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Audio: rbb24 Inforadio | 07.11.2024 | Barbara Behrendt | Quelle: Florian Feisel

Kritik | "Theater der Dinge" an der Schaubude

Geisterbeschwörung

Beim internationalen Puppen- und Objekttheaterfestival "Theater der Dinge" verwandelt sich die Schaubude in ein Geisterhaus. 14 Gruppen aus ganz Europa setzen sich mit den Geistern auseinander, die durch unsere Welt spuken. Von Barbara Behrendt

Nehmen wir einmal an, die Natur ist beseelt. Welchen Geist eines Berges exportieren wir dann von Lateinamerika nach Deutschland, wenn wir dort Steinkohle abbauen? In der kleinen, dunklen Garage der Schaubude hat das KMZ Kollektiv einen Kohleberg aufgebaut. Die Performer:innen tragen eine Kluft wie unter Tage, leuchten mit Taschenlampen und erforschen in kleinen Geschichten den Geist der Naturausbeutung und die eigene Spiritualität, die beim Wandern in den Bergen spürbar wird.

Einen Raum weiter reisen wir per Video-Installation in einen schwarzen Wald. Erst als die Scheinwerfer zu leuchten und zu schwenken beginnen, sehen wir das gigantische Netzwerk aus Fäden, das sich wie ein Spinnennetz durch den Raum zieht. Noch eine Tür weiter lädt uns die Performerin Neïtah Janzing an ihre schwarze Tafel, schenkt Vodka ein und beginnt eine Séance.

Szene aus "Dimonis/Dämonen" von cabosanroque. | Quelle: Jose Hevia

Die Begeisterung der Puppen

Für das Festival "Theater der Dinge" hat die Schaubude sechs Künstler:innen-Gruppen aus Berlin beauftragt, die Räume ihres Hauses zum "Geisterhaus" zu gestalten. Immer acht (erwachsene!) Zuschauer:innen gehen gemeinsam durch den gut anderthalbstündigen Parcours. Keine blutrünstige Geisterbahn mit Schockeffekt und Skeletten ist das – unheimlich wird es aber schon. Die Performances eint (wie immer beim Objekttheater) eine große Poesie und Sinnlichkeit. Doch die Geister, die sie beleben oder beschwören, sind ganz unterschiedlicher Natur.

In der "Schule der Puppen" von Atif Mohammed Nour Hussein etwa bekommt jede:r Zuschauer:in eine individuell gefertigte Handpuppe mit eigenem Charakter auf den Schoß gesetzt und wird angeleitet, sie wie eine Puppenspielerin zum Leben zu erwecken. Plötzlich sitzt da ein Pfarrer, ein Teufel oder der Dramatiker Heiner Müller himself, der seinen Kopf auf die menschliche Brust legt und den Herzschlag des Menschen prüft, der ihn führt. Eine unheimliche Beseelung. Die Animation, das Zum-Leben-Erwecken des Objekts, die Be-Geisterung ist ureigene Angelegenheit des Puppentheaters.

Theaterkritik | "Gittersee" am Berliner Ensemble

Lust auf ein Abenteuer?

Charlotte Gneuß befeuerte mit ihrem Coming-of-Age-Roman "Gittersee" die Debatte, wer über die DDR schreiben darf. Die Regisseurin Leonie Rebentisch hat für ihre Bühnenadaption die richtige Hauptdarstellerin gefunden. Von Barbara Behrendt

"Mitzis Mensch" statt "Schrödingers Katze"

"Geister" ist das übergreifende Motto des diesjährigen Festivals, für das die Schaubude neben den Künstler:innen fürs Geisterhaus Gruppen aus Bulgarien, Katalonien, Norwegen, der Ukraine, Ungarn und Deutschland eingeladen hat. Zur Eröffnung zeigte der israelische Puppenspieler Ariel Doron, der schon lange in Berlin lebt, eine geistreiche wie philosophische Lecture Performance über Quantenphysik: Puppenspiel meets Powerpoint. "Mitzis Mensch" ist die Umkehrung von "Schrödingers Katze". Die zottelige, niedliche Katze, die Ariel Doron mit seiner Hand führt, fragt die diabolische Frage, woher wir wissen können, dass der Mensch die Katze führt und nicht umgekehrt.

Der Physiker Erwin Schrödinger wollte mit seinem Gedankenexperiment die seltsamen Eigenschaften der Quantenmechanik beschreiben, nach der eine Katze gleichzeitig tot und lebendig sein könnte. In der Lecture Performance beginnt die Katze ein charmantes Eigenleben, während der Mensch zum Versuchsobjekt mutiert. Klug, anregend und witzig stehen die grundsätzlichen Fragen im Raum: Woher wissen wir, dass wir existieren – wenn die Stoffkatze vor unseren Augen doch ebenfalls sagt, sie existiert?

Premiere an der Berliner Vagantenbühne

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Exorzismus gesellschaftlicher Dämonen

Die Geister, die das Festival beschwört, sind keineswegs für den Grusel-Eskapismus bestimmt, sondern dienen der Konfrontation mit gesellschaftspolitischen Heimsuchungen und Traumata. Bestenfalls können die Performances als eine Art Exorzismus wirken. Der Leiter der Schaubude, Tim Sandweg: "Die Geister werden immer als 'das Andere' behandelt. Wir haben Angst vor ihnen, versuchen sie zu ignorieren und wegzudrücken. Aber eigentlich sind die Geister ja Ausdruck gesellschaftlicher, sozialer, wirtschaftlicher Zustände. Gesellschaftliche Zustände lassen sich ändern. Dafür müssen wir die Geister ansprechen, uns mit ihnen auseinandersetzen, Polaritäten durchbrechen – und vor allem dürfen wir nicht in Angst erstarren."

In den kommenden Tagen ist daher auch die norwegische Produktion "03:08:38 States of Emergency" zu sehen. Sie dauert 3 Stunden, 8 Minuten und 38 Sekunden, genauso lange, wie Anders Breivigs Terroranschlag 2011. Eine Konfrontation mit den Geistern des gesellschaftlichen Traumas. Bei der immersiven Installation "Dimonis" aus Katalonien dagegen kommen die Dämonen in Gestalt sozialer Verhältnisse daher, die ausgetrieben werden sollen.

Das Theater der Dinge zeigt in seiner neuen Ausgabe, dass es wichtiger Gratmesser für das bleibt, was im internationalen Objekt- und Figurentheater gerade "State of the Art" ist. Die ästhetische Bandbreite ist enorm. Und die Geisterbeschwörung so verstörend wie klug und natürlich: begeisternd.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.11.2024, 07:55 Uhr

Beitrag von Barbara Behrendt

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