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Audio: rbb24 Inforadio | 15.03.2024 | Interview mit Ulli Zelle | Quelle: dpa/global-MET

Ulli Zelle geht in Rente

"Abschied ist ein scharfes Schwert"

Nach 40 Jahren beim rbb geht Abendschau-Reporter Ulli Zelle in den Ruhestand. Zum Abschied seiner Fernsehkarriere an diesem Samstag spricht er über Höhe- und Tiefpunkte, die Wende, die Stones - und warum er sich selten kämmt.

rbb: Ulli Zelle, Abschiedsinterviews, eine eigene rbb24-Abendschau-Ausgabe und eine große Gala. Reiben Sie sich manchmal die Augen und fragen sich, was hier anlässlich Ihres letzten Arbeitstages am Sonnabend passiert?

Ulli Zelle: Ich muss dem Sender wirklich sehr dankbar sein, denn ich bin nun schon fast ein halbes Jahrhundert hier, und das ist, glaube ich, noch keinem widerfahren. Entweder sind die Menschen vorher gestorben oder sie sind einfach mit einem Handschlag hier rausgegangen. Das ist schon außergewöhnlich. Trotzdem ist Abschied ein "scharfes Schwert" und es tut mir wahnsinnig leid, dass ich hier nicht weiterhin für diese Stadt berichten kann.

Warum berichten Sie dann nicht weiter?

Das geht nicht, die Regularien des Hauses sind anders. Ich bin nun schon ein paar Jahre über die Rente hinaus, aber fühle mich noch fit, mobil und habe Lust und Spaß. Es ist in meinem Blut, aber es geht halt nicht...

Zelle (li) im Gespräch mit Prinz Louis Ferdinand von Preußen im Kronprinzenpalais, 1990 | Quelle: rbb

Sie haben seit 1985 bis jetzt aus Berlin berichtet. Eine coolere Zeit gab es doch gar nicht in dieser Stadt.

Eigentlich nicht, weil ich diese geteilte Stadt erlebt habe: Da war einmal das wilde, bunte Westberlin und dann bin ich als Westberliner natürlich auch sehr häufig in die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik gefahren und habe so auch den Osten erlebt. Und dann habe ich über die Vereinigung dieser Stadt, das Wachsen und Werden berichtet. Das ist schon ein wirkliches Privileg: vom Mauerfall über die Grundsteinlegung des Kanzleramtes, die neue Kuppel für den Reichstag, die Bebauung des Potsdamer Platzes. Das waren Reportagen, die für mich grandios waren.

Sie haben aber nicht nur die großen Sachen gemacht, sondern auch Berichte über einen Radweg durch eine Kleingartensiedlung. Das ist eine große Bandbreite von der Reichstagskuppel, zum Mauerfall, die Berlinale bis hin zum Radweg.

Das hat meinen Beruf für mich immer so interessant gemacht - in dieser Stadt, die so unterschiedlich ist. Diese Unterschiedlichkeit auch an den Personen, über die man Reportagen macht, zu erleben. Ich hab ebenso gerne von den Obdachlosen am Zoo wie von den Hollywoodstars am Roten Teppich berichtet. Ich bin ebenso in die Kleingartenkolonien gegangen wie auch zu Start-up-Unternehmen. Diese Mischung hat es im Endeffekt gemacht und die Mischung ist ja auch das, was wir in dieser Stadt so gut finden.

Was reizt Sie mehr: Die Menschen oder die Geschichten?

Natürlich sind es die Geschichten. Das ist mein Beruf - Geschichten und auch komplexe Dinge verständlich erzählen. Man muss beim Fernsehen immer zwei Dinge beachten: Du hast das Bild und die Sprache und das muss irgendwie zusammenpassen. Und du musst die Zuschauenden am Anfang fesseln, die Geschichte dann zu einem Höhepunkt aufbauen und am Ende entweder zu einem mahnenden, versöhnlich oder irgendeinem Schlusspunkt kommen.

Nicht nur Ihre Reportagen sind in Berlin bekannt, sondern auch Sie als Person. Genießen Sie es, erkannt zu werden?

Ich finde es schön, aber ich möchte nicht sagen, dass ich es genieße. Es ist eine angenehme Begleiterscheinung. Wenn ich in Berlin unterwegs bin, werde ich zwei- bis dreimal täglich angesprochen. Die Leute reden mit mir, teilweise sind sie ja mit mir aufgewachsen. Es ist aber ein anderes Leben, wenn ich zum Beispiel nach Hannover fahre. Plötzlich ist dort kein Blick mehr, der haftet. Das ist in Berlin schon anders. Ich finde das aber auf keinen Fall störend, sondern im Endeffekt sind das unsere 'Kundinnen und Kunden' und zu denen bin ich natürlich freundlich.

Reporter Ulli Zelle bei Mayfest in Berlin, 2009 | Quelle: rbb

Sie haben den Mauerfall in Berlin erlebt und davon berichtet. Ist er das Erlebnis Ihrer umfangreichen Karriere?

Das ist natürlich das prägendste Erlebnis, weil es letztendlich auch die Initialzündung für meinen Reporterweg war, der von da an ganz anders verlaufen sollte. Mein Berichtsgebiet war mit dem 9. November 1989 größer geworden. Das sind Erfahrungen mit Menschen aus zwei vorher unterschiedlichen Systemen, die sich plötzlich nähergekommen sind. Ich werde immer wieder nach diesem 9. November 1989 gefragt und wie toll das damals unter Tausenden von Menschen auf der Bösebrücke war. Eine Stunde vorher hätte man sich nicht vorstellen können, dass wir uns da in den Armen liegen, aber es war großartig.

Sie haben gesagt, das Berichtsgebiet erweiterte sich und zwei Systeme trafen aufeinander. Nun waren Sie auch in Brandenburg unterwegs, in Ost und West. Welche Unterschiede spüren Sie heute noch?

Ich behaupte immer, dass wir uns Berlin nähergekommen sind, weil wir uns im Alltag viel häufiger begegnen. Wir arbeiten als frühere Ost- und Westleute in einem Unternehmen. Wir gehen zu den gleichen Konzerten, ins gleiche Theater, wir fahren in der gleichen U-Bahn. Da ist schon eine Nähe entstanden, die man sonst in anderen Regionen nicht so hat. Es ist schon etwas besser geworden, aber die Wahlergebnisse zeigen: In Wirklichkeit ist es dann doch noch nicht so ganz.

Ulli Zelle berichtet 2016 über den Anschlag auf den Weihnachtmarkt am Breitscheidplatz | Quelle: rbb

Vom Mauerfall haben Sie schon oft erzählt. Aber es gab auch noch eine andere Geschichte, nämlich den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz 2016.

Das war eine ziemlich schlimme Geschichte. Ich kam von einer ganz anderen Veranstaltung, nämlich Frank Zanders Gänseessen für Obdachlose, und auf dem Weg zurück in den Sender erreichte mich auf der Stadtautobahn ein Anruf der Redakteurin. Sie sagte: 'Fahr doch mal bitte noch mal schnell zum Breitscheidplatz, da gab es wohl einen Verkehrsunfall. Wir wissen aber nichts Näheres.' Ich kam dahin und dann war eben das schreckliche Ereignis passiert. Wir sind gleich auf Sendung gegangen.
Ich hatte am Anfang noch nicht einmal eine Kamera, sondern habe über ein Handy in den Sender hinein reportiert und dann kamen der Regierende Bürgermeister und der Innensenator zum Interview zu mir und ich hielt so einen alten 'Nokia-Knochen' (Handy) dahin. Das war dann eine Reportage, die sich über drei bis vier Stunden live hinzog. Wo man einfach so überwältigt war und auch oft nach Worten suchen musste, vor allen Dingen, wussten wir nicht genau, welchen Grund es gab und ob es wirklich ein terroristischer Anschlag war. Wir wollten nicht zu viel mutmaßen, immer vorsichtig sein. Heute ist es ja anders: Wenn so etwas passiert, sagen viele voreilig gleich, es war ein islamistischer Anschlag. Das war damals noch anders.

Rundfunk Berlin-Brandenburg

rbb-Reporter Ulli Zelle geht in den Ruhestand

Die Arbeit als Reporter ist körperlich anstrengend. Man ist präsent, nachts wach, muss irgendwohin. Es ist kalt, unangenehm und auch psychisch belastend. Haben Sie solche Situationen belastet oder stecken Sie sowas weg?

Es belastet mich natürlich, wenn zum Beispiel damals in der Lepsiusstraße fünf Menschen bei einer Gasexplosion unter den Trümmern eines Hauses liegen und dann die Leichen geborgen werden. Aber im Endeffekt fordern viele Einsätze, das Körperliche und Geistige, fördern eine Flexibilität. Das hält jung und in Bewegung und das finde ich ganz wesentlich.

Interview mit Mick Jagger bei der Berlinale 2008 | Quelle: rbb

Einer Ihrer Höhepunkte war sicherlich auch das Treffen mit den Rolling Stones.

Ja, natürlich, das kam völlig unerwartet. Da waren 200 Journalisten, die vor dem Berlinale-Palast standen und auf ein Interview warteten. Aber keiner von denen hat eines bekommen. Wir standen mit unserem großen rbb-Equipment, mit Beleuchter, mit Maske, mit Regieassistenz und einem Reporter vorne als erste im Berlinale Palast und da haben die wohl gedacht: 'Na, die müssen wohl wichtig sein'. Weil wir natürlich live waren, konnte ich nicht sofort alle gleich ins Programm nehmen und musste dann Charlie Watts verklickern, dass da noch vorher ein Film über die Parkraumbewirtschaftung in Pankow läuft. Und das erkläre mal dem Drummer der Rolling Stones, der ohnehin eher wortkarg ist. Ich bemühte mich dann um Konversation und erzählte ihm, dass ich mit der Musik der Rolling Stones aufgewachsen bin und er antwortete nur cool: 'Ja, ich auch'.

Würden Sie sich heute noch einmal für den Berufszweig Reporter/Journalist entscheiden?

Also beim Fernsehen würde ich gar nicht mehr ankommen. Früher war es noch unwesentlich, wie du ausgesehen hast. Heute musst man schon eine 'optische Erscheinung' sein. Da kann sich nicht irgendwer vor eine Kamera stellen. Damals ging das noch, da habe ich eben großes Glück gehabt.

Zelle mit seiner Band "Ulli & die grauen Zellen" | Quelle: rbb

Aber die Zuschauenden mögen doch Ihr Gesicht.

Na ja, ich bitte immer um Aufnahmen in einer 'Totalen', also von Kopf bis Fuß, damit man keine Nahaufnahmen hat. Ich bin auch oft nicht geschminkt und nicht gekämmt. Manchmal denke ich: 'Oh Gott, wie siehst du denn wieder aus?' Da habe ich vorher wieder nicht in den Spiegel geguckt, ein Kragen steht hoch, der andere runter. Deswegen sehe ich manchmal eben wirklich unvorteilhaft aus. Dann sagen die Leute immer: 'Im Fernsehen sehen Sie ja viel älter aus' oder 'in Natura sehen Sie ja viel jünger aus'. Es ist immer so eine halb beleidigende Kommentierung.

Was werden Sie am meisten vermissen?

Die Leute hier im Haus. Man trifft sich, man grüßt sich, man erzählt kleine Geschichten. Dieses soziale Wesen rbb ist ganz wichtig. Das werde ich vermissen. Aber ich werde auch weiterarbeiten als Journalist. Also irgendwas werde ich und muss ich vor allen Dingen tun - wegen der Seele und der Gesundheit.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Mit Ulli Zelle sprach Anke Burmeister für rbb|24 Inforadio. Die ist eine gekürzte und redigierte Version des Hörfunk-Interviews.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Textes hieß es, der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz hätte 2022 stattgefunden. Der Anschlag fand jedoch im Dezember 2016 statt. Die entsprechende Stelle wurde korrigiert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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