Interview | Felix Adlon
Hedda Adlon führte in den Goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts das legendäre Berliner Hotel an der Seite ihres Mannes Louis - und wurde zur umstrittenen, aber prägenden Figur der Familie, wie ihr Stief-Urgroßenkel Felix Adlon erzählt.
1907 eröffnete Lorenz Adlon das luxuriöse Hotel Adlon am Pariser Platz. Im Jahr 1921 übernahm sein Sohn Louis die Führung des Hauses. Zu Beginn der 1920er Jahre lernte Louis die Deutsch-Amerikanerin Hedwig Burger – genannt Hedda - kennen und verließ seine Frau Tilly für sie. Hedda übernahm fortan eine bedeutende Rolle im Hotelbetrieb. Während des Zweiten Weltkriegs blieb das Hotel geöffnet, doch am 2. Mai 1945 wurde es durch ein Feuer größtenteils zerstört. Nur wenige Tage später verstarb Louis unter ungeklärten Umständen in sowjetischer Gefangenschaft.
Nach dem Krieg eröffnete Hedda das Hotel erneut, doch 1949 wurde das Gebäude von den sowjetischen Besatzungstruppen beschlagnahmt. Hedda starb 1967 in West-Berlin.
Nach der deutschen Vereinigung wurde das Hotel neu aufgebaut und 1997 unter dem Namen "Hotel Adlon Kempinski" wiedereröffnet. Die Familie kämpfte jahrelang um Entschädigung für die Beschlagnahmung. 2022 lehnte das Verwaltungsgericht Berlin die Klage ab.
rbb: Herr Adlon, in Ihrem neuen Buch geht es um Hedda Adlon, die in Ihrer Familie auch das “Miststück” genannt wurde. Warum war das so?
Felix Adlon: Hedda war die Stiefmutter. In den Augen ihrer Stiefkinder hat sie die Familie kaputt gemacht.
Dem war aber nicht so. Die Ehe zwischen meinem Urgroßvater Louis und meiner Urgroßmutter Tilly war vorbei. Tilly wollte lieber die tolle Frau Adlon spielen – und Hedda war eine Frau, die angepackt hat. Das war in den Augen der Kinder so, als wenn sie sich das Adlon unter den Nagel gerissen hätte. Erst den Mann, dann das Haus. Aber die Wahrheit ist: Ohne Hedda hätte das Adlon in den 1920er Jahren niemals so floriert.
Wie hat Hedda für den Glamour im Adlon gesorgt?
Nach der Kaiserzeit war es erst einmal finster, da gab es kaum Gäste. Die 1920er Jahre waren aber in Berlin auch eine Zeit des Tabubruchs. Und Hedda hat sehr schnell verstanden, dass dieser auch im Adlon stattfinden muss. Sie hat dann den Fünf-Uhr-Tanztee ins Adlon geholt, samt Eintänzer. [Ein Tänzer, der engagiert wird, um das Eis auf der Tanzfläche zu brechen, d. Red.] Mein Urgroßvater Louis war empört: ‘Oh Gott, bloß keine Eintänzer, Gigolos im Hause Adlon, niemals!’
Aber Hedda meinte: ‘Unsere Eintänzer sind anders: Junge, adelige Herren, aus bester Schule. Mit denen kann man natürlich tanzen.’ Und es hat wie am Schnürchen funktioniert. Hedda und Louis haben sich die Party ins Haus geholt.
Wie kamen Sie dazu, die Geschichte Ihrer Stief-Urgroßmutter zu recherchieren?
Ich wusste sehr wenig über sie. Ich kannte nur diese bösen Geschichten über Hedda. Und dann natürlich, was Hedda selbst in ihrem eigenen Buch geschrieben hat. Und da hieß es auch immer: Das ist alles gelogen.
Ich war eines Tages mit meiner Frau am Familiengrab. Und meine Frau fragte: Warum liegt denn Hedda hier nicht? Ich sagte: Keine Ahnung, die mag sowieso keiner. Louis und Hedda waren aber von 1921 bis 1945, bis zum Tod von Louis, zusammen gewesen. Es war eine große Liebe. Und da hat es angefangen mich zu jucken, über diese große Liebe zu recherchieren.
Diese große Liebe zeigt sich auch im Einstieg des Buches. Es beginnt im Jahr 1945, als Hedda auf der Suche nach ihrem Ehemann ist...
Die Russen hatten Louis verhaftet, verschleppt, gefoltert. Schließlich kam er zu Tode. Und zwei Wochen lang sucht Hedda nach ihm und geht von einem Keller zum anderen, von einer Villa zur anderen, von einer Kaserne zur anderen, um ihn zu finden. Sie geht ein Wahnsinnsrisiko ein, weil als Frau damals im russischen Sektor, da wurde gemordet, da wurde vergewaltigt, das war schrecklich. Und auf diesem Weg, wo sie ihn sucht, habe ich mir vorgestellt, taucht man in ihre Gedanken ein. Das Buch über Hedda ist in meiner Vorstellung immer eigentlich aus ihrem Inneren heraus.
Wie würden Sie Hedda beschreiben?
Bevor sie Louis kennenlernte, ist sie mit 24 Jahren allein nach Amerika gereist. Sie hätte wie ihre Schwestern wunderbar reich heiraten, sich zurücklehnen können. Nein, nicht die Hedda. Sie hat dort einen jüdischen Kaufmann geheiratet und mit ihm auf der Hudson Street Ölsardinen in Dosen verkauft. Die Ehe ist später zerbrochen, sie hat dann angefangen Sprachen, Geografie und Geschichte zu studieren, hat Gesangsunterricht genommen und wurde tatsächlich zu einer relativ angesehenen Opernsängerin, es gibt da Zeitungsberichte aus San Francisco, wo sie aufgetreten ist. Hedda ist schließlich nach Berlin zurückgekehrt und hat in der Silvesternacht 1920/21 Louis im Adlon kennengelernt.
Sie war ganz speziell. Heutzutage würde man sagen: Eine absolute Powerfrau. Eine Frau, die das sogenannte Glass Ceiling [Glasdecke, d.Red] durchbrochen hat in ihrer Zeit.
Was kann man von einer Frau wie Hedda Adlon lernen?
Nicht aufzugeben. Alles ist möglich, solange man die Dinge mit Ehrgeiz und Ehrlichkeit angeht. Sie hat ihren Mann, nachdem er verschleppt wurde, gesucht. Und sie hat ihn in Falkensee gefunden. Zu spät, leider. Aber sie hat ihn gefunden. Sie hat es geschafft, ihn zu begraben. Sie hat das Adlon wieder eröffnet nach dem Krieg. Diese Art von Pflichtbewusstsein, die nichts mehr mit Pflicht zu tun hat, sondern mit Leidenschaft.
Es ist nicht das erste Mal, dass Sie ein Buch über Ihre eigene Familiengeschichte schreiben. Wie ist das für Sie, darin einzutauchen?
Ich dachte kurzzeitig: Schaffe ich das jetzt noch mal, da so tief in diesen Familienbrunnen, wie wir es nennen, zu steigen? Ich hatte wirklich Angst davor. Aber durch Hedda war das so eine flirrende, glitzernde, tolle Welt. Die Zeit, in der sie gelebt hat, die Veränderungen, die sie miterlebt hat, kulturell, politisch, wirtschaftlich – all das hat sie mit Stil und Klasse und Power getragen. So ist es mir schlussendlich dann doch eher leichtgefallen, in dem Thema zu bleiben.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Margarete Kreuzer, rbbKultur
Sendung: rbbKultur, 16.11.2024, 18:30 Uhr
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