Interview | Sensationsfund in Ägypten
Mehr als 20 Jahre lang haben der Berliner Archäologe Jochem Kahl und sein Team im ägyptischen Assiut gegraben - dann entdeckten sie das 4.000 Jahre alte Grab einer Priesterin. Was das für die Forscher bedeutet und was Indiana Jones damit zu tun hat, sagt Kahl im Interview.
rbb: Herr Professor Kahl, Sie haben vor kurzem das Grab einer altägyptischen Priesterin entdeckt. Gab es viele Priesterinnen?
Jochem Kahl: Ja, es gab Priesterinnen, allerdings nur in Bezug auf die Göttin Hathor. Das heißt eben auch eine weibliche Gottheit. Ägypten hat Tausende von Göttern gehabt. Die Priesterinnen für Hathor waren meistens als Tänzerinnen oder Musikantinnen tätig.
Wer war diese Frau?
Sie war die Tochter des Regionalgouverneurs Djefai-Hapi I. und ist im Grab ihres Vaters bestattet worden. Djefai-Hapi war einer der mächtigsten Männer seiner Zeit und verkehrte am Königshof. Er ließ sich das größte Grab in ganz Ägypten für eine nicht-königliche Person errichten.
Es ist aber nicht wie bei Indiana Jones, mit dem Ägyptologen gerne mal verglichen werden, dass man einfach anfängt irgendwo zu graben?
Nein, überhaupt nicht. Das Projekt läuft schon seit 21 Jahren. Das Ziel des Projektes war auch nie, irgendeine unversehrte oder wenig zerstörte Grabkammer zu finden, sondern die Geschichte der Stadt Assiut zu rekonstruieren. Es gibt dort diesen großen Gräberberg, in dem wir das Grab gefunden haben. Das Schöne daran ist, dass wir eine 6.000-jährige Geschichte rekonstruieren können, nahezu lückenlos.
Unsere, wenn Sie so wollen, Spielwiese ist eben der Berg, der am Wüstenrand dieser Stadt liegt. Der streckt sich auf 200 Höhenmeter und es gibt Tausende von Gräbern, Kloster- und Militäranlagen. Wir haben dort ehemalige Ausflugsziele für gebildete Leute aus der Antike. Für ein paar Jahrhunderte ist noch was zu tun. Und so gesehen ist dieser Fund eigentlich nur ein kleiner Bestandteil eines ganz großen Projektes. Aber eben ein sehr schöner und besonderer.
Was halten Sie von Indiana Jones?
Ich schätze Indiana Jones als Kinofilm und Harrison Ford als Schauspieler. Ich habe mir, ich glaube als ich 19 Jahre alt war, den ersten Teil gleich angeschaut. Aber er trifft überhaupt nicht die archäologische Wirklichkeit, auch nicht den Anspruch, mit dem wir heute Archäologie betreiben.
Was Indiana Jones eigentlich in den Filmen macht, ist, dass er Jagd auf Einzelobjekte macht, dass er sich fast wie ein Kolonialherr verhält, weil er nämlich diese Einzelobjekte einfach außer Landes bringt und dann in Amerika oder Europa in ein Museum haben will - zum Schutz des Kulturgutes, wie er immer betont.
Aber im Grunde genommen, fotografiert er nicht, zeichnet nicht und schreibt nichts dazu auf. Das heißt, ihn interessiert der Zusammenhang im Grunde gar nicht. Das ist natürlich nicht das, was wir uns versprechen.
Trotzdem gibt es zu Indiana Jones ein paar Parallelen. Das ist vielleicht die Hartnäckigkeit, Beständigkeit und auch die Unerschrockenheit, mit der er vorgeht. Und das kann ich meinen Mitarbeiterinnen attestieren, die in 14 oder manchmal 28 Metern tiefen Schächten arbeiten.
Wer gehört Ihrem Team an?
Wir sind ein deutsch-ägyptisches Team. Das deutsche Team besteht zum größten Teil aus Frauen. Das ägyptische dagegen nur aus Männern, weil es für Frauen schwierig ist, sich dort durchzusetzen. Es sind aber auch Spezialistinnen dabei, beispielsweise aus Polen, die für die Keramik zuständig sind, oder aus Japan für die Zooarchäologie - auch angeführt von einer Frau.
Als die Kammer der Priesterin geöffnet wurde, waren Sie ausgerechnet nicht dabei. War das schlimm?
Es war eigentlich nicht schlimm, weil es eben gerade nicht so ist, dass man einfach irgendwo eine Tür öffnet und dann treten einem irgendwelche tollen Schätze entgegen. Die Bergung, die Dokumentation des Fundes hat insgesamt fünf Wochen gedauert. Ich war in den ersten zwei Tagen nicht da, von daher ist es zu verkraften.
Übt der Hauch der Geschichte, das Abenteuer eine Faszination aus? Oder wirkt es auf Sie gar nicht mehr so?
Was uns bei diesem Fund berührt, ist, dass wir der Person näher gekommen sind. Meistens ist das, was wir machen, eher sehr theoretisch. Wir versuchen, irgendwelche Typologien zu erstellen von Keramik oder von Architektur. Wir versuchen, Funktionszusammenhänge in der Nutzung bestimmter Gebäude zu rekonstruieren.
In dem Fall war vielleicht auch ein Hauch von Gefühl dabei, weil man plötzlich merkt, wie nah man an einem Menschen ist, der eigentlich vor 4.000 Jahren gelebt hat.
Viele Menschen waren schon in Ägypten. Viele kennen das Tal der Könige, Tutanchamun oder das berühmte Museum in Kairo. Woher kommt diese Faszination?
Ich denke, was uns anspricht, ist, dass wir von einer sehr alten, weit zurückliegenden Kultur vieles erkennen, was uns heute auch vielleicht ähnlich ist. Ägypten war zum Beispiel der erste Flächenstaat der Menschheit. Wir haben die Hieroglyphenschrift, eigentlich eine Medienrevolution, wie wir es nur mit dem Internet vergleichen können. Seit der Entwicklung der Hieroglyphenschrift haben die Menschen geschrieben.
Natürlich ist es auch die Kunst, die uns in ganz besonderem Maße anspricht, wegen ihrer von uns so wahrgenommenen Schönheit, besonderen Ästhetik. Das entspricht irgendwie unserem Zeitgeist. Ob das immer so bleibt, ist natürlich die Frage.
Fasziniert die Menschen vielleicht auch die Totenwelt der alten Ägypter und diese Vielzahl an Göttern?
Ich glaube schon. Es ist vielleicht diese Faszination der Überwindung des Todes, könnte man es so nennen. Während bei uns der Tod eigentlich ein tabuisiertes Thema, zumindest im Alltagsleben ist, hat der Tod eben im alten Ägypten doch eine ganz andere Rolle gehabt. Man hat sich den Tod nicht als Endpunkt vorgestellt, sondern - ganz im Gegenteil - als Öffnung für ein zweites jenseitiges Leben. Die Sorge war nur, diesen zweiten jenseitigen Tod zu vermeiden. Das heißt also, der Tod im Diesseits, der war im Grunde genommen fest eingeplant und man ist ganz anders und sicher auch leichter damit umgegangen, als wir das heute tun.
Sollte es das nächste Leben für Sie geben, wie sähe das aus?
Ich würde das wieder so wählen, auf jeden Fall. Die Ägyptologie ist in meinen Augen eine große Bereicherung. Man lernt nicht nur die Antike kennen, sondern auch das moderne Ägypten. Man lernt nicht nur Professoren, sondern auch Tagelöhner kennen. Auf der Grabung arbeiten jedes Jahr 80 Tagelöhner und man lernt auch ihre Probleme und Sorgen kennen. Und man lernt auch zu schätzen, wie gut es einem geht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit Jochem Kahl führte Ingo Hoppe, rbb 88.8.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das Gespräch können Sie auch oben im Audio-Player nachhören.
Sendung: rbb 88.8, 25.10.2024, 16:10 Uhr
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