Theaterkritik | Premiere im "Roten Salon" der Volksbühne
Im ersten Teil der neuen Reihe "Schmeiß die Oma aus dem Zug" inszeniert Silvia Rieger einen Abgesang auf die Welt – und auf das Theater der alten Volksbühne. Von Barbara Behrendt
"Schmeiß die Oma aus dem Zug" – wer nicht zu jung dafür ist, wird bei diesem Titel an Danny De Vitos Kino-Kassenschlager "Schmeiß die Mama aus dem Zug" aus den 1980er Jahren denken. Die Inszenierung im "Roten Salon" der Volksbühne ist von einer schwarzen Hollywood-Komödie mit Figuren und Plot und Höhepunkten allerdings so weit entfernt wie die Erde von der Sonne.
Nichts Neues natürlich, dass die Volksbühne mit einem Titel eine völlig falsche Fährte legt. Womöglich spielt er ironisch auf Vergängliches an: Die Frau, die inzwischen eine Oma ist, kann weg. Könnte man raten.
Was dieser Abend verhandelt – auch darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen. Silvia Rieger, der große, irre Castorf-Star, hat bereits zwei, drei Mal Regie geführt in den letzten 15 Jahren – es sollen äußerst kryptische Abende gewesen sein. Die neue Inszenierung bildet da keine Ausnahme.
Bis auf das Bühnenbild, das ist wunderbar sinnlich und voller Assoziationen: Wenn das Publikum die Volksbühnen-Bar "Roter Salon" betritt, steht schon ein Harlekin mit weiß gepudertem Gesicht und Paillettenhut am Tresen und macht geräuschvoll den Abwasch. Das rauschende Fest ist gerade vorüber. Girlanden hängen noch von der Decke, viel buntes Krepppapier liegt am Boden. Das goldene Klavier im Eck steht verlassen. Und auch die beiden Frauen im Parkett, um sie herum das Publikum, sitzen einsam. Jede an einem kleinen Bar-Tisch, Sabine Zielke in Glitzerrobe mit Weinglas. Jeanette Spassova in ausladendem Altrosa. Beides altbekannte Volksbühnen-Stars. Die beste Zeit ist vorbei, soll das wohl bedeuten. Der stärkste Moment des Abends.
Wie weitermachen, wenn die Kunst und die Welt in Scherben liegen? Jeanette Spassova zetert mit ihrem imaginären Ehemann über das öde, nach Bohnerwachs riechende Familienleben einer Frau. Eine Ironisierung des realistischen Theaters von Ibsen und Co.? Es folgt das Gretchen im "Faust": "Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer, ich find' sie nimmer und nimmermehr." Auch damit kommt sie nicht weiter, Goethe wird abgeräumt.
In der zentralen Szene öffnet Silvia Rieger mit Napoleon-Hut den goldenen Vorhang zum Bühnenpodest, dahinter eine naiv gemalte Landschaft mit Blümchen und Bergen. An der Rampe sitzend spricht sie mit Jeanette Spassova im Dialog einen Text über die Heiligen Drei Könige, die es erst Jahrzehnte später zur Krippe Jesu schaffen, weil sie vom Krieg und vom Schlachtfeld aufgehalten werden. Sie rezitieren aber auch einen Auszug aus Paul Celans "Gespräch im Gebirg". Ein dunkler Text vom Versagen der Sprache angesichts der Ermordung der Juden in der Shoah. Hier ist ihm allerdings der Kontext entzogen – dass von zwei jüdischen Menschen erzählt wird, ist unklar. Es bleibt der Verlust der Sprache, das Nichtverstehen in der Welt.
Selbst wenn man all diese Anspielungen verstehen sollte (der Programmzettel gibt Hinweise): Wohin führt das?
Die kleine einstündige Fingerübung bestätigt in der Form die Aussage: Das rauschende Fest ist vorüber, Ibsen ist vorbei, Goethe ist vorbei – und auch diese Form der alten Volksbühnenkunst ist vorbei. Die klassische Volksbühnen-Ästhetik aus den 1990ern, in der psychologisch nachvollziehbare Figuren tunlichst vermieden werden müssen, in der Sätze völlig kontextfrei geschrien und Texte geklittert werden, bis niemand mehr mitkommt: Noch immer gibt es, auch an diesem Abend, ein paar Aficionados, die das feiern. Für den Rest der Welt wirkt es zunehmend öde und elitär.
Silvia Rieger weiß es und beklagt es: "Schmeiß die Oma aus dem Zug" – ein Abgesang auf die eigene Kunsttradition und Ästhetik. So wäre zumindest eine Lesart. Ganz so ernst kann sie es damit allerdings nicht meinen: In jedem neuen Monat soll in Zukunft ein neues Kapitel der "Oma"-Reihe zu sehen sein.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.10.2024, 6:55 Uhr
Beitrag von Barbara Behrendt
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