Konzertkritik | Nena in Berlin
Anfang der 1980er spielte Nena ihre ersten Berlin-Shows - inzwischen ist sie 64, hat von ihrer jugendlichen Energie aber nichts verloren. Das zeigt ihr ausverkauftes Konzert am Freitag in der Max-Schmeling-Halle. Von Bruno Dietel
Nena ist noch gar nicht auf der Bühne, es laufen noch die ersten Töne ihrer Band, da werden schon Hunderte Handys gezückt. Eigentlich nicht der Rede wert, wären wir nicht bei einem Konzert mit einem Altersdurchschnitt, der auf jeden Fall jenseits der 40 liegt. Da soll nochmal jemand sagen, das mit den Handys bei Konzerten seien ausschließlich die Jüngeren.
Dann kommt Nena, sie geht direkt nach vorne auf den Steg ihrer Bühne und bricht schon im ersten Song das Eis, als sie wirklich jeder einzelnen Ecke, jedem Block in der Halle zuwinkt, als würde sie alle persönlich begrüßen wollen. Ähnliches wird sie später sogar versuchen.
In der zweiten Strophe von "Liebe ist" entfährt der beeindruckten Nena ein "Wow!", die Max-Schmeling-Halle vor ihr ist ausverkauft. So sanft sie musikalisch mit der Kuschelrock-Hymne gestartet ist, so energetisch tänzelt und hopst die mittlerweile 64-jährige Sängerin von Anfang an über die Bühne - scheinbar mit der körperlichen Leichtigkeit einer Mittzwanzigerin. Nena strahlt immer noch eine fast schon jugendliche Energie aus, dreht sich leichtfüßig um die eigene Achse.
Innehalten, eine Pause machen, das wäre ja durchaus eine Option, aber nein, Nena huscht wie ein Wiesel von links nach rechts über die Bühne und bittet das Publikum nach drei Songs, doch bitte Bescheid zu sagen, sollte es eine Pause brauchen. Nena selbst braucht keine, auch ihre Stimme nicht, sie singt den ganzen Abend mit einer mühelosen Klarheit, als stünde sie gerade im Studio.
"Heute fühle ich mich zum ersten Mal richtig zuhause", ruft Nena ihrem Publikum entgegen. 40 Jahre ist sie schon auf Bühnen unterwegs, einige Fans sind gekommen, die Anfang der 1980er-Jahre schon ihre ersten Berlin-Shows überhaupt gesehen haben. Und dann sind da Menschen, für die es das erste Nena-Konzert überhaupt ist.
Nena scheint in Sachen Nähe zu ihren Fans etwas nachholen zu müssen - nach den letzten Jahren, in denen unter anderem ein Konzert am BER abgebrochen wurde, weil sie zur Missachtung der damaligen Corona-Regeln aufrief. Sie taucht vor der Bühne auf, dreht in aller Ruhe eine Runde durch die Menge, umarmt mehrere Fans innig, singt dabei weiter. Für die Menschen ist das offenkundig ein überwältigender Moment. Nenas Nahbarkeit scheint ihr ein ehrliches Bedürfnis zu sein. Da wirken die unzähligen "Ich hab' Euch lieb" und "Danke, dass ihr da seid"-Rufe echt, sind jenseits von Plattitüden.
"Wir gehören zusammen" hat Nena ihre Tour genannt. In einem Interview mit der "Sächsischen Zeitung" sagte sie, sie wolle die Tour als Einladung zur Begegnung von unterschiedlichen Menschen, Überzeugungen und Blickwinkeln verstanden wissen [saechsische.de]. Nena war und ist politisch, in der Max-Schmeling-Halle entscheidet sie sich offensichtlich spontan dazu, mit dem Publikum gemeinsam 30 Sekunden für den Frieden in der Welt zu schweigen. Das funktioniert nur so halb, von einem Bierstand brüllen mehrere Männer den Trinksprucht "Zicke zacke zicke zacke, hoi hoi hoi", ein paar Frauen erwidern laut "Ihr Blödbirnen". Wie das mit dem Frieden halt so ist, irgendjemand stört ihn immer.
Die Bühne in der Max-Schmeling-Halle gehört dem Nena-Clan: Mit der einen Hälfte der Band arbeitet sie schon jahrzehntelang zusammen - und die andere Hälfte sind ihre Kinder. Ihre Zwillinge Larissa und Saskias singen Background, ihr Sohn Simeon spielt Keyboard. Larissa hat außerdem schon vorher als Support gespielt, ihr Sohn Saskias darf einen komplett eigenen Song (über Frieden, na klar) singen. Simeon und seine Mutter spielen (s)ein gemeinsames Lied. So viel Familie auf der Bühne, das hat schon leichte Kelly Family-Vibes.
Auch Nenas esoterische Seite darf nicht fehlen. Ihr Drummer sitzt mit Hare Krishna-Frisur und Netzhemd auf dem Boden und spielt indische Tabla-Trommeln, sie singt dazu "Es regnet". Dann bringt jemand einen großen weißen Ballon auf die Bühne, Nena unterschreibt - und alle wissen Bescheid, was jetzt kommt. Der Ballon landet im Publikum, die ganze Halle singt "99 Luftballons".
Nena nimmt sich Zeit für ihre Show, spielt viele Zugaben, auch mehrere ruhigere Songs - bloß schade, dass das Publikum das kaum würdigt, die Halle leert sich währenddessen schon fast zur Hälfte. Das wirkt dann doch fast etwas undankbar gegenüber einer Künstlerin, die ihren Fans einen so warmherzigen und hingebungsvollen Abend beschert hat.
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.10.2024, 8:55 Uhr
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Beitrag von Bruno Dietel
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