Konzertkritik | Uber Arena
Nick Cave und seine Band The Bad Seeds sind auch Jahrzehnte nach dem ersten Album immer noch wild, düster, romantisch und mitreißend. Vom ersten der beiden Berlin-Konzerte der Band berichtet Hendrik Schröder.
Es ist nicht übertrieben, nach zweieinhalb Stunden Konzert und 24 Songs denkt man: Wow. Was für ein Großer. Als Künstler, als Performer, als Typ. Wie er sich verausgabt hat. Wie er die Leute mitreißt.
Aber von vorne. Im grauen Anzug, mit Hemd und Krawatte und den obligaten schwarz gefärbten und streng nach hinten pomadierten Haaren, kommt Nick Cave auf die Bühne der Uber Arena getänzelt. Unkundige könnten ihn eventuell auch für einen windigen Gebrauchtwagenverkäufer halten, aber den Look hat er kultiviert, über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte.
Los geht es mit ein paar Stücken vom neuen Album Wild God, das wieder etwas opulenter geworden ist, etwas größer instrumentiert und dessen Songs wie das Titelstück, "Frogs" oder "Song of the Lake" (das die Band an diesem Abend das erste Mal live spielt) hervorragend funktionieren.
Und es ist noch kein ganzer Song vergangen, da sprintet Nick Cave schon zum Bühnenrand und lehnt sich auf die gereckten Hände der Fans. Und so soll es fast das ganze Konzert über weitergehen. Wie magisch angezogen sucht Cave die Nähe zu seinen Fans. Und dabei schüttelt er keine Hände, er klatscht auch nicht ab, nein, er schlägt ein.
Und dann hält er die Hand des jeweiligen Fans fest und singt direkt in dessen Augen oder schreit: "Yeah, Yeah, Yeah"... immer wieder. Selten sind Leute vermutlich so gerne angeschrien worden. Dann rennt Cave zum Flügel, schmeißt sein Mikro unterwegs weg, spielt zwei Strophen mit, bevor es ihn vom Hocker zieht und er wild um sich tanzend und das Mikro suchend wieder zu seinen Fans muss.
Proppenvoll ist es in der Arena, ganz ausverkauft sieht es nicht aus, aber fast. Die Leute sind größtenteils über 40, wenn nicht über 50 und hängen an Nick Caves Lippen. Auf den Sitzplätzen bleibt man allerdings sitzen und auch die stehende Menge vor der Bühne verwandelt sich nur selten in einen ekstatischen Haufen. Es ist eher eine ruhige, extrem kultivierte Begeisterung.
Besonders beeindruckend ist die Vielfalt an Emotionen, die Cave im Laufe des Konzerts ausstrahlt, in den Raum wirft, durchlebt. Wie ein Ritt durch seine Alben, die ja auch mal punkig zerrig, spröde, mal ganz sanft und ruhig und nachdenklich daherkommen. Er zetert, er brüllt, er singt von irgendwo ganz tief mit großer Wärme, er lacht sich kaputt.
Denn auch das ist ja Nick Cave, dieser feine, ironische Humor. Man mag es nicht glauben, dass der Australier die Mitte 60 schon überschritten hat und in den letzten Jahren den Verlust zwei seiner Söhne verarbeiten musste. So agil, so stark, so fit pest er die Bühne auf und ab und gibt den Leuten alles, was er hat.
Und seine Band, die Bad Seeds, geben ihm alles, was er braucht. Basser und Drummer haben nonstop Blickkontakt und spielen so dicht, als wären sie eine Person. Multiinstrumentalist Warren Ellis mit grauem Rauschebart reckt seine Violine in die Luft, als wäre es die Flying V Gitarre der Scorpions und rockt ordentlich mit.
Die Bad Seeds ballern, marschieren, streicheln. "O Children", "From her to Eternity", "Red right Hand", "Into my Arms"… es fehlt nicht viel auf der Setlist. 24 Songs. Zweieinhalb Stunden. Schwitzen, singen, Gänsehaut. Viel mehr geht nicht. Ach, Nick Cave, man würde gerne mal einen Tag in seinen Kopf und sein Herz gucken, was da los sein muss.
Auch am 30.09. ist Nick Cave noch mal in der Uber Arena zu sehen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 30.09.2024, 6:55 Uhr
Beitrag von Hendrik Schröder
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