und Clowns. Mal liegt ein Wasserball in der Tuba, dann zieht der Posaunist den Zug aus der Posaune raus und kuckt mit großen Augen in die Menge – huch, was nun? Es gibt einen Instrument-Gewicht-Heben-Wettbewerb und Stepptänze. Das alles passiert trotz des Slapstick-Charakters nicht plakativ, sondern immer schön nebenbei.
Jackson selbst steht seiner Band in nichts nach, er ist der große Zampano mit der lotsenden Stimme, schiebt den Kiefer hin- und her, spielt mit dem Klang der Vokale, lässt das Tremolo sausen und hat bei allem eine wunderbare Sprachverständlichkeit. Auch wenn selbst diejenigen, die gutes Englisch sprechen, wahrscheinlich nicht alles verstehen, denn die Texte sind gespickt mit Slang und Metaphern, obszönen Andeutungen, die Jackson zwar freudig ankündigt, aber nicht übersetzt. Man schaut hierhin, dorthin und wird mitgerissen von dieser kraftvollen Erweckung einer selten gehörten Musik und Show-Form. Rohe Energie, pure Spielfreude, musikalische Virtuosität und Humor - es ist ein kleiner musikalischer Schatz, den Jackson hier im Konzert gehoben hat und zum Funkeln bringt.