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Konzertkritik | Cigarettes after Sex in Berlin
Die US-Band Cigarettes after Sex ist ein Phänomen: Während der Corona-Pandemie hat sie die Anzahl ihrer Fans quasi verdreifacht. Jetzt füllt sie auch in Berlin mit ihrem dunklen, romantischen Pop die ganz großen Hallen. Von Hendrik Schröder
Das Saallicht geht aus und es wabern erst mal gefühlt 200 Liter Trockenneisnebel über die Bühne der Berliner Uber Arena, so als würde gleich ein Geist erscheinen. Dann geht das Bühnenlicht an und das ist für sich schon ein Kunstwerk. Motto: mit ganz wenig viel gemacht.
Ein paar dicke, gleißende Strahler vom Boden bis zur Decke und ein tiefschwarzer, konturloser Hintergrund lassen die Bühne nämlich nach oben endlos und nach hinten wie einen dunklen, tiefen Raum erscheinen.
Dann erscheint Sänger, Gitarrist, Songschreiber und Mastermind Greg Gonzalez - also eigentlich ist er Cigarettes after Sex, die anderen Musiker sind zwar nicht egal, wechseln aber ab und an - von irgendwo aus dem Nebel. Er trägt Vollbart, Lederjacke, Sonnenbrille und sieht viel älter aus, als man es bei seiner androgynen Singstimme erwarten würde. In demselben Zeitlupentempo, wie seine Musik komponiert ist, geht er zum Mikroständer und los geht es.
Ein paar mehr Spots leuchten auf und man sieht plötzlich auch Schlagzeuger Jacob Tomsky und Basser Randall Miller, versunken spielen sie, links und rechts neben ihrem Chef. Ansonsten bleibt es so dunkel in der Halle und auch auf der Bühne, wie man es fast nie bei Konzerten erlebt. Manchmal läuft nur ein Leuchtdiodenband als einzige Beleuchtung um den Bühnenrand, ansonsten ist es finster. Und das ist wirklich eine saustarke Inszenierung, das passt alles so gut zu diesem Slowpop von Cigarettes after Sex, zu diesem noir-romantisch vernebelten Sound, der modern und neu und gleichzeitig wie direkt aus den 1960er oder 1970er Jahren hergebeamt erscheint.
"X's" heißt das neue, dritte Album der Band. Wie die Vorgänger ist es ein zarter Soundtrack für Liebe, Begehren, Scheitern und Verlust. Dabei ist doch die Uber Arena ein kaltes Biest von gesichtsloser Mehrzweckhalle ohne eigene Atmosphäre. Nur wenigen Bands gelingt es hier mit leisen Tönen Eindruck zu machen. Nirgendwo wären Cigarettes after Sex in Berlin schlechter platziert als ausgerechnet in dieser Arena.
Aber der Erfolg macht es nötig und möglich, dass die US-amerikanische Indie-Rock-Pop-Band aktuell weltweit die ganz großen Hallen bespielt. Dank geschickt platzierter Songs in den sozialen Netzwerken und auf Streaming-Playlisten während der Corona-Zeit, hat sich das Durchschnittsalter der Fans mindestens halbiert. Sowas gibt es sonst fast nie. Auf der Bühne stehen Männer über 40, im Publikum eine Mischung aus gleichalten Fans der ersten Stunde (2012 gab es die ersten Veröffentlichungen) und Menschen zwischen 16 und 25, die sich alle reinsaugen lassen in die Bilder auf den Videowänden aus wolkenverhangenem Vollmond und tausend Tönen von Schwarz.
Sänger Greg Gonzalez sagt keine fünf Sätze an diesem Abend. Und wenn, dann spricht er so entrückt, wie er singt: "Berlin, thank you for sharing this magic night with us." Mehr sagt er nicht. Und manchmal will man ihn dann schon zwicken und sagen: "Komm Greg, jetzt nimm' doch nicht alles so schwer." Oder: "Mach mal eine schnelle Bewegung zum Beweis, dass du aus Fleisch und Blut bist."
Macht er aber nicht. Das machen stattdessen die Fans. Ohne Anleitung oder Animation schwenkt bald die ganze Halle Handylichter im Takt durch die Luft. Kitschig ist das und sentimental. Und total schön. Freundinnen machen Selfies, Paare legen ihre Köpfe aneinander. Keine 90 Minuten dauert das Konzert. Genau richtig.
Bevor die dunkle Schwere vielleicht doch irgendwann langweilig wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.11.2024, 06:55 Uhr
Beitrag von Hendrik Schröder
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