Berliner Kulturverwaltung
Schon seit längeren bezweifeln die Grünen, dass CDU-Kultursenator Joe Chialo die zusätzlichen Millionen für Projekte gegen Antisemitismus sinnvoll ausgibt. Antworten der Kulturverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage befeuern diese Bedenken nun. Von Sabine Müller
Die grüne Abgeordnete Susanna Kahlefeld wirft der Verwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt vor, Mittel aus dem 10-Millionen-Topf für "Projekte gegen Antisemitismus und für interreligiösen Dialog" regelrecht "zu verbrennen". Offenbar gehe es vor allem darum, das Geld tatsächlich bis zum Jahresende auszugeben, sagt Kahlefeld dem rbb, nicht darum, dies zielgerichtet zu tun.
Die zehn Millionen Euro waren von den schwarz-roten Regierungsfraktionen im vergangenen Herbst unter dem Eindruck des Hamas-Angriffs auf Israel kurzfristig in den Haushalt eingestellt worden. Seitdem fragt Kahlefeld regelmäßig nach, wie das Geld verwendet wird.
In der Antwort der Verwaltung von Kultursenator Joe Chialo auf ihre aktuelle, noch unveröffentlichte Anfrage ist der religionspolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion vor allem ein Punkt ins Auge gestochen. 1,6 Millionen Euro aus dem Topf – also gut ein Sechstel des gesamten Geldes - gehen an die Kulturprojekte Berlin GmbH (KPB), eine landeseigene Gesellschaft zur Förderung, Vernetzung und Vermittlung von Kultur und Geschichte.
Mit Antisemitismus habe die KPB bisher wenig zu tun gehabt, kritisiert die Grünen-Abgeordnete. Aber sie könne sich "schnell etwas Teures ausdenken", um "Geld mehr oder weniger verschwinden zu lassen", so Kahlefeld gegenüber dem rbb.
In diese Kategorie gehören für sie etwa die 100.000 Euro, die die Kulturprojekte Berlin für die "Umsetzung von Dialog- und Begegnungsformaten im Kontext des Kulturzuges Berlin/Breslau" bekam. Unter anderem werden damit Jiddisch-Sprachkurse an Bord des Kulturzugs und Stadtführungen mit den Fahrgästen in Breslau (polnisch: Wrocław) organisiert.
Die Kulturverwaltung lobt beides als "wertvolle Instrumente", die das "Bewusstsein für die reiche jüdische Kultur und Geschichte stärken, die über Jahrhunderte einen wesentlichen Teil des europäischen Erbes ausmachten". Dagegen nennt die Grünen-Abgeordnete das Projekt "absurd" und fragt: "Wer lernt da eigentlich mit wem Jiddisch ausgerechnet im Zug nach Wrocław?"
Unverständlich ist für Kahlefeld auch, dass die Kulturprojekte Berlin eine halbe Million Euro unter anderem dafür bekam, die Verwaltung beim "Aktionsfonds gegen Antisemitismus und zur Förderung des interreligiösen Dialogs" zu beraten und diesen umzusetzen sowie zu bewerben. Es hätten zu wenig Vereine und Projekte von dem Fonds gewusst, kritisiert die Grüne. Letztlich wurde weniger Geld ausgezahlt als die Verwaltung angekündigt hatte.
Ein anderes Projekt hatte offenbar so wenig Antisemitismus-Bezug, dass nachgearbeitet werden musste, wie die Kulturverwaltung einräumt. Für die "Umsetzung eines Partizipationsprojekts im Rahmen des Jubiläums 35 Jahre Mauerfall" bekam die Kulturprojekte Berlin 500.000 Euro. In ihrer Antwort an Kahlefeld schreibt die Kulturverwaltung, die KPB habe nachträglich beantragt, "den Fokus stärker auf Antisemitismusprävention zu lenken" und "dieses Thema tiefer in das Projekt zu integrieren". Ein klarer Hinweis darauf, dass die ursprünglichen Planungen wenig mit dem eigentlichen Ziel des 10-Millionen-Topfes zu tun hatten.
Auch andere Projekte, die nun aus dem Antisemitismus-Topf gefördert werden, muten seltsam an. Eine halbe Million Euro geht etwa an "Kiezradar", einen digitalen Informationskanal, der seit langem geplant ist, aber bisher nicht richtig in die Gänge kam. Er soll Bürgerinnen und Bürger über wichtige Ereignisse und Angebote aus Politik und Verwaltung informieren und Beteiligungsmöglichkeiten aufzeigen. Warum es dafür Geld aus den Antisemitismus-Topf gibt?
Die Begründung der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt klingt recht konstruiert. Nach ihren Angaben soll "die Identifikation der Bürgerinnen und Bürger mit ihrem Stadtteil erhöht und dadurch der gesellschaftliche Zusammenhalt gestärkt werden". Und weiter heißt es in der Antwort auf die Grünen-Anfrage: "Ein Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Wohnumfeld, aber vor allem zu den eigenen Mitmenschen ist aus Überzeugung der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt eine zwingende Voraussetzung, um Antisemitismus und anderen Formen von Gewalt effektiv entgegenzuwirken."
"Das ist einfach Geldausgeben für Bequeme, die nicht wissen, wo sie es einsetzen sollen", lautet das ernüchterte Fazit der Grünen-Abgeordneten Susanna Kahlefeld zum Vorgehen der Verwaltung. In diese Kritik schließt sie auch die hohen Summen ein, die aus dem 10-Millionen- Topf in bestehende Großprojekte wie die Topographie des Terrors oder das Haus der Wannseekonferenz fließen.
Kultursenator Chialo hatte Geld dorthin geleitet, nachdem der Bund seine Unterstützung gekürzt hatte. Diese Schwerpunktsetzung der CDU-geführten Verwaltung hatte im Sommer auch bei der SPD für Unmut gesorgt. Orkan Özdemir, Fraktionssprecher Antidiskriminierung, Integration und Kampf gegen Rechtsextremismus, sagte dem rbb damals, ihm sei es wichtig, "dass Organisationen Geld bekommen, die wirklich überlaufen sind, die aus dem letzten Loch pfeifen."
Aus der Kulturverwaltung gab es zunächst keine schnelle Reaktion auf die Vorwürfe Kahlefelds, Geld aus dem Antisemitismusfonds werde "verbrannt". Auf Nachfrage des rbb hieß es, vor einer Antwort sei erst "politische Abstimmung" notwendig.
Sendung: radio3 vom rbb, 07.11.2024, 18:20 Uhr
Beitrag von Sabine Müller
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