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Audio: rbb24 Inforadio | 24.10.2024 | Interview mit Andres Veiel | Quelle: dpa/Pictures From History

Interview | Regisseur Andres Veiel

"Ich wollte begreifen, warum Riefenstahl so geworden ist"

Eine "Meisterin der Lügen und Legenden" nennt Dokumentarfilmer Andres Veiel die Filmregisseurin Leni Riefenstahl. In seinem neuem Film durchlöchert Veiel Riefenstahls Mantra "Ich habe nichts gewusst", wie er im Interview erzählt.

rbb: Herr Veiel, warum brauchen wir noch einen Riefenstahl-Film? Ist es nicht auserzählt?

Andres Veiel: Nein, ist es nicht. Sonst hätte ich mich nicht drei Jahre mit ihr auseinandergesetzt. Ich stellte mir am Anfang auch diese Frage, als ich 700 Kisten ihres Nachlasses vor mir hatte. Klar war: Sie hat natürlich manipuliert, was sie hinterlassen hat. Da gibt es Leerstellen, da wird dieses oder jenes sicher entfernt worden sein. Gerade deshalb haben wir schrittweise tiefer gegraben und sehr viel gefunden, wo sie "Fehler" gemacht hat.

Regisseur Andres Veiel. Sein Film "Riefenstahl" ist ab Donnerstag, den 31.10.2024 in deutschen Kinos zu sehen. | Quelle: dpa/Christoph Hardt

Sie hat viele Dinge hinterlassen, die sie belasten, die ein anderes Licht auf sie werfen, die sie anders zeigen. Private Filme, auch Tagebuchauszüge, Briefe, die Prägungen zeigen, die nicht nur eine empathielose Narzisstin bestätigen, sondern die mir auch Einblicke geben, wie man eigentlich so wird. Wie wird man zu einer Propagandistin eines Unrechtsregimes? Da wird es spannend. Sie ist eine Meisterin der Lügen und Legenden.

Sie tauchen sehr tief in die menschlichen Verstrickungen ihres Narzissmus hinein, in ihre Schamgefühle, in ihren Versuch, sich ständig neu zu definieren. Was haben Sie dabei entdeckt?

Es gibt verschiedene Versionen ihrer Erzählungen. Ich erzähle mal ein Beispiel: Sie war 1939 als Kriegsberichterstatterin in Polen. Sie wird Zeugin des ersten großen Judenmassakers mit 22 Toten. Es gibt in ihrem Nachlass drei Varianten dieser Erzählung.

In der ersten Erzählung bis 1948 sagt sie: 'Ich war Zeugin. Ich habe das erlebt, und das war für mich ein Schock.' Ab 1952 sagt sie: 'Ich habe das nur von Ferne mitbekommen'. Da war für mich die Frage: Warum verändert sie die erste Erzählung? Warum? Weil es der großen Anklage widerspricht? Sie hat immer behauptet, sie habe erst nach dem Krieg davon erfahren.

Interview | Enkelin NS-Widerstandskämpfer

20. Juli 1944: "Er ist für das eingetreten, was er für richtig hielt"

Fabian von Schlabrendorff ist einer der wenigen Widerständler des 20. Juli 1944, der den Naziterror überlebte. Seine Enkelin berichtet im Interview von weiteren gescheiterten Attentatsversuchen - und vom Wirken ihres Großvaters bis zu seinem Tod.

Dann aber hat sie als Abwehrfront eine neue Erzählung gesetzt, denn es gibt eine dritte im Nachlass, in der sie die Geschichte nochmal anders erzählt. Das ist ein Brief von einem Adjutanten. Der beschreibt seine Beobachtung, dass Leni Riefenstahl eine Regieanweisung gegeben haben soll. Tote deutsche Soldaten sollten beerdigt werden. Sie wollte das drehen, aber im Bild störten "schmutzige" Juden, die das Grab mit eigenen Händen ausgraben mussten.

Dann hat sie wohl gerufen 'Juden aus dem Bild'. Sie wurden unter Schlägen und Misshandlungen rausgetrieben. Als die jüdischen Männer losrannten, wurde das Feuer eröffnet. Das heißt, wenn dieser Brief des Adjutanten stimmt, dass sie eine Regieanweisung gegeben hat, dass sie mit dieser Regieanweisung das Massaker möglicherweise ausgelöst hat, ist die Schuldfrage eine ganz andere.

Und da wird es interessant, diese drei Varianten genauer zu betrachten. Möglicherweise war die Schuld so groß, dass das Verleugnen ein rettender Impuls war, dass sie gar nicht anders konnte, weil sie mit dieser Schuld nicht leben konnte. Oder - das deutet der Film nur an - vielleicht war sie auch nach dem Krieg immer noch überzeugte Nationalsozialistin. All das einzukreisen, war eine extrem spannende Reise.

Quelle: dpa/Pictures From History

Warum hat sie die Schuld nicht einfach anerkannt? - Wäre es dann ein anderer Weg gewesen?

Es gibt ja Vergleiche. Albert Speer kommt im Film auch vor. Der hat den, ich sage mal, raffinierteren Weg gewählt: Als Reichsrüstungsminister, verantwortlich für zwei Millionen Tote, also Zwangsarbeiter und KZler, die in seinen Rüstungsbetrieben durch Mangelernährung und so weiter zum Teil auch ermordet wurden, ist er zu 20 Jahren verurteilt worden. Er also kam raus und hat den schlauen Weg gewählt, dass er sagte: "Ich hätte es wissen können, also das von der Judenvernichtung, auch von diesem Unrechtsregime, was da eigentlich alles passiert ist, ich hätte es wissen können, wenn ich es hätte wissen wollen. Und meine Schuld ist, dass ich nicht gefragt habe." Das heißt, dass er einen Teil der Schuld einräumt.

Speer gibt sich als reuiger Nazi und macht damit eine Weltkarriere. Er veröffentlichte Memoiren, die in, glaube ich, 50 Sprachen übersetzt wurden. Leni Riefenstahl war dazu nicht in der Lage. Das wirft sie ihm auch vor. Sie bleibt starr in dem Muster: 'Ich habe nichts gewusst'.

Antisemitische Gewalt am 5. November 1923

Berlins vergessener Pogrom im Scheunenviertel

Schon die Weimarer Republik hatte ein Antisemitismus-Problem. Als das Land 1923 unter Hyperinflation und Massenarbeitslosigkeit litt, wurde die Schuld den Juden zugeschrieben. Am 5. November zog schließlich ein Mob durch das Berliner Scheunenviertel.

Wie schwierig war es für Sie, diese Detektivarbeit im Privaten und teilweise auch psychoanalytische Arbeit bei ihr zu betreiben? War das manchmal nicht zu viel?

Riefenstahl ist jetzt keine Figur, die mir das Herz wärmt. Es hat sich mehr so ein Jagdfieber entwickelt. Als Kind habe ich mal meinen Teddybär aufgeschlitzt, weil ich einfach wissen wollte, warum der brummt. In gewisser Hinsicht habe ich Riefenstahl auch aufschlitzen müssen. Ich wollte begreifen, warum sie so geworden ist und das heißt natürlich auch, mir im psychoanalytischen Sinne die Kindheit anzuschauen. Aber das ist gefährlich, weil ich in Bereiche komme, wo ich die Frau auch wieder verstehe.

Wir haben viel darüber diskutiert. Das relativiert auch die Schuld und die Verantwortung, wenn du sagst: "Die Frau ist von ihrem Vater misshandelt und geschlagen worden." - Was soll das? Hitler ist auch geschlagen worden. Erklärt uns das irgendetwas? Ich sagte: "Ja, es erklärt etwas, und zwar nicht im individualpsychologischen Sinne, sondern es erklärt ein archetypisches, über sie hinausweisendes Generationsbild." Ich nenne sie die "Generation der Unbedingten", mit dieser preußischen Erziehung, die ja seit Jahrhunderten eintrainiert wurde. Wehrhaft musste dieser Staat sein. Helden musste er kreieren, also Männer, die es schaffen, in der Minderzahl die Feinde zu besiegen.

Drill, Einschüchterung, das war sozusagen der Erziehungsstil. Und Leni Riefenstahl hat das als Frau voll "genießen" dürfen.

Als Fünfjährige sollte sie schwimmen lernen, wurde ins Wasser geworfen und war nah dran zu ertrinken. Und was schreibt sie? - Nicht über die Wut auf den Vater, sondern dass sie eine gute Schwimmerin wurde. Und das ist die Urszene, die Identifikation mit dem Starken, die Verachtung des Schwachen, die wir in Riefenstahls Filmen konsequent finden.

Man wird nicht einfach so Faschistin, sondern es gibt Prägungen. Wie kommt so ein Narzissmus? Wie kommt so eine Empathielosigkeit? Das kommt ja nicht von ungefähr. Das wird einem, wenn man so will, ausgebrannt.

Haus der Wannsee-Konferenz in Berlin

Ist #Holocaust-Gedenken auf Tiktok eine gute Idee?

Jom haScho'a ist in Israel ein Nationalfeiertag: der Tag zum Gedenken an die Vernichtung des Judentums in Europa. Längst findet dieses Gedenken auch in sozialen Medien statt, zum Beispiel Tiktok. Das Haus der Wannsee-Konferenz macht mit. Von Corinne Orlowski

Oder eingebrannt?

Ich habe immer das Bild von einem Feuer, wo die letzten Reste von Empathie mit einer Feuerwalze vernichtet werden. Und das war für mich das Interessante: Zu sagen, wir gehen in das Risiko des Verstehens. Und das heißt nicht 'Verständnis'. Ich trenne ganz klar Verstehen und Verständnis.

Verständnis heißt: Exkulpieren, sie also herauszunehmen aus der Schuld und zu sagen: "Die Arme hat gelitten." Und: "Eine Opfererzählung!" Verstehen heißt: "Ich will begreifen, wie man so wird."

Das ist universell, das spricht für die Generation. Manches kann man aber auch verlängern ins Heute.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview mit Andres Veiel führte Alexander Soyez, rbb24 Inforadio.

Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fasung. Das komplette Gespräch können Sie oben im Audio-Player nachhören.

Sendung: rbb24 Inforadio, 23.10.2024, 11:05 Uhr

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