"Dream Theater" aus den USA sind eine der wichtigsten Bands des Progressive-Metal. Im Rahmen ihrer 40-Jahre-Jubiläumstour spielten sie in Berlin. Jakob Bauer hat ein pompöses, aber nicht vollends überzeugendes Geburtstags-Konzert gesehen.
In 40 Jahren sammelt sich wohl bei jeder Band viel Material an. Bei Dream Theater allerdings ganz besonders viel. Denn die Band macht Progressive-Metal, die US-Amerikaner gelten sogar als Mitbegründer des Genres. Das ist geprägt von harten Metalklängen, die in komplexe Songs gegossen sind, der Takt wechselt häufig, es gibt Jazz- und Klassik-Elemente.
Alles ist hochvirtuos komponiert, aber auch voll auf die Zwölf. Die Songs sind lang, 20 Minuten sind keine Ausnahme bei Dream Theater, und so geht dieses Konzert in der Berliner Uber Eats Music Hall auch – einem Geburtstag angemessen – amtliche drei Stunden.
In den 1990er Jahren spielte die US-Amerikanerin Joan Wasser in krachigen Rock-Bands, seit 2004 ist sie als Joan As Police Woman solo bekannt geworden. Am Montag hat sie ihr neues Album im Berliner Heimathafen Neukölln vorgestellt. Von Jakob Bauer
15 Saitenanschläge pro Sekunde
Auch passend zum Geburtstag: Drummer Mike Portnoy ist zurück. Er ist ein Fan-Liebling, 2010 hat er die Band allerdings im Streit verlassen. Jetzt sitzt Portnoy wieder sichtlich gut gelaunt hinter seiner Höllenmaschine. Denn dieses Drumset ist wirklich übertrieben krass. Es hat geschätzt 20 Trommeln und genauso viele Becken. Portnoy muss hin und herrutschen, um alles betrommeln zu können, und dieses gigantische Drumset ist bezeichnend für den künstlerischen Ansatz von Dream Theater.
Die große Geste in allem ist das Ding der Band. Auf großen Leinwänden sind bedeutungsschwere Bilder zu sehen, antike Statuen, schnell laufende Uhren, Zahnräder und Totenköpfe. Die Songs erzählen ausufernde Geschichten über Leben, Tod und Vergänglichkeit, über die sicher schonmal jemand eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben hat.
Und sie tragen Titel wie "Metropolis Part 2 – Scenes From A Memory". Die Band schafft es, brutal wuchtig, aber auch brutal schnell und präzise zu spielen, "abartig schnell", ruft sogar einer im Publikum, als Bassist John Myung kurz die Hände ausschüttelt und dann das Intro zum Song "Panic Attack" mit circa 15 Saitenanschlägen pro Sekunde durchhämmert.
Drachenkampf und schiefe Töne
Als dann mittelgut animierte Drachen auf der Leinwand zu kämpfen anfangen, kippt das zwar auch in Richtung pompöser Kitsch, aber gut. Es passt hier halt einfach alles schlüssig zusammen und ist dadurch auf eine angenehme Art drüber. Genauso, wie das sich auf einem beweglichen Konstrukt befindende Keyboard, das während des Spielens entweder zur Seite kippt oder sich im Kreis dreht, inklusive Keyboarder Jordan Rudess. Auch die Stimme von Sänger James LaBrie reiht sich in diese Theatralik ein, die ist hoch, dramatisch, tremolierend, einzig: Er trifft ungefähr die Hälfte der Töne nicht mehr so richtig. Das stört schon ziemlich, gerade weil der Rest der Band so perfekt spielt.
Tralala und Unz unz unz haben vielleicht nicht so viel gemeinsam - doch beide sind regionale Musikformen, die Berlin und Finsterwalde geprägt haben. Am Dienstag werden daher Techno und Sangestradition mit dem Titel "immaterielles Kulturerbe" geehrt.
Leute, jubelt bitte mal!
Vielleicht ist das ein Grund dafür, dass keine so richtig ausgelassene Geburtstagsstimmung aufkommt, dass das Publikum zwar aufmerksam ist, aber nicht in Ekstase gerät. Vielleicht ist es die Set-List, bei der gerade in der ersten Hälfte des Konzerts nur wenige Songs dabei sind, bei denen die Fans schon ab den ersten Tönen in Jubel ausbrechen.
Vielleicht liegt es auch daran, dass zwar jeder für sich brilliert, aber die Band nur wenig wirklich miteinander interagiert. Immer wieder versuchen Dream Theater, mit klassischen Rockstar-Gesten das Publikum zu animieren, aber es klappt nur so halb-gut. Und irgendwann sagt Sänger LaBrie sogar leicht genervt: "Leute, wenn ich das Mikro in die Menge halte, dann sollt ihr losjubeln."
Was macht der wohl hinter der Bühne?
Dass hier eine Distanz bleibt, mag auch daran liegen, dass es keinen richtigen Frontmann gibt, der die Menge durch diesen Abend führt. Sänger LaBrie verschwindet nach seinen Parts immer sofort hinter die Bühne. Und man fragt sich, was er wohl dahinter so treibt, und erwischt sich dabei, zu denken, dass er ruhig noch ein paar Minuten länger draußen bleiben könnte, wenn Gitarrist John Petrucci eine seiner irrwitzigen Gitarrenfiguren rausholt und man gebannt den Atem anhält, Augen, Ohren und Mund aufreißt: In welche himmlischen Gefilde schraubt er diesen Lauf hinauf?
Handwerklich bieten Dream Theater hier also einen – bis auf den Gesang – brillanten Abend, musikalisch abwechslungsreich und in seiner melodramatischen Ästhetik zwar Geschmackssache, aber auf jeden Fall stringent durchgezogen. Das wird nie langweilig, nur fühlt es sich auch so an, als würden Dream Theater zwar ordentlich auf ihre Geburtstags-Piñata draufdreschen, aber sie explodiert halt nie. Das große Fest hätte – und das mag bei dieser Band komisch klingen – ruhig noch etwas überwältigender sein können.