"Listen To Berlin-Awards"
In der Berliner Kulturbrauerei sind am Dienstag die "Listen To Berlin-Awards" vergeben worden. In Bezug auf politische Statements wurde um Zurückhaltung gebeten - vor allem wegen eines Preisgewinners. Von Jakob Bauer
Ein Gespenst geht um – das Gespenst einer gespaltenen Berliner Kulturszene nach dem 7. Oktober 2023. Das ist den "Listen To Berlin Awards" im Kesselhaus der Kulturbrauerei Berlin gerade am Anfang anzumerken. Bloß keine Zwischenrufe, keine politischen Statements, kein Streit heute.
Kunst sei an sich ein Raum für solche Debatten und im Rahmen der "Most Wanted: Music"-Konferenz der Music Commission, die auch in dieser Woche stattfindet, durchaus erbeten, sagt der Vorsitzende der ausrichtenden Music Commission Olaf Kretschmar in seinen Grußworten, aber er sagt auch: "Wir würden euch darum bitten, euch heute mit weltpolitischen Statements und Bekundungen ein bisschen zurückzuhalten, auch aus Respekt vor den Menschen, die auf der Bühne stehen."
Die Vorsicht ist nachvollziehbar, denn ein Preis geht heute an das About Blank. Der Berliner Club hat sich nach dem 07. Oktober klar gegen Antisemitismus positioniert, daraufhin gab es Anfeindungen aus der Szene, ein Hamas-Dreieck wurde auf das Gebäude gesprüht und sogar Fäkalien vor die Tür gelegt.
Die Laudatorin des Rolf Budde Preises für Haltung in der Musikwirtschaft Katja Lucker erwähnt, dass im Kollektiv durchaus auch unterschiedliche Meinungen vorhanden seien, diese aber ausdiskutiert würden, dass das About Blank weiter Programm gestalte, die Konflikte thematisiere und nicht zynisch würde: "Ihr macht weiter, trotz Einbußen und Beschimpfungen und blickt immer wieder differenziert auf eine komplizierte Weltlage und veröffentlicht eure Ergebnisse."
Es gibt keine Buhrufe, stattdessen anerkennenden Jubel. Puh. Durchatmen. Der Fokus kann sich auf die Musik richten. Und davon gibt’s an diesem Abend viel zu hören. Insgesamt acht Preise werden vergeben, dazwischen spielen diejenigen Acts live, die für den Künstler:innen-Preis nominiert sind. Dem Konzept dieser Preisverleihung entsprechend sind das alles Namen, die noch vor dem großen kommerziellen Durchbruch stehen.
Zum Beispiel die Band Go Mahhh mit groovendem Psych-Rock oder die Musikerin Ay Wing mit raffiniertem, soulig-funkigen Frickel-Pop. Der Preis geht allerdings an Sorvina, die die alles umarmende Gospel-Predigerin genauso überzeugend draufhat wie den coolsten Hip Hop-Swag: Hallelujah und Rap. Als sie nach der Preisverleihung gefragt wird, was ihr "Job" sei, sagt sie: Die guten Vibes aufrechterhalten. Das Ziel erreicht sie auf jeden Fall.
Diese etwas komische Frage nach ihrem Job stellt übrigens Friedrich Liechtenstein. Der Lebenskünstler und elaborierte Dampfplauderer ist neben Diona Bathily der Moderator des Abends, obwohl: Eigentlich ist er eher ein Side-Kick. Liechtenstein ist erfrischend unvorbereitet und bringt in die durchgetaktete Show eine angenehme Anarchie, wenn er alle Bühnengäste an seine kleine Bar auf einen Sekt nach dem anderen einlädt und unvermittelt scheinbar kontextlose Fragen stellt wie: Was denkst du über Liebe? Hast du Angst vor KI? Was ist mit West-Berlin? Was haltet ihr von Utopien? Welche Rolle spielt Alge?
Besonders schön ist die Verleihung des Ehrenpreises. Der geht dieses Jahr an die unermüdliche Kultur-Veranstalterin Mahide Lein. Laudatorin Laura Méritt erzählt davon, was diese so alles gemacht hat: Gründerin der Erotik-Bar Pelze Multimedia in Berlin, gemeinsam mit der Anti-Psychiatrie-Organisation "Irren-Offensive" Veranstalterin des Kongresses "Macht Wahn Sinn", das erste lesbische Fernsehen in Deutschland, den ersten lesbischen CSD in St. Petersburg, Afro-Clubs, 200 Konzerte in einem Jahr und Projekte mit schon mehr als 400 Künstler:innen. Die Aufzählung geht minutenlang, es ist schlicht beeindruckend und passenderweise schließt Laudatorin Méritt so: "Sie ist einfach eine richtig coole Sau".
Daraufhin kommt die richtig coole Sau Mahide Lein freudig auf die Bühne und lädt gleich zu ihrer nächsten Party ein. "Ich bin ja jetzt 75", sagt sie, "und wo wir hier so viel über die Jugend sprechen, wir sollten auch mal über die Alten sprechen." Sie mache gerade dieses neue Festival "Amorall Globall" und dann verspricht sie jedem einen Gästeliste-Platz, der älter sei als sie. Das kann eigentlich nur eine rauschende Party werden. Aber davor knallen erstmal hier im Kesselhaus der Kulturbrauerei die Sekt-Korken – zumindest die von den Flaschen, die Friedrich Liechtenstein noch übriggelassen hat.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.11.2024, 6:55 Uhr
Beitrag von Jakob Bauer
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