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Fazit | 34. Filmfestival Cottbus
So viele starke Filme liefen schon lange nicht mehr im Wettbewerb des Filmfestivals Cottbus. Einige von ihnen wurden sogar mit Preisen bedacht. Den Hauptpreis dagegen heimste leider ein durchwachsener Film ein. Von Fabian Wallmeier
Wenn das Filmfestival Cottbus an diesem Sonntagabend zu Ende geht, werden nicht zuletzt zwei erstaunliche und komplett unterschiedliche Wettbewerbsbeiträge in Erinnerung bleiben: die ukrainische Raumfahrer-Liebeskomödie "U Are the Universe" und das kroatische Geschwister-Kammerspiel "Good Children". Beide wurden zurecht und erfreulicherweise am Samstagabend bei der Preisverleihung ausgezeichnet, wenn auch nicht mit den Hauptpreisen.
"U Are the Universe", für den Pavlo Ostrikov den Regie-Preis erhielt, ist das Ergebnis einer besonderen Kraftanstrengung. Der über Jahre hinweg in Kyiw entstandene Film war, wie Ostrikov in Cottbus erzählte, kurz vor der Fertigstellung, als Russland die Ukraine überfiel. Es grenzt an ein Wunder, dass dieser außergewöhnliche Film nun doch noch fertig geworden ist. Der Film erzählt von dem knorrigen Astronauten Andriy, der allein auf einer Mission zum Jupitermond Kallisto unterwegs ist, als plötzlich die Erde zerstört wird.
Andrij glaubt, der einzige noch lebende Mensch zu sein. Dem begegnet er zunächst mit trockenem schwarzem Humor im Dialog mit der Künstlichen Intelligenz Maxim, die ihm zur Seite steht. Doch da nimmt die französische Astronautin Catherine Kontakt zu ihm auf, die in weiter Ferne in der Umlaufbahn des Saturns forscht. "U Are the Universe" wird nun zu einer ungewöhnlichen Liebesgeschichte. Vom Setdesign über das Drehbuch bis zum so humorbegabten wie anrührenden Hauptdarsteller Volodymyr Kravchuk - hier stimmt so gut wie alles. Und das Schlussbild, das hier nicht näher beschrieben werden soll, ist in seiner fast kitschigen Schönheit eines der eindrücklichsten und anrührendsten des Kinojahres.
Auch das Schlussbild von "Good Children" trifft ins Herz - wenn auch auf ganz andere Art als das von "U Are the Universe". Der Film des Kroaten Filip Peruzović, der in Cottbus eine lobende Erwähnung erhielt, schlägt eine ganz andere Tonart an. Ein Bruder und eine Schwester räumen darin nach dem Tod der Mutter das Haus seiner Eltern leer. Der Film spielt fast ausschließlich in diesem Haus - und so wenig überraschend wie nüchtern zeigen die letzten Sekunden des Films schlicht die leergeräumten Zimmer. Das ist deshalb so anrührend, weil man mit den Geschwistern in diesen Räumen so viel erlebt, gefühlt und gesehen hat.
Das Setdesign ist auch hier rundum überzeugend. Eine Fülle von Details bildet das nun zu Ende gegangene jahrzehntelange Leben in einem mit dem Altern der Bewohner längst verfallenden Haus ab. Porzellanfiguren und morsches Holz, zerrüttete Sofas - und Tiere: Bettwanzen haben sich eingenistet, eine Katze streicht umher, draußen im Baum schreit eine Art Fledermaus und Ameisen nehmen sich der Hinterlassenschaften an. Und mittendrin ein entfremdetes, selbst längst nicht mehr junges Geschwisterpaar, das wieder in die Rollen der Kindheit verfällt, sich aneinander reibt und vieles unausgesprochen lässt. Ein stilles, sehr präzise inszeniertes und gefilmtes, immer wieder trocken komisches und in seiner Wahrhaftigkeit anrührendes Kammerspiel.
Auch neben diesen beiden Filmen gab es im Wettbewerb viel zu entdecken - in einem Jahrgang, der so viel Überdurchschnittliches zu bieten hatte wie seit Jahren nicht mehr. Vielleicht ist ein Grund dafür das Mehr an Dringlichkeit und Gegenwart, das die Mehrheit der Filme bestimmt. Anders als im vergangenen Jahr greifen nur wenige Filme wirklich historische Stoffe auf: Einer dieser drei ist der litauische Beitrag "Southern Chronicles", eine 1993 einsetzende Roman-Adoption über einen Rugby-Spieler auf der Suche nach der Liebe und sich selbst. Der Film fängt zwar optisch die Zeit gut ein, leidet aber an einem geschwätzigen Off-Kommentar, der keine überzeugende Verbindung zum Rest des Films herstellt.
In die frühen 1990er Jahre geht auch "When the Phone Rang" aus Serbien zurück - eine sehr stilverliebte filmische Erzählung, die den beginnenden Jugoslawienkrieg mit einer auf emotionaler Ebene durchaus nahbaren Coming-of-Age-Geschichte verschränkt. Auch hier fällt der Off-Kommentar auf: So allwissend, sprachgewandt und klar wie der Off-Kommentar ist weder die Geschichte, die hier erzählt wird, noch das dafür eingesetzte Übermaß an filmischen Verwirreffekten: Immer wieder klingelt das Telefon aus dem Titel des Films neu, immer wieder verortet sich der Film neu, immer wieder gibt er neue Häppchen preis - und verhaspelt sich dabei auf für die Zuschauenden gänzlich unproduktive Weise. Die Jury hat das offenbar mehr überzeugt: Der Film heimste am Samstag den Hauptpreis des Festivals ein. Eine überraschende Entscheidung.
Am weitesten in die Vergangenheit geht der mit Abstand schwächste Film des Wettbewerbs: "Tower of Strength" zeigt kriegerische Auseinandersetzungen in den 1930er und 1940er Jahren in den Bergen Montenegros. Finstere Männer steigen aus Nebelschwaden ins Sonnenlicht der mächtigen Berglandschaft empor und reden bedeutungsschwer über allerlei Arten von Ehre, die dann jeweils dazu führen, dass irgendjemand getötet oder verschont werden soll. Ein unangenehm pathetischer Film, der im Wettbewerb zum Glück die große Ausnahme blieb.
Alle anderen Filme sind mehr oder weniger eindeutig in der Gegenwart angesiedelt. In einer noch nahen Vergangenheit spielt nur "Under the Volcano", in dem eine ukrainische Familie vom Angriff Russlands auf ihr Land im Urlaub auf Teneriffa eingeholt werden. In einer ungewissen Zwischenwelt unter Palmen und mit feiernden Touristen verfolgen sie bang die Nachrichten aus Kyiw, während lange schwelende familiäre Konflikte hervorbrechen und die pubertierende Tochter einen Flüchtling aus einem nicht näher bezeichneten afrikanischen Land kennenlernt.
Das ist größtenteils genau beobachtet und überzeugend gespielt, wenn auch durch das Nebeneinander zu vieler Nebenstränge den Film ein wenig überfrachtet. Ähnliches gilt für "The Trap" aus Bulgarien, in dem unnötig viel passiert und den intensiv erzählten Kern der Geschichte zu überdecken droht. Der Witwer Yovo lebt ein Einsiedlerdasein am Fluss mit seinen Tieren und wird von windigen Geschäftsplänen in die Außenwelt gezwungen: Ein Atommüllendlager soll gebaut werden - und ein französischer Investor mit einer inszenierten Wildschweinjagd um den Finger gewickelt werden. Die spektakulären Breitbandaufnahmen und der herausragend stoische Hauptdarsteller Aleksandar Trifonov machen wett, dass Regisseurin Nadejda Koseva sich hin und wieder zu viele Nebensächlichkeiten vorgenommen hat.
Der Darstellerpreis für Trifonov wäre eine gute Idee gewesen. Nicht weniger gut ist aber die Entscheidung der Jury: Sie zeichnete die junge Griechin Eva Samioti für ihre Hauptrolle in "Riviera" aus.
In der Coming-of-Age-Geschichte spielt sie die Jugendliche Alkistis, die in einer Wochenendhaussiedlung in einem Athener Vorort am Meer lebt. Der Film beginnt als lebenspralle und witzige Freundschaftserzählung: Sie und ihre beste Schulfreundin hängen rum, freuen sich an der Provokation und kommentieren wie eine Art Waldorf und Statler in Hotpants spöttisch alles und jeden. Und eine heiter metaphysische Komponente hat der Film auch: Sie befragen ihr Orakel, die Palme "Jerry" in Alkistis' Garten zu praktischen Zukunftsfragen.
Doch mit der Zeit wird klar: Alkistis ist eigentlich anders als ihre Freundin - und hat vor allem andere Sorgen. Ihr Vater ist vor einiger Zeit gestorben, das Haus steht kurz vor dem Verkauf, Jerry ist von Käfern befallen, ein Schimmelfleck breitet sich im Haus aus - und sie ist ganz allgemein mit sich und ihrem Körper nicht im Reinen. Die Freundin verschwindet für längere Zeit fast vollständig aus dem Film und Alkistis geht auf Selbstwerdungsreise - von Samioti einfühlsam, verletzlich und fein austariert gespielt.
Neu war in Cottbus in diesem Jahr die Aufteilung der Spielstätten. Die Wettbewerbsfilme waren nicht mehr in der großen, aber als Kino eher unwirtlichen Stadthalle zu sehen, sondern ausschließlich im Traditionskino Weltspiegel. Das hatte zwar den seltsamen Effekt, dass ausgerechnet das Aushängeschild des Festivals nun nicht mehr im Festivalzentrum stattfand. Es erhöhte aber gleichzeitig die Qualität der Wettbewerbsprojektionen. Schön, dass in diesem Jahr so viele gute Filme bereitstanden, dass beides Hand in Hand gehen konnte: Vorführkunst und Filmkunst.
Offenlegung: Das Preisgeld für die beste Regie (7.500 Euro) wurde auch in diesem Jahr vom rbb gestiftet. Die Entscheidung über die Preisvergabe oblag wie immer ausschließlich der Jury.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 9.11.2024, 19.30 Uhr
Beitrag von Fabian Wallmeier
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