Eröffnung Manfred-Krug-Archiv
Als Schauspieler, Jazzsänger oder Entertainer begeisterte Manfred Krug ein Millionenpublikum – und das in Ost und West. Acht Jahre nach seinem Tod ist nun sein Nachlass im Manfred-Krug-Archiv in der Akademie der Künste in Berlin zugänglich. Von Corinne Orlowski
Ein Nachlass aus über 40.000 Seiten Papier lässt sich schwer "eröffnen", kein Band, das man durchschneiden, keine Ausstellung, die man besuchen kann. Deshalb wurde am Dienstag bei der Eröffnung des Manfred-Krug-Archivs sein Leben gewürdigt – mit Gesprächen auf der Bühne, mit Ausschnitten aus seinen Liedern und Filmen. Dabei wird einem in Erinnerung gerufen, wie erfolgreich dieser Mann mit seinem rauen Bariton und seiner unvergleichlichen Ausstrahlung war.
Allein zwei Ordner füllen die Anfragen an Krug aus Film und Werbung – aus nur einem Jahr. Er drehte unentwegt, spielte etwa die Hauptrolle in dem Film "Spur der Steine", der in der DDR wegen "anti-sozialistischer Tendenzen" verboten wurde und heute zum deutschen Filmkanon gehört. Er verkörperte Märchenkönige, Ganoven, trat als Parteifunktionär oder erzgebirgischer Anarchist auf. Krug sei der Marlon Brando der DDR, hieß es zuweilen. Das Publikum mochte ihn wegen seines erotischen Charmes eines Aufmüpfigen; die Kulturfunktionäre hingegen schätzten den "Proletarier mit Herz".
Nach seiner Übersiedlung 1977 wurde Manfred Krug auch in der BRD ein Publikumsliebling, etwa in der Fernsehserie "Liebling Kreuzberg" als flapsiger Anwalt, als Lkw-Fahrer in "Auf Achse" oder als singender Tatort-Kommissar.
Im Manfred-Krug-Archiv kann man dem Schauspieler, Sänger und Entertainer nun so nah kommen wie noch nie. Sein Nachlass gibt Einblick in seine Persönlichkeit und sein Schaffen. Krug war ein passionierter Sammler und Flohmarktgänger. Ein penibler Organisator seiner eigenen Papiere hingegen war er nicht. Deshalb hat es auch so lange gedauert, sein Archiv zugänglich zu machen. Dessen Schwerpunkt liegt auf der Zeit nach seiner Ausreise 1977 in den Westen. Manches musste er vernichten, um kein verfängliches Material zurückzulassen. In seinen Aufzeichnungen "Abgehauen" berichtet Krug davon, wie er "kilometerweise" Briefe und Notizen verbrennt. Krug hatte 1976 in der DDR das Protestschreiben gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann unterschrieben, woraufhin er beruflich isoliert wurde, Rollenangebote blieben aus.
Im Westen musste Krug im Alter von 40 Jahren von vorn beginnen. Was ihm aber sofort gelang. Das zeigen auch bisher unveröffentlichte Briefe, die selbst sein Sohn Daniel Krug erst seit wenigen Tagen kennt. Auf der Bühne liest er Auszüge mit seiner Schwester Stephanie. Und so wird der Abend ein einziges Manfred-Krug-Fest. Freunde und Weggefährten sind in die ausverkaufte Akademie der Künste am Hanseatenweg gekommen, um noch einmal Krugs Stimme zu lauschen. Unter anderem Sängerin Uschi Brüning, die am Ende Lieder aus gemeinsamen Konzerten singt. Und die Beschwörung funktioniert: Krug wird sofort wieder lebendig. Bei jedem Filmausschnitt gibt es Szenenapplaus, so, als wäre er im Saal anwesend.
Das Archiv zeigt, wie früh Manfred Krug zur Musik findet und wie spät zum Schreiben. Neben persönlichen Dokumenten sind Fotos, Plakate, Manuskripte und Produktionsunterlagen mit handschriftlichen Anmerkungen einsehbar – auch Krugs Songtexte, die er unter Pseudonym Clemens Kerber schrieb, manche sind noch nicht vertont.
Der Nachlass enthält außerdem eine umfangreiche Korrespondenz und Notizen, in denen er die Dialoge seiner Rollen bearbeitet hat. Im Foyer der Akademie der Künste sind einige Dokumente in Vitrinen ausgestellt. Da erkennt man, wie sorgfältig Krug mit Sprache umging. Seine Lektorin Krista Maria Schädlich berichtet, wie Krug mit jedem Wort haderte, gar an seiner Sprache zweifelte. Der grübelnde Krug: Ein Bild, das man so gar nicht mit dem des zuweilen schon mal machohaften Schauspielers zusammenbringt. Aber er sei eben auch ein sensibler Mensch gewesen und mitunter nah am Wasser gebaut.
So kritisch wie er mit sich war, so schlagfertig war er gegenüber anderen. Krug konnte austeilten. Über seine Persönlichkeit erfährt man an diesem Abend wenig Neues. Dazu hat er sich zu seinen Lebzeiten vielleicht zu selten verstellt. Seine Vielschichtigkeit kommt an diesem Abend sehr gut rüber. Aber es überrascht seine politische Weitsicht. Manfred Krug bezeichnete sich selbst stets als Gaukler, also einer, der das Publikum unterhält. "Ich bin in allererster Linie ein Unterhaltungsschauspieler", und als dieser hätte er auch "überhaupt keine Botschaft". Der Nachlass beweist, Krug war durchaus ein politischer Mensch. In den Augen seiner Lektorin unterstreichen das Krugs Tagebücher. Er sei schon sehr früh kritisch gegenüber Putin gewesen, so Schädlich, ein leidenschaftlicher Demokrat. So warnte er schon im Jahr 2000 vor "Entwicklungen, mit denen wir uns heute auseinandersetzen". "Wo sind eigentlich die ganzen Künstler und Schriftsteller, die sich zu Wort melden?", fragt Schädlich auf der Bühne provokant. "Manfred Krug hätte sich heute zu Wort gemeldet. Er fehlt jeden Tag umso mehr."
Die Tagebücher zeigen ihn als einen Chronisten seiner Zeit. Band Drei "Ich beginne wieder von vorn" ist gerade im Kanon Verlag erschienen. Auch in diesem bekommt man Einblicke in Krugs Gedankenwelt. Wer aber noch tiefer eintauchen möchte, stöbern, forschen, dem sei der Gang in die Akademie empfohlen. Sie ist ab sofort nicht nur der Wissenschaft, sondern der gesamten Öffentlichkeit zugänglich.
Sendung: rbb24 Inforadio, 23.10.2024, 06:55 Uhr
Beitrag von Corinne Orlowski
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