Umgang mit DDR-Bauten
Beim Abriss von prominenten DDR-Bauwerken in Berlin fragen sich auch 35 Jahre nach dem Mauerfall noch Menschen: Werden vor allem Gebäude im ehemaligen Ostteil der Stadt abgerissen und steckt dahinter ein System? Ganz so einfach ist die Sache nicht. Von Simon Wenzel
Ein Spatz hat das geschafft, was dem Denkmalschutz nicht gelang: Der Abriss des Stadions im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark (Prenzlauer Berg) ist vorerst gestoppt. Der Schutz von Haussperlingsbrutstätten geht vor, entschied das Verwaltungsgericht. Allerdings kommt die Rettung für Teile der Haupttribüne zu spät, der Abriss hatte bereits begonnen.
Das Stadion im Jahn-Sportpark wurde in seiner heutigen Form in den 60er und 80er Jahren umgebaut, seitdem teilweise saniert und bis vor wenigen Monaten für Sportevents genutzt. Seinem kurzzeitig - und offenbar übereilt - gestarteten Abriss ging eine jahrelange Diskussion voraus.
Fast schon in deren Schatten entschied sich Berlin derweil, auch das ehemaligen Sport- und Erholungszentrums in Friedrichshain abzureißen. Um das SEZ war es schon länger deutlich ruhiger. Als Freizeitjuwel Ostberlins Anfang der 80er Jahre eröffnet, verlor es schon nach der Wende schnell an Bedeutung. Zuletzt wurde der Bau als Eventlocation genutzt. Das Stadion im Jahn-Sportpark und das SEZ, am Ende werden das - trotz des Spatzes - wohl zwei weitere ehemalige DDR-Gebäude sein, die nach und nach aus dem Berliner Stadtbild verschwinden.
In Kommentarspalten und Lokalmedien kamen nach Bekanntwerden der Abrisspläne schnell Vergleiche zum Palast der Republik auf. Vielleicht auch, weil derzeit in einer Sonderausstellung im Humboldtforum an das einstige DDR-Prestigeobjekt erinnert wird - oder besser an seine Überreste. Eine Art Symbol vorschneller Vernichtung von DDR-Architektur nach der Wende. Richtig ist, dass die Bauten, deren Stil in weiten Teilen auch als Ostmoderne bezeichnet wird, nach der Wende einen schweren Stand im wiedervereinten Deutschland hatten.
Das hatte auch mit der Wende und der Eingliederung des vormalig sozialistisch geprägten Ostdeutschland in die westlich geprägte Bundesrepublik zu tun. "In den 90er Jahren und auch noch beim Palast der Republik schwang das Politische sehr stark mit", sagt Hanno Hochmuth vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Stilistische Überbleibsel des alten Systems mussten dran glauben, weil sie genau das waren. Einige besondere Bauwerke fielen dem zum Opfer, in Berlin beispielsweise noch die Großgaststätte Ahornblatt in Mitte.
Auch der Architekturhistoriker Ulrich Hartung, spezialisiert auf deutsche Baugeschichte, findet an der Erzählung vom vermehrten Abriss der DDR-Bauten "ist auf jeden Fall was dran". Statistisch belegen lässt sich das allerdings nicht, weil ausreichend spezifische Daten zu Abrissen fehlen. Es sind nur allgemeine, deutschlandweite Statistiken verfügbar. Mehrere Experten, mit denen rbb|24 zum Thema sprach, teilen allerdings diesen Eindruck. Neben der symbolischen Abkehr vom DDR-System unmittelbar nach der Wende, nennt Ulrich Hartung einen weiteren wichtigen Punkt, wieso ostdeutsche Gebäude einen schwereren Stand hatten. "DDR-Bauten haben kaum 'Anwälte'. Die Ostdeutschen sind in vielen Fällen aus der Verantwortung rausgezogen worden und in untergeordneter Position", sagt Hartung.
Die große Abrisswelle allerdings ist längst abgeebbt. Die Ostmoderne wird von vielen inzwischen sogar gewertschätzt. "Ich habe noch vor wenigen Monaten gesagt, etwas wie der Palast der Republik würde inzwischen nicht mehr abgerissen werden", sagt Hochmuth. Der geplante Abriss des SEZ kommt daher etwas überraschend. Auf ihn wirke er gar "wie ein Rückfall in alte Zeiten", sagt Hochmuth. Allerdings glaubt er nicht daran, dass tatsächlich eine geschichtspolitische Motivation hinter dem Abriss steht. Die Situation sei heutzutage eine andere, es gebe neue Interessenskonflikte. Heute gehe es vor allem um die Schaffung von neuem Wohnraum, dem alles untergeordnet werde.
Es verschwindet aber wieder einmal ein Stück Ostvergangenheit. Architektonische Besonderheiten weisen sowohl das SEZ als auch das Stadion im Jahn-Sportpark auf. Beide Gebäude können der Ostmoderne zugeordnet werden. Der Vizepräsident der Berliner Architektenkammer, Ayhan Ayrilmaz, beschreibt die Bauwerke zudem als stellvertretend für eine Zeit in der "Großarchitekturen" realisiert wurden, also mit speziellen Nutzungen, wie das SEZ mit seinem Wellenbad. "Auch aus dem Blickwinkel der jeweiligen Planerinnen und Planer sind es besondere Gebäude", sagt er deshalb. Das SEZ beispielsweise habe seinerzeit ein "sehr, sehr modernes Gebäudekonzept was den Umgang mit Energie angeht", gehabt.
Zumal das SEZ und das Stadion im Jahn-Sportpark eine herausragende Bedeutung für die politische Führung hatten. Das Fußballstadion als Spielstätte des von der DDR-Regierung hofierten BFC Dynamo, das SEZ als Leuchtturmprojekt für die Freizeitgestaltung in Ost-Berlin. "Als das SEZ noch in Betrieb war, brachte es westliches Flair ins Zentrum. Honecker war stolz darauf und es war auch etwas besonderes", sagt Architekturhistoriker Hartung. Das Wellenbad war auch über die Berliner Stadtgrenze hinaus eine Attraktion.
Denkmalgeschützt sind beide Bauwerke nicht. Auch wenn man vielleicht anhand der beschriebenen Eigenschaften dafür hätte argumentieren können. Allerdings, so ehrlich muss man sein: Auch der Denkmalschutz schützt nicht immer vor Abriss. Das Generalshotel am Flughafen Schönefeld beispielsweise wurde dennoch abgerissen. In dem Fall hatten übergeordnete Interessen den Vorrang bekommen. Ähnliches hätte beispielsweise auch beim Jahn-Sportpark der Fall sein können, aufgrund der Umgestaltungspläne.
Bei vielen Bauten aus der Nachkriegszeit - in Ost und West gleichermaßen - sind zudem Sanierungen kompliziert und teilweise nur mit hohem Aufwand überhaupt möglich. Grund sind Baustoffe, die heutzutage nicht mehr erlaubt und "hochgradig problematisch" sind, wie Architekt Ayhan Ayrilmaz erklärt. Ein bekanntes Beispiel dafür ist Asbest. Während bei 100 Jahre alten Gebäuden häufig so gebaut wurde, dass die Konstruktion in Einzelteile zerlegbar bleibt, sind in Bauten aus der Nachkriegszeit häufig Verbundstoffe verwendet worden. "Es ist eine Herausforderung, da gibt es keinen Standard", sagt Ayrilmaz. Es könne deshalb auch Gebäude geben, bei denen eine Sanierung und ein Erhalt letztlich keinen Sinn ergebe, da jegliche Verhältnismäßigkeit überschritten würde.
Aber - und das ist Ayrilmaz wichtig: "Mein zentrales Anliegen ist, dass man Abriss nicht automatisch in Erwägung zieht, sondern erstmal guckt: Ist der Bestand zu erhalten, kann er ertüchtigt werden mit Blick auf Klima- und Ressourcenschutz oder wie kann man ihn in eine neue Nutzung überführen?" Schließlich sei in bereits erbaute Gebäude Geld und Energie und damit CO2 geflossen und Baustoffe genutzt worden. Ein Bestandserhalt sollte seiner Meinung nach daher - wenn möglich - Priorität vor dem Abriss und Neubau genießen.
Der Abriss hat in der Vergangenheit allerdings bei weitem nicht nur ostdeutsche Gebäude aus den 60er, 70er und 80er Jahren betroffen. "Das, was die DDR-Bauten betrifft, also eine Ablehnung der Moderne, das trifft auch Bauten aus der sogenannten Nachkriegszeit in Westdeutschland und Westberlin", sagt Architekturhistoriker Ulrich Hartung.
Auch Hanno Hochmuth weist darauf hin, dass beispielsweise schon lange vor dem SEZ das Westberliner Spaßbad "Blub" verschwunden sei. Auch wenn hinter dem Abriss keine politische Motivation steckt, etwas mehr Feingefühl hätte Hochmuth sich dennoch gewünscht. Unter anderem, weil sich rechtspopulistische Parteien die "vermeintliche Entrechtung des Ostens" auf die Fahne schreiben würden. "Das ist gerade in jüngerer Zeit ein politisches Unterfangen", so Hochmuth: "Wenn etwas abgerissen wird, womit zu DDR-Zeiten sehr positive Alltagserinnerungen verbunden sind, bekommt das automatisch eine politische Dimension."
Sollte es keine weiteren überraschenden Wendungen mehr geben, werden das SEZ und letztendlich auch das Stadion im Jahn-Sportpark aus dem Stadtbild verschwinden.
Der erwirkte Abriss-Stopp im Jahn-Sportpark gilt vorerst nur bis Ende Februar, an den grundsätzlichen Plänen des Senats ändern die Spatzen nichts. Eine Denkmalschutzprüfung übrigens gab es auch schon. Nach Angaben der Senatsverwaltung wurde das Stadion vom Landesdenkmalamt erfasst, ein Schutz sei nach den vorgegebenen Kriterien aber nicht darstellbar gewesen - auch nicht für einzelne Teile. "Identitätsstiftende Merkmale" wie die Flutlichtmasten sollen aber gemäß der Umbaupläne des gesamten Parks zum Teil in den Neubau integriert werden. Hier könnte also ein Teil der DDR-Architektur symbolisch erhalten bleiben.
Das SEZ dagegen wird gänzlich weichen müssen - für Wohnungen, Schulgebäude und Sportflächen. Bereits 2018 wurde das in einem Bebauungsplan festgelegt. Diese Pläne würden "den Abriss des gesamten Gebäudes erfordern", hatte der Senat Ende 2023 in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage mitgeteilt. Dem SEZ hatte das Landesdenkmalamt bereits vor zehn Jahren nach Prüfung den Denkmalschutz verweigert. Die Begründung: Das Gebäude sei in einem zu schlechtem Zustand. Wann der Abriss beginnt, steht noch nicht fest. Das teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf rbb|24-Anfrage mit.
Beitrag von Simon Wenzel
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