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Oper | "Sancta" an der Volksbühne
In Stuttgart versetzte die Inszenierung der Oper "Sancta" der Tanz- und Performance-Künstlerin Florentina Holzinger das Publikum und die Boulevard-Presse in Aufregung. Bei der Premiere in Berlin blieb es ruhig, zumindest bis zum Ende. Von Maike Gomm
Die Aufführung beginnt, bevor man das Theater überhaupt betreten hat. "Heilige Maria, Mutter Gottes, bete für uns Sünder" schallt es einem schon auf dem Weg zum Rosa-Luxemburg-Platz entgegen. Es sind keine Schauspieler, wie manche Passanten mutmaßen, sondern christliche Fundamentalisten des Vereins "Tradition, Familie und Privateigentum", die gegen die Aufführung demonstrieren. Mit ihren roten Fahnen, Bannern und Blasmusik hätte sie kein Profi besser inszenieren können.
"Sancta" ist aber nicht wegen Blasphemie-Vorwürfen zur "Skandal"-Oper geworden. Bei den ersten zwei Aufführungen an der Staatsoper Stuttgart mussten laut Angaben der Oper 18 Menschen vom Besucherservice wegen Übelkeit versorgt werden, dreimal brauchte es ärztliche Hilfe. Die mediale Berichterstattung tat ihr übriges.
Der Nachfrage schadete das nicht. Die zwei Berliner Vorstellungen waren innerhalb weniger Minuten ausverkauft. Im Internet boten Menschen bis zu 1.000 Euro für ein Ticket. Dabei war "Sancta" vorher schon in Schwerin und Wien gezeigt worden – ganz ohne Zwischenfälle.
Auch in Berlin brauchte es keinen Arzt. Zumindest das Berliner Stammpublikum der Volksbühne kennt die Arbeiten von Florentina Holzinger allerdings auch schon und weiß, dass das kein normaler Opernabend wird.
Holzingers Arbeiten sind immer radikal körperlich und weiblich. Auf der Bühne stehen nur FLINTA (Frauen, Lesben, Inter-, Trans-, Agender) und alle sind nackt. Es passt also, dass sie sich gerade die Oper "Sancta Susanna" von Paul Hindermith als neuen Stoff ausgesucht hat. Die Nonne Susanna entdeckt plötzlich ihre Sexualität und wird daraufhin von den anderen Nonnen ausgestoßen. Der Stoff ist aus den 1920er Jahren und löste schon damals einen Skandal aus. Die geplante Uraufführung in Stuttgart (!) wurde verboten. Die Katholische Kirche war erzürnt.
Holzingers "Sancta" beginnt zwar mit genau dieser Oper, entwickelt sich dann schnell zu einer Mischung aus Performance, Musical, Spektakel, Pop-Phänomen. Alles davon wird musikalisch von einem Orchester begleitet. Die Dekonstruktion der Kirche und das Verhandeln von Weiblichkeit sind dabei die Themen, die alles verbinden. Das beginnt schon damit, dass als Auslöser für das sexuelle Erwachen der Nonne eine offensive lesbische Sexszene dient, die auf einem schwebenden, von Neonröhren beleuchteten überdimensionalem Kreuz endet – und übrigens nicht gestellt ist.
Was folgt, ist ein systematisches Auseinandernehmen und Überschreiben kirchlicher Erzählungen und Symbole: Monologe eines Hippie-Jesus, eine lesbische Päpstin, das Abreißen der Sixtinischen Kapelle und ein Reenactment des letzten Abendmahls mit Menschenfleisch (was der Auslöser für die Stuttgartsche Übelkeit gewesen sein dürfte). All das wird hochästhetisch inszeniert. Holzinger zerstört nicht nur die Ikonografie der Kirche, sondern ersetzt diese mit ihrer eigenen.
Das ist auch das, was die Inszenierung trotz einiger Längen so stark macht. Sie erschafft Bilder von Weiblichkeit, wie man sie selten sieht. Bilder von Wut, Witz, Stärke, Präsenz, Lust, Radikalität und Macht. Besonders stark sind dabei auch die ruhigen Momente, wenn die Performerinnen von sich selbst erzählen, wie sie unter der Kirche und unter Männern gelitten haben, ohne dabei jemals in eine Opferperspektive zu verfallen. Im Gegenteil: Sie nutzen sogar ihre Geschichten, um zu begründen, warum sie Heilige sein sollten.
Wer nur die Schlagzeilen gelesen hat, könnte denken, dass "Sancta" reine Provokation ist. Doch das würde der Inszenierung Unrecht tun. Bei Holzinger gibt es immer Gründe für das, was die Performerinnen tun, die Drastik ist notwendig. Denn nichts was die Performerinnen sich selbst antun, ist so grausam wie das, was sie als Frau außerhalb des Theaters erlebt haben. Und das gilt selbst für den Moment, indem einer der Performerinnen ein (sehr kleines) Stück Haut herausgeschnitten wird.
Trotz der Härte, die die Inhalte zum Teil haben, ist "Sancta" nie bitter. Es gibt Wut, aber eben auch viel Leichtigkeit. Zum Beispiel am Ende, wenn das gesamte Publikum aufsteht und gemeinsam singt. In dieser letzten Szene gibt "Sancta" Hoffnung, Erlösung und Gemeinschaft. Fast so wie die Kirche.
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.11.2024, Der Morgen, 10 Uhr
Beitrag von Maike Gomm
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